vonSigrid Deitelhoff 19.06.2014

Prinzenbad-Blog

Freibad-Wetter, gefühlte Wassertemperatur, Gespräche und Gedanken unter der Dusche – der Blog über Deutschlands berühmteste Badeanstalt.

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… wenn Berlin wegen Überfüllung geschlossen ist. Nur das Prinzenbad ist zur Zeit nicht überfüllt, trotz des schönen Sommers. Das ist mehr als bedenklich!

Am Pfingstwochenende war es im Prinzenbad zwar mehr als voll, aber schon zwei Tage später teilte ich mir bei einer Lufttemperatur von 30 Grad mit nur 18 PrinzenbadlerInnen das Mehrzweckbecken. Etwa die gleiche Anzahl an SchwimmerInnen trainierte im Sportbecken. Im Kinderbecken spielten zwei Kids mit einem Ball, ein Teenagerpärchen knutschte und ein kleiner Junge hatte die Wasserrutsche für sich allein. Die Temperaturen haben sich seit Mitte der vergangenen Woche auf 20 bis 25 Grad eingependelt und die Besucherzahl ist weiterhin stabil gering – Tag für Tag, es sei denn Schulklassen verlagern ihren Schwimmunterricht ins Freibad, dann ist das Bad mal zeitweilig voller…

Vor ein paar Tagen hatte eine Freundin das Schwimmbecken dann ganz für sich allein und das an einem Samstag nachmittag um 17 Uhr bei Sonnenschein. Nicht zu fassen! Ich gehöre seit vielen Jahren zu den Prinzenbad-Stammgästen. Noch nie habe ich das Freibad so leer  wie in diesem Jahr erlebt.
Traumhafte Trainingsbedingungen für die PrinzenbadlerInnen? Nein, wahrlich nicht! Irgendwas stimmt da nicht…

Während ich so meine Bahnen ziehe, fällt mir die Kurzmeldung in der rbb-Abendschau vor ein paar Tagen ein: Die Familienkarte würde – anders als erwartet – nur von wenigen BerlinerInnen genutzt. Das ist eine merkwürdige Information. Eigentlich ist der Preis für zwei Erwachsene mit bis zu 5 Kindern für insgesamt 11,50 Euro preisgünstig. Aber anscheinend ist es in Berlin unrealistisch, zusätzlich zu den eigenen Kids noch Kinder von Nachbarn und Freunden einzusammeln, um so den günstigen Familientarif zu nutzen. Vielleicht passt dieses Familienkarten-Konzept nicht zu einer Großstadt wie Berlin, sondern eignet sich eher für kleinere Städte, wie z.B. für Delmenhorst.

Ausserdem wußte der rbb zu berichten, dass die Bäderbetriebe im ersten Quartal 2014 im Vergleich zum Vorjahr eine Umsatzsteigerung um 6,4 Prozent erzielt haben, obwohl die Besucherzahlen um sechs Prozent zurückgegangen seien. Diesbezüglich gab es eine Anfrage der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus an die Berliner Innenverwaltung.

Die Berliner Bäderbetriebe zeigen sich aber vom Rückgang der Besucherzahlen wenig beunruhigt, da durch die neuen, höheren Preise die Einnahmen nicht gesunken, sondern gestiegen sind. Diese Aussage muss man sich mal auf der Zunge zergehen bzw. im Kopf herumkreisen lassen. Das bedeutet ja: Weniger Menschen gehen also für höhere Preise schwimmen. Und das ist auch gut so? Da stellt sich die Frage, wer geht inzwischen schwimmen und wer nicht mehr? Wer wird ausgegrenzt? Die Schwimmbäder sind also nur noch für die besser verdienende Bevölkerung da? Für die, die es sich leisten können? Für die, die bereit sind für den gleichen Standart und in manchen Bädern sogar für weniger Service als noch in den letzten Jahren mehr zu bezahlen? Was sagt das über Berlin aus? Nein, das sagt gar nichts über Berlin aus. Das sagt etwas über die Berliner Bäderpolitik und das ihr zugrunde liegendes Wertesystem aus!

Liebe Badegäste, Herzlich Willkommen in der teuren Servicewüste einer Zweiklassen-Gesellschaft!

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https://blogs.taz.de/prinzenbad/2014/06/19/sommer-ist-2/

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kommentare

  • Mir stellt sich die Frage, inwieweit es für GeringverdienerInnen und Nichterwerbstätige bereits Vergünstigungen gibt in Form von Gutscheinen, verringerten Eintrittspreisen, welchen Programmen auch immer.

    Ich kann mich als ehemals von Armut betroffenes Kind daran erinnern, dass zum Beispiel in Berlins Ferienpass, heute Familienpass; zahlreiche Gutscheine drin waren. Die Gutscheine, oft getarnt als Gewinnspiele, bei denen man sehr leicht gewann, ermöglichten mir sehr interessante Teilhaben an städtischen Einrichtungen wie Basteln in der Wuhlheide, Führungen durch den RBB, Besuche im Zoo, Mitfahren auf dem Karneval der Kulturen und anderes. Ich fand das klasse.

    Kann es nicht sein, dass Berliner Schwimmbäder nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit für viele BerlinerInnen sind? Ich meine, wenn ich mir allein vorstelle, dass die vielen Digital-Süchtigen („Nur mal kurz die Mails checken … lala …“) im Freibad im Wasser und sicherheitshalber vielleicht ganz von ihren digitalen Sozialen Netzwerken getrennt werden.

