vonChristian Ihle 17.11.2025

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Frankenstein (2025, Guillermo del Toro)
auf Netflix

Angesichts von Guillermo Del Toros Filmographie ist wenig überraschend, dass „Frankenstein“ ein lange gehegtes Herzensprojekt von ihm war. 120 Millionen Dollar stellte Netflix für seine Verfilmung der Mary-Shelley-Legende zur Verfügung, deshalb ist es noch enttäuschender wie schlimm „Frankenstein“ aussieht. Ist irgendeine Szene in diesem Film nicht mit CGI zugekleistert? Das Gefühl sagt mehr „Disney Live Action“-Variante von König der Löwen als schaurig-schöner Goth-Klassiker.

Del Toro findet nur wenige überzeugende Bilder in diesem Computermatsch, Oscar Isaac als Victor Frankenstein overacted sogar Christoph Waltz an die Wand und die Kreatur ist für mein Dafürhalten bei aller Riesenhaftigkeit zu zart.

Ist das nicht gerade der Punkt in den gelungenen Frankenstein-Versionen, ob im Klassiker von James Whale (1931) oder bei Kenneth Brannaghs damals umstrittener Neuverfilmung mit de Niro von 1994, dass die äußere Hässlichkeit und Harschheit so im Kontrast mit dem Sehnen nach Liebe und der eben doch vorhandenen Zärtlichkeit steht? Wenn hier Jacob Elordi mit feinsten Nasenzügen bereits vom ersten Auftritt im Film an nur Verletzlichkeit ausstrahlt, fehlt der Geschichte doch jede Fallhöhe oder Wendung.

Da kurioserweise ja der andere Goth-Horror-Klassiker „Dracula“ ebenfalls justament eine Neuverfilmung mit großem Namen auf dem Regiestuhl erfahren hat, zwingt sich ein Vergleich ja auf: Bessons „Dracula“ ist zwar sicher auch kein unsterbliches Meisterwerk, aber er hat wenigstens Bilder, eine Idee, viel Pop, noch mehr Camp und einen Caleb Landry Jones in der Hauptrolle mit feraler Besessenheit, womit er Del Toros „Frankenstein“ in jeder Hinsicht übertrifft. (4/10)

Thunderbolts* (2025, Jake Schreier)
auf Disney+

THUNDERBOLTS* and lightning,
not very very frightening me

Der Superhelden-Film als Trauma-Bewältigungsmaschine ist ja nichts neues, aber „Thunderbolts*“ ist quasi keine Allegorie mehr, sondern einfach 1:1 bipolar. Das macht diesen Marvel-Film zugleich kleiner, weil simpler, aber auch weniger verquastet, direkter.

Einige Szenen und Sets haben eine schöne Rauheit, die man im MCU selten sieht, allerdings bleibt sich „Thunderbolts*“ unabsichtlich auch hier in der Bipolarität treu und mischt seine angenehm düstere Depri-Sicht auf die Welt mit herzlich unlustigen Oneliner-Versuchen und Team-Kabbeleien.

Am Schönsten ist eigentlich der Abspann, der ikonische Bilder und Magazine (The New Yorker <3) in den Kontext des Films setzt und die Entwicklung seiner Helden in den nächsten Monate vorzeichnet. Das hat mehr Style und Esprit als das Meiste aus den vorangegangenen zwei Stunden.

Pépé le Moko (1937, Julien Duvivier)
auf mubi

„Pépé le Moko“ beginnt als Film Noir und endet als Liebesmelodram. In den engen, verwinkelten Gassen des Casbah von Algiers lebt und herrscht Pépé, ein charmanter, suaver Krimineller, um den sich die Misfits, Drogis und Glücksritter scharen. Verzweifelt versucht die Polizei Pépé aus seinem Revier ins Offene zu locken und scheut auch vor hinterhältigen Taktiken nicht zurück. Am Ende ist es natürlich die Liebe, die Pépé den Kopf kostet.

Ein elegantes Krimi-Melodram, das weniger angestaubt ist, als es sein Entstehungsjahr 1937 vermuten lassen würde. (7/10)

Verrat auf Befehl (1962, George Seaton)

Auch wenn anfangs der Expositiondump via Off-Kommentar überhand zu nehmen droht, entwickelt sich „Verrat auf Befehl“ mit der Zeit doch zu einem starken Doppelagenten-Film, der – vielleicht auch aufgrund seiner der geringen Karenzzeit von Krieg zu Dreharbeiten – die Nazigräuel hier nicht nur als exploitative Staffage nutzt, sondern für einen Film über Spione erstaunlich ernsthaft und ehrlich betroffen thematisiert. Ein gut geschriebenes Drehbuch, das vor allem Lilli Palmer starke Szenen zugesteht.

