Traditionell ist das Spannendste am Reeperbahnfestival nicht die wenigen großen Namen, sondern die Menge an noch recht unbekannten Acts, die es zu entdecken gilt:
Einige Favoriten aus dieser Reihe:
– Conscious Pilot: deren „Halfway To Hackney“ zitiert Televisions „Marquee Moon“ nicht nur in den Lyrics, sondern auch offensichtlich im Sound
– Pastel: auch wenn sich die Band als ‚Shoegaze inspired‘ bezeichnet, ist „Deeper Than Holy“ doch ein so schönes Verneigen vor den Stone Roses, dass die Band natürlich nur aus Manchester kommen kann.
– Westside Cowboy: Alt-Country-Punk, wie ihn auch die Black Lips spielen. Favoriten von Ezra Furman.
– Sex Beat: nach dem Gun Club Song benannt und das gibt durchaus auch einen Eindruck vom Klang der Band. „This Machine Kills No One“ hat einen gemeinen Groove wie die besten The Kills – Tracks.
– Beaks: Österreicherin, die LCD Soundsystem verinnerlicht hat. Cooler als ein Eisbär.
– Drei Säcke Bauschutt: Post-Punk mit dem hervorragenden Paranoia-Song „Angst“, der an Human Abfalls Großtaten erinnert.
– Iedereen: Große Entdeckung auf dem Reeperbahnfestival 2023. Meine damaligen Worte gelten natürlich immer noch: Die neue Glitterhouse-Band sind zwei Typen mit unterschiedlich dichter Haarpracht, die beide dreckig rocken wie dünne Zeltingers. Eine Wucht!
– Witch Post: Die Lead-Gitarre in „The Wolf“ bohrt sich unwiderstehlich in alle Hörgänge. Die schottische Zwei-Personen-Band glänzt mit Edwyn-Collins-haften Vocals.
– TTSSFU: Singer/Songwriter-Shoegaze von der Enkelin Leonard Cohens. Muss man ja anhören.
– Getdown Services: sehr entspannter weiße Männer Funk, der sich nicht um Trendyness schert, aber erstens mit äußert amüsanten Lyrics punktet und zweitens den Schweiß ihrer Livekonzerte bis ins mp3 tropfen lässt.
– Lovehead: gerade mal vier Songs hat die österreichische Band bisher veröffentlicht, aber bereits mit ihren ersten beiden Lieder „Erdnussallergie“ und „Denkst du an mich“ die Millionen-Stream-Grenze überschritten. Letzterer bounced wie die Breeders, „Erdnussallergie“ ist dagegen eine wunderbar alberne feministische Faust.
– Gardens: noch mal Österreich. Gardens veröffentlichen auf dem immer geschmackssicheren Siluh-Label und spielen Dream-Pop, der sich aber nicht im Ungefähren verliert, sondern immer griffig bleibt.
– Robert Stadlober: ok, hat man natürlich schon mal gehört den Namen. Aber „Bellevue“ ist ein so herrlicher Berlin-Song aus seinem Tucholsky-Programm, dass man ihn einfach empfehlen muss!
– Sodl: die Gewinnerin des FM4-Awards verbindet in „I Am A Woman“ Mariachi-Bläser mit King-Hannah-Post-Grunge.
– Blondshell: Neben Wednesday und MJ Lenderman ist Bombshell der aufregendste Act, der einen grungeifizierten Folk-Rock neu denkt. Alle drei Künstlern vereint, dass sie Folk- und Country-Songs schreiben, diese aber in der Laut/Leise-Struktur des Alternative Rock der 90er spielen: Hole meets Neil Young.
– Honeyglaze: jangly Indiepop, der auch in den 90ern seinen Platz gefunden hätte. Dank persönlicher wie gesellschaftspolitisch gefärbter Texte von Sängerin Anouska Sokolow – wie in „Female Lead“ oder „Don’t“ – versprechen Honeyglaze einiges für die Zukunft.
– Zinn: Habe nie gewusst, dass ich eine österreichische Variante der Raveonettes vermisst hätte, aber hey, hier kommt ZINN mit „Black Lake“ und einer garagen-rocknroll geschwängerten Bonnie & Clyde – Geschichte über den Teufel.
Gibt es eigentlich auch Bands, die nicht über ihre 80er/90er-Anleihen definiert sind? Kommt man sich bei Sätzen wie „Mit ihrem 90er Jangly Indie Pop versprechen sie einiges für die Zukunft“ nicht ein bisschen albern vor?