    Ich fände sehr spannend, wenn die BVV von Friedrichshain-Kreuzberg eine Bäderumfrage veranlassen würde, bei der der Bedarf und die (veränderten) Wünsche der BerlinerInnen ermittelt werden. Danach wäre deutlicher, welche Änderungen es braucht.

  • Herzlichen Dank an Sigrid für den Artikel und an Dagmar für die nachdenklichen und deutlichen Worte .
    Schwimmbäder nur aus finanziellen Gesichtspunkten zu betreiben ist falsch.
    In diesem Jahr werden massiv Geringverdiener, von denen es in Berlin genug gibt, am Schwimmen gehindert.
    Soziale Kontakte gehen verloren und gerade Jugendliche landen irgendwo auf der Strasse am Kotti.
    Ein Drogenentzug oder Jugendknast ist teurer, als Schwimmbäder auch den Jugendlichen zu vernünftigen Preise zur Verfügung zu stellen.
    Übrigen bleiben in diesem Sommer die treuen Badegäste und die fühlen sich angesichts der Grabesstille über den Becken auch nicht sehr wohl.
    Es muss eine Korrektur der Preise erfolgen oder es ist gewollt die Berliner vom Schwimmen durch die Preise abzuhalten und dann leere Bäder zu schliessen.

  • Ein sehr schöner Beitrag, liebe Sigrid!
    Jeder Betrieb sollte wirtschaftlich arbeiten, ganz klar! Aber ob das auch
    unbedingt auf Bäder zutreffen sollte, die gerade in einer Großstadt wie
    Berlin nicht nur für Spaß und Sport genutzt werden, ist meiner Meinung
    nach fraglich!

    Ich arbeite das 16. Jahr im Prinzenbad und habe Gäste aller Coleur
    gesehen und gesprochen, viel über Bedürfnisse, Sorgen , Kummer, Nöte gehört und gelernt.. Zu Beginn meiner Tätigkeit war mir nicht klar,
    welch wichtige Funktionen gerade im sozialen Bereich so ein Schwimmbad
    hat. Wenngleich auch mein Sohn vor dreißig Jahren wohlbehütet im
    Prinzenbad „aufwuchs“, während ich unbesorgt meiner Arbeit nachgehen
    konnte, wohl wissend, dass er dort gut und sicher aufgehoben war. Selbst
    als damals frisch gebackene Selbstständige mit wenig Geld, war es leicht
    möglich , den Eintritt zu bezahlen und auch für`s Taschengeld blieb
    etwas übrig. Wie aber sieht es heute aus? Geringverdiener, ohne Anspruch
    auf Zuschüsse, werden ihren Kindern wohl kaum einen täglichen
    Schwimmbad-Besuch, bei dem sie ihren natürlichen Bewegungsdrang ausleben können, ermöglichen können. Und wo halten sich die Kinder und Jugendlichen dann auf? Vermutlich auf der Straße, allen Großstadtgefahren ausgesetzt!

    Wahrscheinlich ist es kostengünstiger, Jugendarreste, Bewährungshelfer, Suchtberater und Therapeuten zu finanzieren, als ein Institution wie die BBB höher zu subventionieren?! Ganz zu schweigen von der Ausgrenzung, die ein Kind erfährt, wenn alle Schulkameraden sich im „Prinzen“ treffen, es selbst aber wegen Geldmangel zu Hause bleiben muss!

    Ebenso sieht es mit unseren älteren Gästen aus, die noch nach alter
    Manier vermeiden, bei diversen Ämtern um Beihilfen zu betteln oder nur
    ganz knapp über der Bemessungsgrenze liegen. Lieber verzichten sie auf
    einen heißgeliebten Schwimmbadbesuch!(Originalton einer älteren Dame:
    „seit 50 Jahren komme ich täglich hierher, nun aber kann ich es mir
    nicht mehr leisten!“) Was wird aus ihr, die für viele steht? Vereinsamt
    sie, weil die sozialen Kontakte fehlen? Wird aus einer rüstigen, agilen
    Person eine Dauerpatientin bei diversen Ärzten, weil die tägliche Bewegung fehlt und das Gefühl, noch zu unserer Gesellschaft zu gehören?

    Und: kostet nicht auch das dem Gesundheitswesen den einen oder anderen Euro? Was ist mit den seelisch und psychisch Angeschlagenen, die beim schwimmen in freier Natur ein Stück ihrer Gesundheit zurückerobern?
    Ein Frei-oder Sommerbad ist nicht mit einer Schwimmalle zu vergleichen! Sollte man nicht langsam davon abgehen, dass ein Schwimmbad nur zum schwimmen da ist, sondern darüber nachdenken, dass es in heutiger Zeit auch sonst noch viele andere Funktionen hat?

    Unsere Politiker sind gefordert, etwas für die Jungen, die Alten, die
    Einsamen und die Ausgebrannten zu tun! Daher meine Bitte: überdenken Sie
    Ihre Bäderpolitik! Finden Sie eine Lösung, die es den Menschen in einer
    Großstadt wie Berlin ermöglicht, einen Ort der Erholung, der Regenerierung und des Wohlbefindens zu besuchen!

  • Warum macht die taz nicht eine (investigative) Recherche zur Realität in Berlins Schwimmbädern?
    Wer nutzt sie?
    Wer wird ausgegegrenzt und findet das schade?
    Welche Freizeitaktivitäten werden stattdessen herangezogen?
    Wie erleben das die MitarbeiterInnen der Bäder?

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