Beginnt „Verrat auf Befehl“ noch als Agentenschnurre und Krimi, endet er doch als bedrückendes Drama über die so umfassenden Zerstörungen durch Krieg und Nazis.
Ein zu Unrecht in Vergessenheit geratener Film! (7/10)

The Amateur (2025, James Hawes)
auf Disney+

Paranoia-Agenten-Thriller, der durchaus unterhaltsam ist, aber schon etwas arg viel Unwahrscheinlichkeiten bzw. verdeckte Talente auf Rami Maleks Computeranalystenrücken bündelt.

Erstaunlich, wieviele mittelgroße Namen (Fishburne, Stuhlbarg, Brosnahan, Bernthal) der Film komplett in zu skizzenhaft geschriebenen Nebenrollen verschenkt. (5/10)

Wrong Place (2022, Mike Burns)
auf amazon prime

„Wrong Place“ oder „Angeschossen durch den Wald humpeln – Der Film“. Irgendwann schleppen sich alle Figuren in diesem Bruce-Willis-Spätphase-Rumpler durch das Gehölz, nachdem sie sich gegenseitig eine Kugel verpasst haben. Bruce-Anteil diesmal recht niedrig, Langeweile dafür hoch. (3/10)

Inside a Skinhead (2001, Henry Bean)
auf mubi

Ryan Gosling spielt hier in einer sehr frühen Rolle einen jüdischen Neonazi, der dank seiner gewandten Rhetorik und bemerkenswerten Intelligenz sowohl innerhalb der faschistischen Skinheads als auch in den bürgerlichen Kreisen des Antisemetismus schnell zum Wortführer aufsteigt.

In seiner zweiten Hälfte lässt der Film gewisse Ambivalenzen zu, ob Goslings Skin nun aus Selbsthass oder Zugehörigkeitssehnen diesen Weg eingeschlagen hat – oder letzten Endes gar eine zu Ende gedachte Unterwanderung der rechten Szene im Sinn hat. Letzteres wirkt allerdings mehr wie ein etwas bemühtes Notausgangstürchen für den Zuschauer, Goslings Charakter heimliche Sympathien zuzugestehen, als dass sie sich aus der Geschichte heraus wirklich schlüssig ergeben würde.

Gut und mit einem damals schon überzeugenden Ryan Gosling, wenngleich nicht mit der Intensität wie der verwandte „American History X“. (6/10)

In die Sonne schauen (2025, Mascha Schilinski)
im Kino & auf DVD

Ein impressionistischer Blick auf Unterdrückung – und daraus folgende Depressionen – über Generationen von Frauen hinweg.

Mascha Schilinskis in Cannes mit dem Preis der Jury* ausgezeichneter Film setzt dank seiner bemerkenswert eigenen Bild- und Tonsprache mutig auf Fühlen statt Erzählen und entwickelt über verschiedene Szenen unterschiedlicher Frauen am gleichen Hof in anderen Generationen eine Ahnung von der Bedrückung, die auf all diesen Figuren lastet. Auch wenn der geweitete Blick über die verschiedenen Zeitebenen hinweg sicher eine der bemerkenswert vielen wagemutigen Entscheidungen des Films ist, verwässert die Jetzt-Zeit allerdings auch die Klarheit der vorher so überzeugend vermittelten Repressionsstrukturen. (6/10)

* übrigens bemerkenswerte Auszeichnung, denn die bisherigen Cannes-Gewinner aus Deutschland der drei großen dortigen Auszeichnungen lassen sich an einer Hand abzählen:

– 1959 Preis der Jury: „Sterne“ (Konrad Wolf)
– 1975 Großer Preis der Jury: „Jeder für sich und Gott gegen alle“ (Werner Herzog)
– 1979 Goldene Palme: „Die Blechtrommel“ (Volker Schlöndorff)
– 1984 Goldene Palme: „Paris, Texas“ (Wim Wenders)
– 1993 Großer Preis der Jury: „In weiter Ferne, so nah!“ (Wim Wenders)

(dazu noch zwei mal beste Regie für Herzog (82: Fitzcarraldo) und – erneut – Wenders (87: Der Himmel über Berlin). Wim mögen sie an der Croisette aber mal echt!)

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