Photo: kircheonline.de
“Die ganzen RAF-Bücher sind Krimis,” meinte Michael Sontheimer kürzlich im “Brecht-Zentrum”, wo er sein neues Buch vorstellte: “Natürlich kann geschossen werden. Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion”. Der Untertitel gemahnte an den berühmten geschichtsverklitternden “Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPDSU(B)”. Diese “kurze Geschichte” (von der Redaktion einer Kommission des Zentralkomitees der KPdSU erarbeitet und 1938 veröffentlicht) “wurde in der Sowjetunion und nach dem Zweiten Weltkrieg auch in den kommunistischen Staaten des sozialistischen Lagers wichtige Grundlage der politischen Bildung und des Geschichtsverständnisses,” schreibt Wikipedia.
Und da die RAF-Buchvorstellung im Brecht-Zentrum an der Chausseestraße neben den Hegel- und Brecht-Gräbern, gleichsam hinter ihrem Rücken, stattfand, war man natürlich auch noch an die Brechtschen Lehrstücke erinnert, insbesondere an “Die Maßnahme”, das die terroristische Politik einer kleinen klandestinen Gruppe zum Thema hat. Zuletzt führte Frank Castorf dieses Lehrstück an der Volksbühne auf, wobei er es mit Heiner Müllers “Mauser” vermantschte. Auf “volksbuehne.de” schrieb er dazu: “Brechts Passionsspiel aus dem Schreckenskabinett des Totalitarismus feiert das Glück, eine Sache über sich selbst zu stellen. Bei Heiner Müller will das Leid nicht enden”.
Sein “Mauser”-Stück hat laut Wikipedia folgenden Inhalt: “Der erfahrene Revolutionär A wird vom Chor damit beauftragt in der Stadt Witebsk Erschießungen durchzuführen. Zuerst soll er seinen Vorgänger B erschießen, dieser hatte sich mit seinen Opfern identifiziert und sie aus Mitleid laufen lassen. Nach einiger Zeit merkt A, dass er mit dieser Arbeit nicht zurecht kommt und bittet den Chor ihn zu entlassen. Dies wird ihm verwehrt, A macht weiter, aber bemerkt, dass er dabei seine Menschlichkeit verliert und er beginnt unkontrolliert Erschießungen durchzuführen. Als der Chor dies bemerkt, wird A selber vor ein Erschießungskommando gestellt. Als letzte Arbeit wird von A verlangt seine Zustimmung zu seiner Erschießung zu geben. A wird auf sein Kommando hin erschossen, aber es wird nicht klar, ob dies eine Zustimmung war.”
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In dem Aufsatzband über die RAF “Nach dem bewaffneten Kampf” erinnert sich die Therapeutin Angelika Holderberg an eine Diskussion mit ehemaligen RAFlern in der irgendwann “der bedeutsame Satz fiel: ‘In der RAF hat es keine wirklichen Freundschaften gegeben’.” Auch die fünf anderen Psychologen/Autoren der Aufsatzsammlung zitieren diesen Satz. In seinem Lehrstück “Die Maßnahme” hat Bertolt Brecht dieses Problem 1930 am Fall einer klandestinen kleinen Kadergruppe erörtert. Einer der Genossen reagierte mehrmals derart unpolitisch, d.h. menschlich, dass ihn die drei anderen, nachdem er dadurch ihren “Auftrag” in Gefahr gebracht hatte, schließlich umbringen. Brecht läßt ihren Mord, der keinem “Verräter”, sondern höchstens einem Schwächelnden galt, durch einen Chor – als Parteigericht – für gerechtfertigt erklären.
1948 hat Jean-Paul Sartre dieses “Problem” noch einmal aufgegriffen – in seinem Stück “Die schmutzigen Hände”. Hier ist es jedoch der Mörder, der es nicht schafft, den parteipolitischen Versager zu töten. Daraufhin wird seine Frau zu einer “Verräterin” (1), indem sie sich in den Genossen, dessen Tod beschlossen wurde, verliebt. Erst in diesem Moment gelingt dem Mörder die Tat – aus unpolitischer Eifersucht also.
