7inch #recordoftheday
Pulp – Common People
22.5.1995, Island / Charts: UK: #2 / US: – / D: #77
Genau gestern vor 30 Jahren wurde „Common People“ von Pulp veröffentlicht und markierte damals den Höhepunkt einer der seltsamsten Karrieren im britischen Pop. Pulp wurden bereits 1978 in Sheffield von Jarvis Cocker gegründet, veröffentlichten ihr Debüt 1983, konnten aber erst 1994 überhaupt größere Aufmerksamkeit generieren – alle vorherigen Platten erreichten nicht einmal die britischen Charts. Doch nachdem die Nichtalbumsingle (und meines Erachtens zweitbester Pulp-Song überhaupt) „Razzmatazz“ (#80) erstmals die Top100 knackte und das Folgealbum „His’n’Hers“ mit Indiehits wie „Do You Remember The First Time“ (# 33) und „Babies“ (#19) mehr und mehr Interesse auf die Band zog, war die Veröffentlichung von „Common People“ dann nichts weniger als eine Sensation: Platz 2 in den britischen Single-Charts!
„Common People“ erzählt von Rich Kids („She came from Greece, she had a thirst for knowledge / She studied sculpture at Saint Martin’s College / That’s where I / Caught her eye / She told me that her Dad was loaded / I said „In that case, I’ll have rum and Coca-Cola“), die in ihrer Zeit an der Kunstuni mal so richtig wie die mythische britische Working Class leben möchten – und wie irritierend es doch für genau jene ist, diese Touristen (im Doppelsinn) mit Sicherheitsnetz ein räudiges Leben simulieren zu sehen.
„it seemed to be in the air, that kind of patronising social voyeurism…I felt that of Parklife, for example, or Natural Born Killers – there is that noble savage notion. But if you walk round a council estate, there’s plenty of savagery and not much nobility going on.“, so Cocker 1996 im Q Magazine.
Kurios wird dieser Text übrigens durch einen real life Bezug, der zwar nie explizit bestätigt wurde, aber doch über den reinen Gerüchte-Status* hinaus ist: die griechische Studentin im Song soll die spätere Ehefrau von Yanis Varoufakis sein, also ausgerechnet jenes Anti-Austerity-Finanzministers, der als harter Sozialist damals Europa ins Wanken brachte (* Wikipedia weiß: „the London Evening Standard reported that an email exchange with Varoufakis indicated that there was truth in the rumour“). Schön, wie hier die echte Welt noch mal eine – angesichts der Lyrics – besonders absurde Schleife um dieses Songpaket gedreht hat!
A propos, wer erinnert sich noch an den frühen Böhmermann-Stunt „V For Varoufakis“, als dessen „Fake Finger“ für soviel Aufregung sorgte, dass selbst die New York Times einen Artikel mit einer der schösten denkbaren Überschriften „Greco German Fingergate gets stranger and stranger“ veröffentlichte ?
Musikalisch verbinden Pulp Roxy-Music-Glam mit Krautrock-Motorik, hymnischen Refrain mit Spoken-Word-Strophen. „Common People“ bringt vorher nicht Zusammengehörtes auf eine Single. Ab hier sind Pulp nicht mehr wegzudenken aus dem britischen Pop-Gedächtnis. Kaum ein Song dieser Ära hat solche Langlebigkeit bewiesen und existiert so sehr außerhalb von Genre-Grenzen. Nur einige der späteren Auszeichnungen: zweitbester Song der 90er bei Pitchfork, bester Brit-Pop-Song bei BBC, NME und dem US Rolling Stone sowie bei letzterem auch #75 bei den größten Songs aller Zeiten und #6 bei der gleichen Wahl des NME.
Exkurs:
1) Eine kuriose Coverversion hat Ben Folds 2004 mit Captain Kirk von Raumschiff Enterprise produziert. William Shatner sprechsingt „Common People“, Joe Jackson – berühmt für den New Wave Hit „Is She Really Going Out with Him?“ – übernimmt die Gesangsrolle:
2) Recht unbekannt – zumindest im nichtspanischsprachigen Raum, denn die Band dahinter ist die weltweit erfolgreichste spanische Band überhaupt – ist übrigens ein Song von Mecano, dessen Melodielinie faszinierende Ähnlichkeit mit „Common People“ aufweist. Die Performance bei „Los Amantes“ unterscheidet sich dann aber doch geringfügig von Pulp: