One Battle After Another (2025, Regie: Paul Thomas Anderson)
im Kino
Selten einen Film letztlich so herausragend gefunden, dessen erste 20 Minuten ich regelrecht gehasst habe. Die Exposition, ein Kommentar zum Revolutionschic und zur Sexyness von Gewalt, war mir zu platt und zu direkt, dass auch all der gerechte Furor gegen die Umstände in mir nichts regen konnte.
Doch dann, als der Film 16 Jahre in die Zukunft, unsere Gegenwart, springt, die Anführerin Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor) zunächst aus dem Film verschwindet, ihr Partner Ghetto Pat (Leo DiCaprio) als abgefuckter Stoner unter falscher Identität lebt und Benicio Del Toro als Karate-Meister mit der wunderbarsten Zen-Entspanntheit im verrücktesten Trubel den Film eigenhändig rettet, hat es geklickt. Auch wenn alles, was im Folgenden passiert, seinen Grund in den ersten 20 Minuten hat, schaut „One Battle After Another“ nicht mehr zurück, sondern rast für die folgenden mehr als zwei Stunden in einer irren Fahrt durch die Wellentäler von Politik, Befreiung und Familie.
Das von Thomas Pynchons „Vineland“ inspirierte „One Battle After Another“ bleibt trotz seiner weitverzweigten Story, die gern ihre Auswege in irrsinnig labyrinthinischen Settings sucht, immer griffig genug, weil der Film durch seine Vater-Tochter-Beziehung im Zentrum geeredet wird, die der bis zum äußersten überzeichnete Gegner (Sean Penn als Steven J Lockjaw) zerreissen will.
Paul Thomas Andersons Revolutionssatire mit goldenem Herz kulminiert in einer Dreier-Auto-Verfolgungsjagd, die für dieses doch in der Zwischenzeit recht triste Stilmittel neue Bilder findet. Sie gleicht mehr einer wilden Seefahrt durch ärgste Wellen in gleißender Sonne als einer „Fast & Furious“-Angeber-Materialschlacht.
Trotz 162 Minuten Spielzeit ein so rasanter Trip, dass man noch ewig weiterschauen könnte. Film des Jahres Anwärter. (8/10)
Ballad of a Small Player (2025, Regie: Edward Berger)
auf Netflix
Nach „Im Westen nichts neues“ und „Konklave“, seinen zwei großen, jeweils oscarnominierten Hits, kehrt Edward Berger für Netflix mit einem Spielhöllen-Fiebertraum zurück. In Macau, dem Las Vegas des Ostens, ist der britische Hochstapler Lord Doyle gestrandet und hofft auf ein letztes großes Spiel, das all seine Probleme für immer lösen wird. Das Herz bumpert, die Schweißtropfen perlen, aber die Hoffnung, die Hoffnung!
Berger inszeniert seine Spieler-Ballade wie einen Neon-Albtraum, der zuviel Nicolas Winding Refn – Filme gebinged hat. Das ist alles schön anzusehen und hat auch bis zur Hälfte dank Colin Farrell noch genügend schmierigen Charme, um den Zuschauer in diese Welt hineinzuziehen. In seinem zweiten Part driftet Bergers Film allerdings immer weiter aus der Realität, wird psychedelischer, weniger greifbar und damit auch egaler. Insbesondere die rettende, selbst verdammte Figur, die für Farrells Charakter zu einem letzten Anker wird, ist kaum nachvollziehbar gezeichnet und driftet rein und raus aus dem Film, wie der Plot es gerade für nötig hält – eine asiatische Ensprechung des Magical Negro-Tropes. (6/10)
Hot Milk (2025, Regie: Rebecca Lenkiewicz)
auf mubi
Zwei Geschichten zum Preis von einer, doch wirkt der zweite Erzählstrang wie das fürchterliche Dessert, das einem den Hauptgang auch noch nachträglich verleidet.
Während die toxische Mutter-Tochter-Beziehung überzeugt und durchaus sogar mehr Raum hätte einnehmen dürfen, ist die Liebelei zwischen Emma Mackey und Vicky Krieps von bemerkenswerter Egalheit. Welche Zuneigung, welches Knistern hier zwischen den beiden existieren soll, bleibt einfach rätselhaft.
Krieps, die mit ihrem fürchterlichen Kopftuch auf einem Pferd den Strand entlangreitet, ist ein nur schwer zu ertragendes Unangepasstheitsklischee. (5/10)
Play Dirty (2025, Shane Black)
auf amazon prime
„Play Dirty“ beruht auf der Figur des Meisterkriminellen Parker, der schon Vorlage für viele Filme, unter anderem den existentialistischen Krimi-Klassiker „Point Blank“, gegeben hat.
Shane Black, einst für den Bruce-Willis-Knaller „Last Boy Scout“ bestbezahlter Drehbuchautor der Welt, hat diesen Charakter in eine typische Shane-Black-Geschichte geschrieben und gleich auch noch inszeniert. Folge davon also hoher Body- und Oneliner-Count als wäre 1995. Eine Gleichzeitigkeit von egaler, aber deutlich dargestellter Gewalt mit ständigem Gefrozzel zwischen den Protagonisten ist die magische Shane-Black-Suppe. Das fühlt sich selbstredend 30 Jahre später dated an, weckt aber auch fast schon nostalgische Gefühle, dass ein Film wie „Play Dirty“ in den 90ern sicher ein Blockbuster gewesen wäre (und heutzutage auf Amazon verstreamed).
Inhaltlich ist es mir etwas zu überladen und vor allem der letztlich große Trick für mein Dafürhalten auch ein großer Quatsch. Das hat Soderbergh in „Ocean’s Eleven“ sicherlich mit mehr Eleganz auf den Bildschirm gebracht. Immerhin ist „Play Dirty“ auch kein Ärgernis und hat mit Lakeith Stanfield & Rosa Salazar zwei erfrischende Sidekicks. Mark Wahlberg in der Hauptrolle ist von David Ehrlich bei Indiewire treffend mit dem Musterbeispiel eines vergifteten Kompliments bedacht worden: „his “fuck anyone who tries to big-time me” Boston affect suits the character just fine, and he deserves some credit for being one of the few actors who can convincingly lead a funny car chase, shoot a semi-innocent bystander in the head, and then hand his widow a $10,000 stack of cash all without having to change the expression on his face“. (5/10)
Eenie Meanie (2025, Regie: Shawn Simmons)
auf Disney+
Ein Throwback zum Sub-Tarantino-Kino der 90er, gepaart mit „Baby Driver“-Vibes. Ein ausreichend unterhaltsamer Ritt, wenn man dem Genre des Heist/Autoverfolgungsjagd-Films etwas abgewinnen kann.
Allerdings muss ich schon sagen, dass die „coolen Actionszenen“ für mich heute einfach nicht mehr so gut funktionieren wie vielleicht noch in den 90ern. Ich denke, „Eenie Meanie“ weiß selbst um dieses Problem, denn tonal ist Shawn Simmons Film oft unentschieden. Neben dem coolen Gangster-Gefrozzel baut Simmons auch noch eine zweite, ernsthafte Ebene auf, die sich um Fragen der unbedingten Loyalität dreht. (6/10)
Mein Leben mit Amanda (2018, Regie: Mikhaël Hers)
zur Leihe
Als seine Schwester tragisch stirbt, muss der junge, selbst noch im Slacker-Modus des Lebens befindliche Bruder die Fürsorge der sechsjährigen Amanda übernehmen.
Mikhaël Hers zeigt den Struggle in impressionistischen Szenen und mit französischer Leichtigkeit, die zwar die Schwere der Situation und die Tragik des Lebens nicht verneint, aber auch nie in Trauerkino abrutscht. (6/10)
My First Film (2024, Regie: Zia Anger)
auf mubi
Meta-Film übers Filmemachen, der aber irgendwann zu sehr in eine woe me-Stimmung abdriftet.
Seine besten Szenen hat Zia Angers Film-Film, wenn er die außer Kontrolle geratenen Drehsituationen zeigt, ihre fehlende Standhaftigkeit in Diskussionen bei gleichzeitiger Ignoranz den anderen Mitkünstler gegenüber. (5/10)
The Thursday Murder Club (2025, Regie: Chris Columbus)
auf Netflix
Alte-Leute-Fernsehen in Reinkultur, dank Netflix-Geld immerhin mit einer bemerkwenswerten Besetzung (Pierce Brosnan, Ben Kingsley, Helen Mirren). Gehört eigentlich auf einen ZDF-Sendeplatz um 20.15, selbst die beabsichtigte Drolligkeit versinkt im öden Drehbuch. (4/10)