vonChristian Ihle 03.09.2025

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Blumfeld.

Kein Lied mehr?

Abschied nehmen. Abschied von geliebten Menschen. Abschied von falschen Vorstellungen. Abschied von gestern. Abschied von Worten, die einem manchmal hilfreich, manchmal belastend schienen. Abschied von Blumfeld. Viele, die zum letzten Konzert in die Hamburger Fabrik gekommen waren, schienen die Abschiedsfeier nicht allein ertragen zu können. Viele Paare, herausgeputzt mit den Blumfeld-Shirts der letzten Jahre, das Foto- und Videohandy im Anschlag, die Erwartungen an einen großen Abend mit großer Grabrede von Jochen waren hoch. Aber dann kam doch alles ganz anders.

Ein hochkonzentrierter Jochen Distelmeyer liefert mit „seiner“ Band einen souveränen, abgeklärten, lockeren 140-Minuten-set mit mehr als zwei Dutzend Beispielen der über 16jährigen Blumfeld-Geschichte ab, der zunächst mal zweierlei bewies: von „Draußen auf Kaution“, dem Opener direkt nach dem „Einmarsch der Gladiatoren“, bis zur x-ten Zugabe „Superstarfighter“, von der „Diktatur der Angepassten“ bis „JetSet“ – es gibt keinen Ausfall. Dieses Blumfeld-Konzert bewies mehr als alle noch so tollen Platten-Veröffentlichungen, wie sehr Blumfeld immer eine überzeugende Live-Band war. Ob zu „Ghettowelt“-Zeiten in kleinen Klubs oder zu Single-Hits wie „Graue Wolken“ oder „Tausend Tränen Tief“ bei den großen Open Airs. Die Blumfeld-Maschine rollt an diesem letzten Abend so locker-groovend wie selten durch die eigene Geschichte und die ihrer Zuhörer und Fans.

Dies ist nicht der Abend für Diskussionen über die persönlichen / politischen Entwicklungen / Verwerfungen / Enttäuschungen / Verwirrtheiten, die Jochen D. seit 1990 wie kein anderer hierzulande befördert hat. Nicht nur mit der Selbstdarstellung seiner eigenen Fragen / Zweifel / Wut / Unsicherheit, die er unvergleichlich gekonnt aus seiner cut-up-Denkfabrik dem verblüfften, erwartungsvollen, hungrigen Publikum vorsetzte. Auch die Bühnenpräsenz – jede Anbiederung an Rockklischees vermeidend, statt dessen auf der Basis der eigenen Blässe und gezielt eingesetzten Distanz – trug entscheidend bei zur Funktionstüchtigkeit des Jochen D. als charismatischer Identifikationsfigur. So reichen denn auch an diesem Abschiedsabend wenige sparsame Gesten, wenige Drehungen und vor allem wenig Worte, um Emotionen zu wecken.

Zwei Momente bleiben besonders hängen: Als „Der Apfelmann“ von „Verbotene Früchte“ beginnt, scheinen einige in der ausverkauften Halle zum Gehen entschlossen. Anders als zu Zeiten, als die Feuerzeug-Schwenker zu den „Feinden“ gezählt werden konnten, kann es sich Blumfeld heute leisten, das Publikum gospelmäßig zum Mitklatschen und Mitsingen zu animieren. Und da funktioniert dieser scheinbar so banale Song mit einmal, da weiß man, wie er gemeint sein könnte…(Die Hamburger Vorschul-Popper Die Zimmermänner haben das neulich im Mandarin Kasino auf die Spitze getrieben und ihr Publikum erfolgreich animiert, die eingeschalteten Handys zu schwenken). Und der zweite unvergessliche Moment: Gründungsmitglied Eike Bohlken wird von Jochen Distelmeyer auf die Bühne gebeten und zeigt bei „Zeittotschläger“ und „Penismonolog“, wie prägend sein Bass-Spiel für die frühen Blumfeld war. Nix gegen die Qualitäten des letzten Bassisten Lars Precht und nix gegen das strukturierende Keyboardspiel von Vredeber Albrecht. Mir kommen im Moment des umjubelten Eike-Bohlken-Auftritts andere Dinge und Menschen in den Sinn.

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Im Publikum steht Tobias Levin, in den ersten Jahren wichtige akustische und optische Bereicherung als zweiter Gitarrist. Oder Peter Thiessen, der vor einigen Jahren dann Kante zu seiner Erstband machte. Und Michael Mühlhaus, lange Zeit Vorbereiter für viele Blumfeld-Arrangements. Oder Chris von Rautenkranz, bis auf die letzte Platte der Begleiter Blumfelds bei allen Aufnahmen. Schade, dass keiner von denen in Jochens Danksagung erwähnt wird. Oder Gründungsmitglied Andre Rattay, der ja eigentlich schon raus war aus dieser vermeintlichen Einheit Blumfeld, aber dann doch bis zur letzten Sekunde den Takt gibt. Aber von diesem oder jenem Geschehen hinter den Kulissen ahnt das Publikum nichts – die Blumfeld-Welt scheint heil geblieben. Und wenn bei mir ein bitterer Beigeschmack bleibt, der wird die Pop-Welt nicht einstürzen lassen.

Dieser Abend wie auch die gesamte Abschieds-Tour bestätigen, wie solitär Jochen Distelmeyer in der Rock- und Pop-Landschaft noch lange bleiben wird. Da mag mancher die Wut und Wucht der frühen Jahre vermissen, aber J.D. ist kein Berufs-Jugendlicher. Er hat es immer wieder verstanden, sich aus der Umklammerung durch das identifikationsgeile Publikum und das marktorientierte Umfeld zu befreien und dem Blumfeld-Universum neue, vermeintlich unvereinbare Dimensionen injiziert. Mit viel Sonic Youth, mit Cohen und Dylan. Mit George Michael undundund… Auch dieser letzte Abend bewies, wie unkaputtbar das Werk von Blumfeld ist, wie sehr viele Stücke das Potenzial zum Klassiker haben, wie tief sie sich in die Herzen und Köpfe von mehr als einer Generation eingenistet haben.

Das Ende von Blumfeld wurde sicher nicht gestern oder vorgestern beschlossen. WarumWiesoWeshalb … darauf weiß Jochen D. sicher triftigere Antworten zu geben als „Aufhören wenn es am schönsten ist“. Auf jeden Fall hat er gelernt, wann es Zeit ist, den alten Strukturen Lebewohl zu sagen. Das Publikum muss sicher noch eine Zeitlang Trauer tragen. Und spätestens, wenn Jochen wieder mit einem neuen Projekt auf der Bühne steht, die selbstgefertigten JOCHEN-Shirts waschen und anziehen. Ich brauche keins. Ich habe meine Erinnerungen an viele aufregende, aufreibende, fruchtbare und manchmal weniger schöne gemeinsame Zeiten. Die bleiben so wichtig für mich wie das gesamte Blumfeld-Werk.

Last not least noch ein paar Worte für die Zukunft:

„ENDENEU“ (EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN)

„WER RAUSGEHT, MUSS AUCH WIEDER REINKOMMEN“ (HERBERT WEHNER)

Alfred Hilsberg

(Mit Dank an Felix Scharlau, der diesen Text aus dem Intro-Archiv gewühlt hat)

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