Anlässlich von „Intermezzo“, des vierten Buchs von Sally Rooney, hier ein Rückblick auf die bisherigen Werke der irischen Autorin, die als – Achtung: Klischee! – Stimme einer Generation eine erstaunliche Breitenwirkung erreicht hat.
Conversations with Friends (2017)

„Maybe you are just in love with your own face“, I said.
– „Just because I have a beautiful face doesn’t mean I’m a narcissist“
Das Debüt von Sally Rooney. Die Geschichte zweier Freundinnen und ihrer Verwirrungen, ob politischer oder emotionaler Art. Und die ewige Frage des richtigen Lebens im Falschen, den Ansprüchen an das Selbst und die Unerbitterlichkeit des Kapitalismus als Gegner in diesem Kampf.
„He didn’t call me the next day, or the day after that. Nobody did. Gradually the waiting began to feel less like waiting and more like this was simply what life was: the distracting tasks undertaken while the thing you are waiting for continues not to happen. I applied for jobs and turned up for seminars. Things went on.“
(7+/10)
Normal People (2018)

“It was culture as class performance, literature fetishised for its ability to take educated people on false emotional journeys, so that they might afterwards feel superior to the uneducated people whose emotional journeys they liked to read about.”
Einer der besten zeitgenössischen Romane für mich seit einiger Zeit.
Sally Rooney, Mitt-20-Jährige aus Irland, gelingt es in „Normal People“ die Geschichte zweier seelisch angeschlagener junger Menschen über den Zeitraum von mehreren Jahren mitreissend und doch nonchalant zu erzählen.
Die Perspektiven wechseln immer wieder, die Geschichte springt Kapitel für Kapitel einige Monate – oder manchmal auch nur Minuten – in die Zukunft.
Jedes Mal tauchen wir wieder neu ein in den aktuellen Status der Beziehung zwischen Marianne und Connell, was aber weit mehr bereithält als ein „können nicht miteinander, können nicht ohne einander“ aka „es ist kompliziert“, sondern vielmehr ein Psychogramm zweier geschundener Seelen im Kampf um die eigene Akzeptanz zeichnet und der Frage nach einem Platz in der Welt, zwischen den normalen Leut‘.
„Normal People“ hat mich von Beginn an mitgenommen und seine Spirale der Destruktion immer gefesselt, auch weil beide Charaktere smarte, intellektuelle Personen sind, die mit sarkastischer Trockenheit die Welt um sich kommentieren. (8/10)
Beautiful World, Where Are You (2021)

“And isn’t death just the apocalypse in the first person?”
Das dickste, aber auch das schwächste Buch von Sally Rooney.
Immer noch ist zu viel herausragend, als dass ich an „Beautiful World, Where Are You“ nicht mein Vergnügen gehabt hätte: die scharfsinnigen Beobachtungen und der unbarmherzige Blick auf das Jetzt, der die Vergeblichkeit des Aufbegehrens mit einschließt, auch wenn Rooney gleichzeitig immer klar macht, dass zumindest das Denken und Hinterfragen der Strukturen, die diese Welt so oft zu einem Scheißplatz machen, nie verschwendet sind.
Im Gegensatz zu beiden vorherigen Büchern gelingt es ihr aber diesmal kaum, ihre spröden Charaktere mit genug Leben zu füllen. Natürlich sind weder in „Normal People“ noch in „Conversations with Friends“ die Figuren Knaller-Sympathie-Träger. Aber immer konnte ich ihr Verhalten nachvollziehen – egal, ob es sich dabei um ein Zuvielnehmen oder Ausderweltverschwinden handelte.
„Beautiful World“ besteht aus zwei unterschiedlichen Ansätzen: der Geschichte zweier Freundinnen in unterschiedlichen Städten sowie den E-Mails, die sich beide kommentierend dazu (& über den Zustand der Welt) schreiben. Wie wackelig diesmal die Charaktere sind, spricht schon daraus, dass ich die jeweilige E-Mail-Schreiberin nie auseinanderhalten konnte, sondern immer wieder zurückblättern musste, an wen die Mail nun adressiert war. Von den Männern ganz zu schweigen, deren Verhalten nun wirklich nicht nachvollziehbar ist. Der eine ein Proll-Arschloch, der andere ein Polit-Softie mit jesusgleicher Leidensfähigkeit. Beide: Chiffren ohne Leben.
„Beautiful World, Where Are You“ ist stark geschrieben, fein beobachtet und am besten in seinen essayistischen Ausflügen, aber schwach in seiner Charakterzeichnung und damit in seinem Herzen.
Bleibe trotz „Beautiful World“ (und ihren enttäuschend simplen Israel-Aussagen) erstmal Rooney-Fanboy, erhoffe mir aber wieder eine Rückkehr zu den Meisterleistungen der ersten beiden Romane. (6/10)
Intermezzo (2024)

