Da hatte jemand im Öffentlich-Rechtlichen aber eine wirklich formidable Idee: die Fallen Giants des deutschen Fußballs als Vorlage für kurz-knackige Dokumentationsserien zu nehmen, die wie hochemotionale Politthriller im Fußballumfeld spielen. Die ersten drei Staffeln befassen sich mit TSV 1860 München, dem 1. FC Kaiserslautern und dem VfB Stuttgart*.
Die Geschichte von 1860 wird dabei als einzige mit fünf statt drei Halbstündern bedacht, denn unten in München-Giesing ist wirklich zu viel passiert, als dass man es in 90 Minuten wegerzählen könnte. Aufstieg aus den Niederungen nach langem Dahinvegetieren in der Unterklassigkeit, Durchmarsch in die erste Bundesliga, Champions League, Stadionneubau, Abstieg, Investoren-Einstieg, Konkurs. Wildmoser, Lorant. Und daneben wie ein Muppet-Show-Waldorf/Statler immer Uli Hoeness im Kommentiersessel, der sich der Unfähigkeit des kleinen Nachbarn wegen echauffiert/erfreut.
Die erste Folge steigt verhältnismäßig spät in dieser wirklich irren Achterbahngeschichte direkt mit dem Verkauf an einen arabischen Investor ein. Bemerkenswert, wie es der Erzählung gelingt, beide Seiten des großen Familienkampfes Fans vs Inhaber mit so aufrichtigem Interesse darzustellen, dass man nicht umhin kommt, eine gewisse Empathie sogar für den Investoren zu entwickeln, selbst wenn man sich „50+1“ aus Überzeugung auf die Unterlippe tättowieren möchte. Dazu verankert die Doku gelungen 1860 als Arbeiterklasse-Klub, zeigt die Bierfahrer und Reinigungskräfte, die ihr mühsam erarbeitetes Geld ins Grünwalder tragen und bei allem Ärger dort doch ihren emotionalen Anker finden.
In der zweiten und dritten Episode werden dann die eigentlichen Geschenke ausgepackt, der Bogen zu Wildmoser / Lorant geschlagen und tief in die 90er, bis in die Bayernliga, abgetaucht. Man muss die beiden Unikate, die den 1860 der modernen Ära geprägt habe, ja nicht mögen, aber aus heutiger Sicht: was für wunderbar irre characters das waren! Sehnsucht!
In dieser Phase wird die Serie und 1860 zum gift that keeps on giving. Allein in Folge 3 Stadionneubau, Wildmoser’scher Größenwahn, Lorant-Entlassung, Kioyo-Fehlschuss, Gefängnis-Einfahrt zu hervorragendem Soundtrack von Bibiza, Underworld, Radiohead, Gorillaz & Fontaines D.C…
In seiner Aufmachung mag „Rise & Fall“ nicht ganz so fancy und einfallsreich wie die sensationelle „FC Hollywood“-Doku des ZDF sein, aber gut, das ist wohl die alte Geschichte: geht’s um 60, ist eben alles grundierter und der nicht minder große Wahnsinn eher auf Eckkneipen- statt P1-Niveau. Weniger spektakulär, in seinem ständigen Scheitern aber sicher sympathischer.
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(*warum der VfB Stuttgart hier als dritter Verein mit einer „Rise & Fall“-Serie bedacht wird, erschließt sich mir nicht ganz. Der HSV, Hertha oder ein gewisser Rekordmeister aus fränkischen Breiten böten sich mit ihrer Historie ja doch weitaus mehr für eine Achterbahngeschichte sondersgleichen an als die Streber aus dem Schwabenland, die zwar kurz mal Hallo in der Zweiten Liga sagten, aber dann doch wieder in Champions-League-Gefilden spielten)