“Die schöne Brigitte” (Mohnhaupt) erklärt einem geneigten Pulikum, was “Mao-Art” konkret bedeutet. Photo: indymedia.ie
Anfang der Siebzigerjahre wurde Sartres “Partisanen-Drama” in Belgrad inszeniert, mit den besten Schauspielern des Landes: Es wurde ein Kultstück, ausgehend von der dortigen Studentenbewegung und ihrer Kritik an der Parteiführung. Zuletzt inszenierte es Frank Castorf in der Volksbühne – aktuell bezogen auf den Zerfall des jugoslawischen Staates – aber er verstand das Problem dabei nicht: “Er hat die Partisanen-Problematik bis zu Karadzic hin verlängert – als den letzten degenerierten Kommunisten, mit einer jugoslawischen Fahne auch noch. Das ist falsch, das hätte er höchstens mit Milosevic machen können. Demnächst wird es eine nochmalige Inszenierung des Stückes in Belgrad geben”, meinte der jugoslawische Regisseur Zoran Solomun nach der Premiere.
Der reale Hintergrund für Brechts Lehrstück “Die Maßnahme” ist der gescheiterte Aufstand in Shanghai, der von der Komintern initiiert wurde. Im “langen heißen Sommer” von 1926 kam es zu einer Kette von Streikmaßnahmen in Shanghai – allein im Juni mit 69.556 Streikenden in 107 Betrieben. Auslöser der Streiks war der Anstieg des Preises für Reis. Im Oktober 1926 kam es zum so genannten “ersten bewaffneten Aufstand”, gefolgt von einem Generalstreik im Februar 1927, der sich in einen zweiten bewaffneten Aufstand verwandelte. Dieser wurde blutig niedergeschlagen. In den folgenden Monaten herrschte ein Terrorregime in Shanghai und die Bewegung in ganz China wurde niedergeworfen. Die Kommunistische Partei wurde verboten – die Unterstützer Chiang Kai-sheks begannen damit Gewerkschaften aufzubauen, die der Regierung unterstanden.
Der Roman von André Malraux aus dem Jahr 1933 “La condition humaine”, in der DDR 1955 unter dem Titel “So lebt der Mensch” erschienen, handelt von diesem Aufstand (eigentlich waren es wie gesagt drei) in Shanghai 1927. Es geht Malraux darin aber um mehr als die “Erhebung des Proletariats”: Seine “Helden bewegt die Frage nach einer sinnvollen Existenz”. In der aus dem Osten übernommenen West-Ausgabe heißt es dagegen idiotischerweise im Klappentext: “In diesen Kämpfen zeichnet sich bereits ab, was zur heutigen Lage in China geführt hat: daß die Kommunisten eines Tages den Spieß umdrehen und über ihre Gegner triumphieren würden. Darüberhinaus werden mit “großem, nervösen Atem…die menschlichen Positionen umrissen”.
RAF-Bomber. Photo: wallpapers.free-reviewnet.com
In Malrauxs Roman “La Condition Humaine” geht die Ärztin May, die im Gegensatz zu ihrem Intellektuellen-Freund Kyo den dritten Shanghaier Aufstand überlebte, zuletzt nach Moskau, um sich dort von der Komintern für den nächsten Aufstand schulen zu lassen. Im Nachwort zur DDR-Ausgabe meint die Autorin Brigitte Ständig (deswegen): Dieses Werk bilde den Höhepunkt in Malrauxs “Aktionsschriftstellerei” (zuvor hatte er bereits in “Les Conquérants” – Die Eroberer – den Kantoner Aufstand thematisiert), danach sei Malraux mehr und mehr zu einer “anarchistischen Revolutionsauffassung” gelangt – und dies bereits in seinem darauffolgenden Roman – über den spanischen Bürgerkrieg: “L’Espoir” – die Hoffnung. Weil aber in seinem Buch über die Shanghaier Aufstände von 1927 die Auseinandersetzung zwischen Kyo und dem Vertreter der Komintern Wologin “den Kulminationspunkt der politischen Problematik” bilde – und Wologin von Malraux mit “physischen Attributen” ausgestattet sei, “die beim Leser Antipathie erwecken”, könne man sagen, dass der Autor in “La Condition Humaine” noch zwischen einem “rationalen Verständnis für die historische Situation” und einem “emotionalen Hang zu revolutionärem Romantizismus” schwankte.
