vonChristian Ihle 23.11.2025

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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September 5 (2024, Tim Fehlbaum)
auf Netflix

Ein Kammerspiel zu den olympischen Attentaten von München 1972: der deutsche Regisseur Tim Fehlbaum (oscarnominiert für das auch von ihm geschriebene Drehbuch) inszeniert diesen Albtraum der Sportgeschichte mit verblüffend einfachen Mitteln, ohne dabei aber die Wucht des Moments zu verlieren.

„September 5“ spielt quasi ausschließlich innerhalb des Übertragungsstudios des für die Olympiasendung zuständigen amerikanischen Fernsehsenders. Wir sehen wie Sportjournalisten die Weltbedeutung spüren, wie sie hin- und hergerissen sind, aus dem (auch karrieristischen) Willen, als unfreiwillig embedded journalists direkt von der Frontlinie des Terrors berichten zu können, und der Überforderung, die sich aus den Implikationen ergeben – sowohl in ethischer Sicht (zeigt man mögliche Morde live on air? zeigt man den parallel stattfindenden Sport?) wie in politischer Perspektive (kann ein Sportreporter den Israel-Palästina-Konflikt ebenso gut einordnen wie einen 100m-Lauf?).
Damit öffnet Tim Fehlbaum eine ganze Kiste an interessanten Fragen, die er seine Charaktere durchleiden lässt.

Gerade weil wir als Zuschauer wie die Protagonisten von den Ereignissen überrascht werden, uns mit ihnen erst die Zusammenhänge erarbeiten und damit auch die Bedeutung der Geschichte verstehen, ist „September 5“ irre spannend und gegen Ende im Erfahren von unvollständigen, manchmal gar falschen Informationen erschütternd.

Einer der besten Filme des Jahres. (8/10)

Exterritorial (2025, Christian Zübert)
auf Netflix

„Lammbock“-Regisseur Christian Zübert mit seinem Beitrag zum Mensch-verschwindet-ist-es-Wahn-ist-es-Wirklichkeit-Genre, das in den letzten Jahren eigentlich nur noch mit Frauen in zentraler Rolle spielt. Irgendwie das Manic Pixie Girl der Neuzeit.

„Exterritorial“ beginnt recht gut, indem Zübert die von Susanne Michel gespielte Ex-Soldatin mit Trauma-Handgepäck in einem amerikanischen Konsulat stranden lässt und so glaubwürdig die Figur auf sich alleine stellt (da Botschaften ja einen extraterritorialen Status haben, daher auch der Filmtitel).

Leider gerät die Auflösung etwas fad und ist der Look des Films schon arg Streaming-TV statt Spielfilm. Aber in seiner Struktur immerhin besser als der inhaltlich verwandte, ebenfalls gerade auf Netflix erschienene „Woman in Cabin 10“. (5/10)

Sparta (2022, Ulrich Seidl)
zur Leihe

Selbst für Seidl-Verhältnisse ein arg trister Film, der, vielleicht auch aufgrund seines schweren Themas, jeglichen Humor missen lässt und ganz tief in die Leere eintaucht. Georg Friedrich spielt seinen zerrissenen Protagonisten überzeugend, indem er jegliches Zuviel vermeidet.

„Sparta“ erinnert in seiner Tristheit an Seidls frühe Großtat „Import Export“, als er auch damals in die wirtschaftliche Trostlosigkeit des Ostblocks eintaucht (dort Ukraine, hier Rumänien) und diese Bilder des Verfalls mit sexuellen Begierden der unangenehmen Art paart. Zuweilen wirkt der Blick auf die rumänischen Familien mit saufenden Vätern, die nur in der toxischsten Version von Männlichkeit ein Selbstwertgefühl entwickeln können, allerdings klischeebeladen und etwas zynisch. (5/10)

Die Tochter (2017, Mascha Schilinski)
auf mubi

Mascha Schilinskis Debütfilm acht Jahre vor ihrer Arthouse-Sensation „In die Sonne schauen“ ist nicht so (über?)ambitioniert wie der spätere Durchbruchsfilm, sondern spielt im Lieblingsgenre des deutschen Kinos der 2000er: Mittdreißiger auf Suche nach Sinn.