“Nonetheless, it is better to feel hopeful and optimistic about one’s life on earth while engaged in the never-ending struggle to pay rent, than to feel despondent and depressed while engaged in the same non-optional struggle anyway.”
Sicher das Buch von Sally Rooneys, das von der größten Reife kündet, doch ich würde nicht so weit wie manche Kritiker gehen, es auch als ihr bestes zu feiern. Denn im Zuge der erwachseneren Geschichte geht auch ein wenig vom Herrlichsten der Rooney-Magie verloren, diesem manchmal wunderbar irrlichternden, aber zugleich scharfsinnigem Geplauder, wenn zwei Stundentinnen Marxismus und Liebe diskutieren als wäre 1968 und Godard würde was von den Dingen des Herzens verstehen. Das ist ja eigentlich das Allerschönste an allen Rooney-Büchern.
Aber klar, man kann auch nur ein paar Mal in diesem Gewässer fischen bis es sich zu wiederholen beginnt. „Intermezzo“ scheint zunächst ebenfalls um Herzensleid und Liebeleien zu gehen, doch dann dreht sich Rooneys neuester Roman in eine Geschichte um zwei Brüder und ihren verzweifelten Weg in ein Leben, das halbwegs ein Ankommen verspricht. Um die tief sitzende Depression des extrovertierten Überfliegers und die wadenbeissige Unsicherheit des introvertierten Jüngeren. „Intermezzo“ hat etliche starke Momente und vor allem beeindruckend geschriebene innere Monologe, ist aber mit 496 Seiten auch unnötig lang geraten. (7/10)
Verfilmungen:
Normal People (Serie / Lenny Abrahamson, 2020)
bei magentaTV & zur Leihe
Mir fällt es schwer, die Serie einzuschätzen, weil ich mich nicht von der so beeindruckenden Roman-Vorlage lösen kann.
Wahrscheinlich muss es so sein, dass TV simplifiziert und andere Schwerpunkte legt, aber mich schmerzt doch, dass in der Adaption diese bissige Smartheit insbesondere von Marianne nur in Ansätzen zu erahnen und all die Diskussionen über Klassenbewusstsein, Kapitalismus und Patriarchat nur noch zwischen den Zeilen für den suchenden Zuschauer zu erkennen ist. Dafür gab’s deutlich mehr Sex als ich mich aus der Buchvorlage zu erinnern glaubte.
Aber für sich genommen – wenn ich mir die Kenntnis der Vorlage versuche wegzudenken – ist „Normal People“ natürlich eine gute Serie und auch in dieser intellektuell heruntergedimmten Version weit cleverer als normales Fernsehen. (7/10)
Conversations with Friends (Serie / Lenny Abrahamson, 2022)
bei magentaTV
Es ist beinah heartbreaking wie schlecht ein wirklich gutes Buch in dieser BBC/Hulu-Adaption umgesetzt wurde! Alles, was Sally Rooneys Geschichten so toll gemacht hat, ist in dieser Serienversion ausgemerzt und auf den kleinen Nenner eingedummt.
Geradezu ein Hohn, dass die Serie ebenfalls den Titel „Conversations with Friends“ trägt, denn was diese Adaption nun wirklich komplett versaut, sind genau jene Unterhaltungen.
Die Fragen nach dem guten Leben, dem Kommunismus, der Ehrlichkeit, der Tugend, dem Platz im Leben! Alles weg, zugunsten einer simplen „lieb ihn, lieb ihn nicht“-Plotline, die auch noch bevorzugt in schlecht dargestellten Handy-Unterhaltungen abläuft.
Wenn das nicht schon schlimm genug wäre, ist die Serien-Bobbi (Sasha Lane, ganz ganz schlimm) wirklich nicht auszuhalten in ihrer angezickten Borniertheit und Meilen entfernt von der smarten, schwierigen, gesellschaftliche Konventionen missachtenden Buch-Bobbi.
Dass Frances‘ Objekt der Begierde in der Serienversion ein aalglatter Schönling, ein bei wish bestellter Brad Pitt ist, fällt dann schon fast nicht mehr ins Gewicht, so kaputt ist diese Serie bereits nach den ersten zwei Folgen gefahren.
Warum hat Sally Rooney so etwas nur zugelassen? (2/10)