1928 war der Shanghaier Aufstand bereits Gegenstand heftiger Diskussionen in der Moskauer Komintern-Zentrale gewesen. Die Ergebnisse fanden Eingang in das Lehrbuch “Der bewaffnete Aufstand”, herausgegeben von Wollenberg, Kipperberger, Tuchaschweski, und Ho Tschin Minh . Erich Wollenberg, der zur Neuherausgabe 1971 in der BRD (sic) als ehemaliger Mitautor ein Vorwort beisteuerte, wußte zum Kapitel über den Shanghaier Aufstand nur zu sagen, es sei im Generalstab der Roten Armee verfaßt worden. Interessant daran sei: Trotz der damals bereits begonnenen Repressalien gegen die “Trotzkisten” werde in diesem Kapitel ein Tagesbefehl Trotzkis zitiert (mit Namensnennung), der eine Kritik an Stalin enthält.
Die Stalinsche Kominternpolitik in China hatte dazu geführt, daß die proletarische Basis der dortigen KP in den Städten nach den Shanghaier Aufständen fast vernichtet war und die Partei sich auf dem Land neu sammeln mußte, wo sie sich dann – Mao folgend – stärker auf die bislang von ihr vernachlässigten Bauern stützte. Dies hatte auch bereits Ho Chi Minh in seinem Beitrag für das Aufstands-Handbuch nahegelegt, der explizit die Bauernfrage im Falle eines Aufstands behandelte – vor allem in noch agrarischen Gesellschaften. Ho Tschin Minh übte darin gewissermaßen Selbstkritik: “Der Sieg der proletarischen Revolution in Agrar- und Halbagrarländern ist undenkbar ohne aktive Unterstützung des revolutionären Proletariats durch die ausschlaggebenden Massen der Bauernschaft”. “Onkel Ho” kam in seinem Beitrag sogar zu dem Schluß, das “der größte Fehler der chinesischen kommunistischen Partei” darin bestanden habe, nichts zur Vertiefung der chinesischen “Agrarrevolution” getan, sondern im Gegenteil, die “Bauernbewegung” noch gebremst zu haben. Die Partei hatte sich, gestützt auf ihre deutschen und russischen Berater aus der Komintern, vor allem auf die Organisierung von Arbeiteraufständen in den großen Städten konzentriert, die allesamt niedergeschlagen worden waren. Damals waren gerade mal 0,5% der chinesischen Bevölkerung Arbeiter. Ho Tschin Minh, der von Bucharin abfällig als “Bauernträumer” bezeichnet wurde, beging später in Vietnam eher den entgegengesetzten Fehler, der den Nordvietnamesen während der “Tet-Offensive” 1968 fast eine Niederlage bereitete, obwohl sie gleichzeitig allen deutlich machte, dass der Krieg in Vietnam von den Amerikanern und ihren Marionetten nicht mehr zu gewinnen war: Der trotzkistische Vietnamkriegshistoriker Jonathan Neale schreibt “Dennoch erlitten die Guerillos eine vernichtende Niederlage. Sie hatten erwartet, dass Saigon und Hue sich erhöben”. Dazu kam es aber nicht. Der für den kommunistischen Untergrund in Saigon verantwortliche Tran Bach Dong erklärte später, warum: Ihre Mitgliedergewinnung war “wunderbar erfolgreich” – bei den Intellektuellen, Studenten, Buddhisten, bei allen – nur bei den Arbeitern nicht, wo der Organisationsgrad “schlechter als schlecht” war – weil nämlich, so Jonathan Neale, die Befreiungsbewegung die städtischen Arbeiter nur halbherzig gegen ihre Chefs mobilisieren konnte, um nicht die “Unterstützung der Geschäftsleute und Manager dort zu verlieren.”