Hier allerdings verstärkt durch eine komplexe Beziehungsdynamik zwischen den beiden Hauptfiguren, die durch die Anwesenheit der gemeinsamen Tochter erschwert wird. Interessant dabei vor allem, dass der Film zunächst entgegen der Erwartung den Vater als leidenden Hund, aber liebevollen Papa darstellt, die Mutter dagegen als Egotante. Später, als die kaputte Beziehung wieder zu heilen beginnt, kämpft die Tochter (Helena Zengel aus „Systemsprenger, erneut stark) gegen die neu aufflammende Beziehung zwischen den Eltern, weil sie die Liebe des Vaters zur Mutter als Zurücksetzung ihrer selbst versteht. Das letzte Drittel findet dann allerdings keinen rechten Fokus mehr und so tröpfelt „Die Tochter“ aus statt die mit Bedeutungsschwere aufgeladene erste Hälfte in eine treffende Lösung zu kulminieren. (6/10)

All We Imagine as Light (2024, Payal Kapadia)
auf mubi

Payal Kapadia gelingt in „All We Imagine as Light“ eine verblüffende Gleichzeitigkeit aus harschem Neo-Realismus, der die Beschwerlichkeiten des indischen Working-Class-Lebens zeigt, mit einer poetisch-flirrenden Leichtigkeit in anderen Szenen, die an französisches Sommerkino erinnern.

Insbesondere die Bilder in diesen Szenen machen „All We Imagine as Light“ zu einem sehenswerten Film, wohingegen inhaltlich mich Kapadias Überraschungserfolg (Regienominierung für Golden Globe und Jahressieger bei „Sight & Sound“) nie genug bekommen hat, um diese Lorbeeren ganz verstehen zu können. (6/10)

The Assessment (2024, Fleur Fortuné)
zur Leihe

In einer rohstoffarmen Zukunft ist die Geburt eines Kindes nicht mehr eine private Entscheidung, sondern wird via eines wochenlangen Beziehungsüberprüfungsbesuchs vom Staat freigegeben. Wie dieses Leben unter einer Lupe ein Ehepaar zerreisst, ist das Thema von „The Assessment“, das zum Gutteil gelungen als kammerspielartige Sci-Fi-Dystopie spielt, aber ihrem „Black Mirror in Spielfilmlänge“-Ruch letztlich nicht entfliehen kann. (6/10)

Eight Eyes (2023, Austin Jennings)
zur Leihe

A Serbian Chainsaw Massacre. „Eight Eyes“ ist ein erfreulich langsam aufbauender Horrorfilm, der erst in seiner letzten halben Stunde eskaliert.

Bis dahin die alte Geschichte: amerikanisches Pärchen auf Trip durch Osteuropa, was kann schief gehen?
Heißer Lonely-Planet-Insider-Tipp meinerseits: Eventuell nächstes Mal doch nicht mit dem einäugigen Wahnsinnigen im Zug anfreunden und seine Familie im Hinterland besuchen?

„Eight Eyes“ ist im grobkörnigen 70er-Jahre-Stil gedreht, was dem Film eine angemessene Dreckigkeit gibt, die viele moderne Horrorfilme sonst vermissen lassen. Etwas schräg ist die inszenatorische Idee, diesen quasidokumentarischen Look mit psychedelischen Sequenzen wie aus Cosmatos- oder Kenneth-Anger-Filmen zu paaren und letztlich gar die Auflösung im flirrenden Unsinn zu verorten.

Für mich deshalb ein etwas antiklimatisches Ende, das auch nicht ganz zur erfreulichen Griffigkeit des Vorangegangen passen mag, was aber der Wirkung von „Eight Eyes“ dennoch keinen ernsten Schaden zufügt. (7/10)

Pumuckl und das große Missverständnis (2025, Marcus H. Rosenmüller)
im Kino

Habe als Kind die rothaarige Nervensäge Pumuckl ja immer gehasst, von daher keinerlei Nostalgie-Anwandlungen meinerseits bei der Neuauflage.

Doch muss sagen: Florian Brückner bewegt sich als junger Meister Eder in den großen Fußstapfen des Gustl Bayrhammer erstaunlich gewandt und es ist generell eine Freude, dass man sich der meisten Modernisierungsanwandlungen versagt hat. Kein 3D, kein Bummertechno, kein Firlefanz, sondern einfach eine schöne, kurzweilige kleine Geschichte, die sogar mehr rührend als witzig ist. (6/10)

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