vonChristian Ihle 24.10.2025

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Dracula: A Love Tale (2025, Regie: Luc Besson)
im Kino

Caleb Landry Jones ist sicher einer der außergewöhnlichsten Schauspieler dieser Jahre. Kein Schönling, aber interessant. Immer moody, aber dennoch von feraler Wildheit. Intensiv gefährlich, doch zärtlich. Luc Bessons Neuauflage des Dracula-Mythos ist wie für ihn geschaffen, geht Besson doch vor allem auf den romantischen Urboden der Geschichte. Und zwar nicht auf das Verführer-Klischee, sondern der, im Wortsinn, unsterblichen Liebe. Ergebnis aus dieser Gothic-Attitude mit Bessons nicht totzukriegendem Sinn fürs Knallige ist eine Art Goth-Pop in Film-Form.

Die Exposition, die Dracula noch als sterblichen Ritter gegen fremde Horden kämpfen lässt, ist die beste halbe Stunde, die Besson in diesem Jahrtausend auf die Leinwand gebracht hat. Die folgende Reise der Verzweiflung durch die Jahrhunderte lebt hauptsächlich von seinen Caleb-Landry-Jones-Momenten, doch wird der Film irgendwann so ziellos wie sein (Anti-)Held selbst und verbeisst sich in einzelne Szenen, findet aber trotz der großen Suche nach „der Einen“ keinen alles umspannenden Bogen mehr.

Dennoch: der beste Dracula-Versuch seit Francis Ford Coppola 1992? (6/10)

Swiped (2025, Regie: Rachel Lee Goldenberg)
auf Disney+

Der Spielfilm über die (Mit-)Gründerin von Tinder und Bumble ist zum einen Teil Start-Up-Parodie, zum anderen feministische Anklage gegen toxische Männlichkeit. Während der erste Part durchaus unterhaltsam ist (wenngleich nie den Wahnsinn der „WeCrashed“-Serie oder des „BlackBerry„-Films erreicht), ist die zweite Hälfte doch etwas selbstgenügsam in seinem Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen. (5/10)

It’s Not Me (2024, Regie: Leos Carax)
auf mubi

Ein semi-biographisches Essay von Leos Carax, das für mich oft genug undurchdringbar blieb, aber in seinen Bildern dennoch Wirkung zeigte. Carax 40minütige Abhandlung über Leben und die Kunst erinnert an Godards Spätwerke, ohne allerdings dessen didaktisch-beißenden Ton. Carax bleibt am Ende doch ein Romantiker. (7/10)

The Living End (1992, Regie: Gregg Araki)
auf mubi

Radikaler, früher Gregg Araki – Film, der bereits 1992 den Drang und Look der guten Seite des wilden Indie-Kinos der 90er mit Lo-Budget-Mitteln auf die Leinwand brachte.

Arakis Geschichte um zwei HIV-Infizierte on the run, die ihre totbringende Krankheit quasi als Freibrief für ein Leben ohne Grenzen verstehen und als Befreiung von der Gesellschaft sehen, ist in seiner Radikalität eine wirklich bemerkenswerte Gegenposition zur hollywood’schen Sicht auf Aids. Dass Araki dennoch keine reine Räuberpistole dreht, sondern tiefes emotionales Verständnis für seine Protagonisten am Rande von Allem mitbringt, macht „The Living End“ nur noch bemerkenswerter. (6/10)

Night Always Comes (2025, Regie: Benjamin Caron)
auf Netflix

Der seltene Fall eines richtig guten Netflix-Films, der dazu auch noch völlig untergegangen ist. Im Vergleich zum sonstigen Schrott, den dieses moderne Straight To Video Produzentenviech sonst rauswürgt, ist „Night Always Comes“ mit einer sehr engagierten Vanessa Kirby im Zentrum doch ein durch und durch gelungenes „night gone bad“-Thrillerdrama! Woher kommen denn hier die schlechten Bewertungen?

Ja, gegen Ende überstrapaziert das Drehbuch etwas die Issues, aber ich seh selbst das noch als löblichen Versuch, dem zentralen Charakter etwas mehr Background und Wahrhaftigkeit zu geben, denn – Trauma hin oder her – dadurch begründet sich schon die Sackgasse, in der ihr Leben steckt.

Eine düstere Abwärtsspirale, die ein kaputtes Leben in einer Nacht spiegelt, und am Ende vielleicht doch noch einen kleinen Hoffnungsschimmer bereithält. (7/10)

Captain America: Brave New World (2025, Regie: Julius Onah)
auf Disney+

Zwar keine Vollkatastrophe wie zuletzt „Eternals“ und dankenswerterweise im Vergleich zu den jüngsten Marvel-Filmen halbwegs geerdet, aber dafür dass „Captain America“ eigentlich ein mir angenehmes Genre bespielt (Action-Polit-Thriller), doch erstaunlich öde, ohne jeden Zug, Überraschung oder gar erinnerungswerten Charakteren.

Ich hätte auch nie gedacht, dass ich dem alten Holzgesicht Chris Evans ein Tränchen nachweine, aber Anthony Mackie als neuer Captain America lässt nun wirklich jegliche Präsenz vermissen. Ein von vorne bis hinten völlig egaler Film, ein in jeder Hinsicht lieblos heruntergedrehtes Contentfutter. (4/10)

Cutter’s Way (1981, Regie: Ivan Passer)
auf amazon prime

Atmosphärisch und inhaltlich ein später New-Hollywood-Nachklapp: zwar geht es im Plot der Geschichte um einen versehentlich beobachteten Mord und dessen Aufklärung, aber inhaltlich um die Kaputtheit der Welt, ihre Machtstrukturen und die Verzweiflung daran. Leicht macht es „Cutter’s Way“ dem Zuschauer nicht: beide Hauptfiguren sind schwierig, der eine ein gern in Bettchen hupfender Schönling (Jeff Bridges) ohne wirklichen moralischen Kompass, der andere ein dem Alkoholismus verfallener Vietnamveteran (John Heard), dessen Drang nach Gerechtigkeit nur ein dünn verkleideter Wunsch nach Selbstauslöschung ist. Wenn ich das so schreibe, klingt „Cutter’s Way“ allerdings weit faszinierender als der Film am Ende auf der Leinwand wirkt. Letztlich mehr interessant als gut. (5/10)

Nikki Glaser: Someday You’ll Die (2024, Regie: Hamish Hamilton)
auf Netflix

Dieses Standup-Special der US-Comedian Nikki Glaser lebt hauptsächlich von dem wohl immer noch transgressiv wirkenden Ansatz, dass eine weibliche Comedian „freche“, slutty Jokes macht. Reclaiming gut und schön, aber etwas mehr Pointen-Payoff im Gangbang-Setup wär mir lieber gewesen. (5/10)

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