RAF-Kunst von Vladislav Scepanovic
Zurück zum “Brecht-Zentrum” und zur dortigen RAF-Buchvorstellung von Michael Sontheimer, über das er zusammen mit der ebenfalls beim Spiegel arbeitenden Journalistin Carolin Emcke diskutierte. Ihr RAF-Buch heißt “Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF”. Es muß sich dabei um eine “Real Crime Story” handeln, denn die Autorin sprach wiederholt von “Verbrechen” der RAF, von “grauenhaften Verbrechen”. Das gilt wahrscheinlich auch für die anderen 232 Bücher über die RAF, die bisher erschienen sind, denn Michael Sontheimer meinte, dass die Autoren dabei “meist nur aus Polizei- und Justizquellen” geschöpft hätten. Er wollte dagegen mit seinem RAF-Buch “einige Geschichtsirrtümer korrigieren”. Das sei jedoch gar nicht so einfach, versicherten dann beide Autoren, denn dem stünde die fix und fertige öffentliche Meinung über die Baader-Meinhof-Bande entgegen. So durfte Sontheimer in einem Spiegel-Artikel über das Schleyer-Attentat auf Anweisung des Chefredakteurs z.B. nicht erwähnen, dass Schleyer SS-Obersturmbannführer gewesen war. Während alle israelischen Zeitungen damals getitelt hatten: “SS-Obersturmbannführer Schleyer ermordet!” Und bei den RAF-Attentaten mußte man im Spiegel stets “blutig” hinzufügen. So wie später alle DDR-Betriebe grundsätzlich “marode” waren. Carolin Emcke meinte: “An der RAF haben sich mehrere Generationen politisiert, auch wenn die RAFler inzwischen Pop-Ikonen geworden sind und somit depolitisiert.” Sie fragte sich: “Sind es politisch motivierte Verbrecher oder einfach Irre?”
Das führte das Gespräch im Brecht-Zentrum zu den Ursachen der RAF-Verbrechen. Sontheimer folgte dabei Norbert Elias, der eine Art umgedrehte Verelendungstheorie verfocht: “Die RAF war demnach ein Luxusphänomen,” so Sontheimer. Aber man dürfe nicht die moralische Empörung der damaligen linken Bewegung über den Vietnamkrieg der Amerikaner vergessen, ebensowenig den Zusammenhang von RAF und Holocaust und dass damals in vielen Ländern RAFähnliche militante Gruppen entstanden. In einigen Ländern gab es später so etwas wie eine “Versöhnung” – nicht jedoch in der BRD. Ferner gelte es zu bedenken, dass die Frauen in der RAF die “geistige Führung” innehatten. In Inge Vietts Biographie werden die Männer in der “Bewegung 2.Juni” geradezu als Hampelmänner hingestellt. Ein Verfassungsschutz-Präsident bezeichnete die frauendominierte RAF einmal als “Exzeß der Befreiung der Frau”. Dies sei, so Carolin Emcke, umso bemerkenswerter als ansonsten der Anteil der Frauen bei unpolitischen Gewaltdelikten gleich Null wäre.
Es gibt zu diesem “Phänomen: RAF-Frauen” ein Buch “Terroristinnen – Bagdad77”. Ein seltsamer Titel für ein Buch. Die Regisseurin Katrin Hentschel inszenierte 2007 am Theater Freiburg ein gleichnamiges Stück, aus dem nun in Zusammenarbeit mit der Freiburger Verlegerin Traute Hensch ein Buch wurde. Es handelt von den Frauen der RAF. Am Anfang des “Projekts” standen “Fragen, nichts als Fragen” – u.a.: “War der Terror der Versuch, nicht spießig zu werden?, Wer hat die illegalen Wohnungen geputzt? Hatten die Mädels im Knast mehr Post als die Männer?, War die RAF ein Vergnügen? Warum interessieren uns die Antworten?” In ihrer “Doku-Fiktion” führen zunächst drei berühmte Terroristinnen, teilweise mit Zitaten aus RAF-Büchern, -Filmen und -Selbstdarstellungen, einige “Theorie-” sowie “Vaginal-“Dialoge, sie erzählen sich – in Bagdad auf einem Dach sitzend – ihre “Viten, Träume und Terrormärchen” und halten Ansprache an einige ebenfalls prominente Frauen, darunter die im Irak 2005 von einer islamischen Terrorgruppe in Geiselhaft genommene bayrische Arabistin Susanne Osthoff. Sie wurde für einige Millionen Euro von der Bundesregierung freigekauft. Weil sie selbst Islamistin und in einem Video, das die Entführer dem ARD-Studio in Bagdad schickten, verschleiert aufgetreten war, während einer ihrer Kidnapper eine Panzerfaust auf sie gerichtet hatte, meinte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Jürgen Chrobog, sie habe eine “Vollkaskomentalität”. Kurz darauf wurde er selbst mit seiner Familie im Jemen entführt. Der Lüneburger Terrorexperte Udo Ulfkotte ließ derweil verlauten, dass mit der Panzerfaust sei “untypisch” für Terroristen. Der mit dem Terrorismus einst sympathisierende Außenminister Joschka Fischer hatte Chrobog 2001 als Leiter seines Krisenstabs im Falle der Entführung deutscher Staatsbürger ins Auswärtige Amt geholt. Traute Hensch war lange Zeit Lektorin im Frankfurter Verlag “Roter Stern” von K.D.Wolff gewesen. Diese ganze aus dem SDS hervorgegangene Sponti-Szene, aus der sich dann die Grüne Regierungspartei herausmendelte, war auch das Soziotop für den Terrorismus. Einige rechte Publizisten verleitete das dazu, eine gerade Linie zwischen Adorno-Seminaren und RAF-Attentaten zu ziehen. Später tat es ihnen eine wachsende Zahl linker Renegaten nach – u.a. der DDR-Sänger Wolf Biermann, der 1972 in einem ARD-Interview noch gemeint hatte: “Sie erwarten doch sicherlich nicht von mir, daß ich mich von der Roten Armee Fraktion distanziere? Lenin hat gesagt, daß der erste Schuß erst abgefeuert werden darf, wenn die Revolution beginnt. Die Kommunisten der Bader-Meinhof-Gruppe werfen ihr Leben in die Waagschale für die Antithese. Sie wollen nämlich beweisen, daß, wenn nicht endlich der erste Schuß fällt, die Revolution verschlafen und verfressen wird”.
Während die einen damals den “Umsturz” von unten durch “Mobilisierung der Basis”, u.a. indem sie in die Betriebe gingen, erreichen wollten, versuchten die “Illegalen” ihn intellektuell-terroristisch quasi von oben zu initiieren, weil sie meinten, auf die Aktion der Massen verzichten bzw. diese damit initiieren zu können.
Die 1968 geborene Schriftstellerin Tanja Dückers schreibt in “Terroristinnen – Bagdad77”: “Der Grund für die scheinbar unerschöpfliche Aktualität der RAF ist in der merkwürdigen Vertrautheit zu finden, die wir mit diesem Phänomen verbinden. Weil in dem RAF-Film nach dem Buch von Stefan Aust die Rollen “alle mit sehr bekannten und attraktiven Schauspielerinnen” besetzt waren, erschienen Tanja Dückers nun die “RAF-Frontfrauen” als “ausgeflippte Popstars oder Models auf Abwegen”. Sie waren merkwürdig “aktuell” und schienen ihr zum heutigen “Lifestyle-Feminismus” zu passen.
RAF-Filmankündigung. Photo: myspace.com
“Das Kürzel ,RAF’ beinhaltet die Botschaft, ,Recht auf Frausein’,” meint Katrin Hentschel und zitiert die Terroristin Irmgard Möller: “RAF – das war für uns Befreiung”. Über Brigitte Mohnhaupt schreibt Hentschel: Obwohl bereits 2007 vorzeitig entlassen, “schweigt auch Deutschlands schlimmste, brutalste und hübscheste Terroristin tief und fest. Man hört: Sie schiebt Kisten ineinander, im Laden ihrer Schwester. Aha. Man sollte die ,Big Raushole’ einmal mit ihr selbst ausprobieren,” um endlich aus erster Hand zu erfahren, “warum die RAF-Frauen bereit waren, bis zum Äußersten zu gehen”. Grundsätzlich ist ihr aber bereits klar: “Die Frau war zu diesem Zeitpunkt das am höchsten entwickelte Lebewesen und zur Tat mehr als reif.”
Katrin Hentschels Buchtext wird abgerundet von zwei akademischen Beiträgen: Einer, von Gisela Diewald-Kerkmann, die sich über “Frauen, Terrorismus und Justiz” habilitierte, bringt die SDS-Frauenbewegung anhand einiger “Fallbeispiele” in einen Zusammenhang mit der RAF – als einer “Amazonenarmee mit männlichem Begleitpersonal”, wie der Terrorist Peter Homann sie nannte. Der andere Beitrag von Vojin Sasa Vukadinovic, die über Antifeminismus in Linksterrorismus-Diskursen promovierte, thematisiert die “maskulinistischen Fiktionen von über die RAF schreibenden AutorInnen” – vor allem nach der “Eskalation77”. Das letzte Kapitel “Sie haben ein Leben, das alle glauben beurteilen zu müssen” beinhaltet Kurzbiographien aller RAF-Frauen.
Geschmälert wird das Lesevergnügen an diesem Buch nur dadurch, dass es dazu beiträgt, die RAF innerhalb der antiautoritären Bewegung überzubewerten, weil nur sie noch und vielleicht noch Uschi Obermaier in den Medien rückblickend auf “68” als “sexy” erscheinen.
Dazu tragen freilich auch die beiden RAF-Bücher von Sontheimer und Emcke bei. Ihr Diskussion hakte dann an dem mangelnden Aufklärungswillen der Staatsgewalt, insbesondere der Bundesanwaltschaft, fest: “So wurden im Buback-Prozeß wissentlich Fehlurteile gefällt. Die Ermordung von Herrhausen und Rohwedder nie aufgeklärt. Es werden Aussageteile von Gerhard Müller unter Verschluß gehalten und angeblich wußte die Mossad schon vorab von der Landshut-Entführung.”
Die RAF war kein Regionalkrimi, sondern Teil der internationalen Linken. In der sie zunächst auch ihre logistische Basis fand. Als diese Bewegung sich langsam zerstreute, setzten sich in vielen Ländern solche militanten Gruppen im Untergrund fest, um mit ihren Attentaten die Massen noch einmal in Bewegung zu bringen. Es passierte jedoch eher das Gegenteil. Sie isolierten sich und wurden isoliert. Der BRD-Fahndungsapparat machte dann aus der RAF eine “True Crime Story”, die später von Stefan Aust gleich mehrmals ausgewalzt wurde. Dabei nahm sie dann mehr und mehr den Charakter eines typischen “Regionalkrimis” an, der sich in diesem Fall freilich über mehrere Ländles und Kontinentles erstreckte. Man könnte vielleicht auch von einem “Nationalkrimi” sprechen. Mit seinen Verfilmungen ging es ihm dann jedoch vollends wie den anderen “Regionalkrimis”, nachdem sie zu “Tatorten” umgeschrieben wurden.
Die Überlebenden der RAF sind schon seit langem vor allem damit beschäftigt, sich genau dagegen zu wehren, dass ihre politischen Attentate auf einige Morde und Verbrechen reduziert werden.
Der Abend im Brecht-Zentrum endete im übrigen mit einer “RAF Slideshow”, die u.a. Bilder aus dem RAF-Zyklus von Gerhard Richter beinhaltete. Über diese Bilder hatte spiegel-online zuvor geschrieben: “Im Auftrag der Neuen Nationalgalerie wurden die Terroristen-Bilder von New York nach Berlin in verschiedenen Flugzeugen überführt. Bodyguards haben die Gemälde begleitet. Mit dabei sind die Köpfe der ersten Generation der RAF: Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Gerhard Richters fünfzehnteiliger Bilderzyklus “18. Oktober 1977″ mussten die Begleiter ebenso schützen wie weltberühmte Kunstwerke von Picasso, Monet, Chagall, Duchamps, Hopper, Van Gogh und Pollock. Die Schwarz-Weiß-Gemälde deutscher Terroristen, gemalt vom bedeutendsten deutschen Maler der Gegenwart, kehren erstmals nach sieben Jahren nach Deutschland zurück. Gerhard Richter hatte seinen Bilderzyklus 1995 an das MoMA in New York für drei Millionen Mark verkauft. Zwei Jahre später war die Gemäldefolge das letzte Mal in Deutschland zu sehen. Kritiker waren damals der Meinung, dass er dadurch ‘eines der ungelösten Traumata der Nachkriegszeit gleichsam durch Export unschädlich machte’ (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Richter sagte gegenüber spiegel-online, es sei auch nach wie vor gut, dass sich ’18. Oktober 1977′ im New Yorker MoMA befände. Dem 72-Jährigen tue es leid, ‘dass die Bilder immer noch nicht unvoreingenommen angesehen werden können’.”
Das gilt scheints auch für die Diskussion über die Abgebildeten und ihre Taten: So verlangte einer der Zuhörer im Brecht-Zentrum wütend sein Eintrittsgeld zurück, Carolin Emcke wollte ihm sogar noch drei Euro dazu geben, damit er schneller verschwinde.
ANMERKUNG:
(1) Zum Stichwort “Verrat” meldete das “haus-der-sprache.de” kürzlich:
Tatort Ost: Neues von der Regionalkrimi-Front
Auch der zweite Titel der Regionalkrimi-Reihe Tatort Ost ist mittlerweile beim mdv abgegeben und befindet sich im Endkorrektorat. “Gesichtsverlust” von Maren Schwarz erzählt die Geschichte eines Verrats und seiner Folgen und spielt zur Zeit der Wende.
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P.S.: Vor ein paar Tagen starben der Kommune-1-Terrorist Fritz Teufel (67) und der Schriftsteller Hans-Georg Behr (73). Es hagelte einfühlsame Nachrufe. Letzterer hat Hitler und Baader noch persönlich gekannt, wie Michael Sontheimer versicherte.
RAF-Film-Schauspieler. Photo: cafebabel.de
P.P.S.: Hier noch eine weitere RAF-Ursachenerklärung: Vielleicht handelt es sich bei den RAF-Aktionen zwischen 1970 und 1998 um eine “Partisanenkrankheit”. Diese wurde erstmalig nach dem Sieg der Tito-Partisanen über die Deutschen systematisch erforscht, u.a. von dem Psychoanalytiker Paul Parin. Es handelt sich dabei um eine “ansteckende Neurose” mit hysterischen Kampfanfällen, die demobilisierte Partisanen befiel: 120.000 zuletzt, davon ein Drittel Frauen. Paul Parin erklärte mir dazu 2009: “Die demobilisierten Partisanen, die schon in der zuvor zusammengestellten Volksbefreiungsarmee gekämpft hatten, waren ratlos – sie drängten in ihre Einheiten zurück. 90% des Landes war verwüstet durch den Krieg. Die Häuser ihrer Eltern zerstört und ihre Eltern lebten vielleicht gar nicht mehr. Was sollten sie machen? Ihr Kampfanfall war auch ein Wunsch.”
Paul Parin veröffentlichte 1948 einen Artikel über die “Partisanenkrankheit”, in dem er sie als eine Art umgedrehte “Kriegsneurose” beschrieb: Während diese die Soldaten davor schützen soll, wieder an die Front geschickt zu werden, um erneut zu kämpfen, besteht die Partisanenkrankheit darin, nicht mit dem Kämpfen aufhören zu können bzw. zu wollen. 2009 meinte Parin: “Zu wenig betont habe ich in meinem Artikel darüber, dass die Partisanenkrankheit ideologisch vorgebildet war – in Form von Trancezuständen. In Nordbosnien wurden die Töchter verheiratet. Wenn der Braut der Mann nicht gepaßt hat, dann bekam sie “Zustände”, um der Ehe mit ihm auszuweichen – bis ein Mann ausgesucht wurde, der ihr gepasst hat. Das habe ich nicht gewußt damals. Und wahrscheinlich ist die Partisanenkrankheit dort entstanden.”
Die Partisanenkrankheit war zuvor auch schon von Nadeshda Mandelstam beobachtet worden: Sie fuhr mit ihrem Mann 1922 nach Suchumi – auf dem Schiff befanden sich viele demobilisierte Leichtverwundete, die aus dem Bürgerkrieg zurückkehrten, und ständig kam es unter ihnen zu solchen “Kampfanfällen”. Zuletzt berichtete Ursula Hauser in Gesprächen mit Paul Parin von ähnlichen Symptomen. Sie hatte in Costa Rica ein psychoanalytisches Institut aufgebaut und in Nicaragua Miskito-Indianer behandelt. Diese waren früher von wiedertäuferischen Brüdergemeinen beeinflußt worden, hatten ansonsten jedoch derart isoliert gelebt, dass sie sich primär durch Inzest vermehrten. Ihr Stamm wurde dann in zwei Teile geteilt: die einen schlossen sich den Sandinistas an, die anderen den Contras. Nach Beendigung der Kämpfe kam es unter ihnen ebenfalls zu einer “ansteckenden Neurose” – ähnlich der Partisanenkrankheit.
Zurück zur RAF: Bei ihnen hatten die Mitglieder selbst “die Häuser ihrer Eltern zerstört und ihre deutschen Eltern besiegt. Was sollten sie machen?” Sie konnten nicht zurück in Doppelhaushälfte, Ehe, Kinderaufzucht, Biosupermarkt, Spanienurlaub etc. Das war alles ein für allemal “verbrannt”. Stattdessen suchten und fanden sie im Untergrund, nachdem sie auch noch ihre linken Unterstützerkreise verlassen hatten, “Nicht-Orte” zum weiteren Überleben. Der filmwissenschaftler bezeichnet sie in seinem Buch “Terror und Trauma. Zur Gewalt des Vergangenen in der BRD” mit Alexander Mitscherlich als “die Schandflecke sozialer Anomalie in den Vorstädten, die Anonymität der Wohnblocks, wo keiner mit den Nachbarn redet und wo Einkaufen, Dienstleistung und Konsumbeziehungen die Lebensqualität definieren.” In solch einer tristen Plattenbau-Wohnung richtete die RAF dann auch ihr “Volksgefängnis” ein “”Nicht einmal der Hausmeister konnte sich später daran erinnern, wer genau darin gewohnt hatt”e Es waren also gerade solche “Nicht-Orte, wie Autobahnabfahrten, Straßenbahnkreuzungen in Vororten, Industriebrachen und ausufernde Wohnsiedlungen, die der RAF Deckung boten. Dazu benutzten sie noch durchweg BMWs, die bald als “”Baader-Meinhof-Wagen” bekannt wurden. Während sie dergestalt in der Ununterscheidbarkeit verschwanden, tauchten sie gleichzeitig überall in der Bild-Zeitung, auf Fahndungsplakaten und Polizeifotos wieder auf..
“Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub!” so sagte es Eugene Leviné, Kopf der Münchner Räterepublik, als er 1919 von der Reaktion erschossen wurde. Man kann sich natürlich auch vom Kommunismus wieder distanzieren – und wieder Leben fassen, wenn man es kann. Hier und heute können das fast alle: “Es ist schon komisch,” meinte der SDSler Hans-Dieter Heilmann, “am Anfang waren wir zwölf – und jetzt sind wir wieder etwa so viel.” Zwischendrin waren es aber mal Millionen. Und es gab kaum ein Arschloch, das sich nicht stolz als “68er” bezeichnete.
Um während der Studentenbewegung die Ansteckungsgefahr zu bannen, d.h. die Revolte an der Ausbreitung zu hindern, setzten die konservativen Kräfte in den meisten Ländern auf die heilsame Wirkung von Polizeiknüppeln. In der Protestbewegung selbst wußte man jedoch, dass gerade die Polizeiknüppel auf Demonstrantenschädel eine bewußtseinserweiternde Wirkung hatten – sogar auf unbeteiligte Fernsehzuschauer. Erst 20 Jahre Jahre später und nach dem “Zusammenbruch” des Sozialismus trauten sich die Politiker wieder, für alle Übel dieser Wel “68” verantwortlich zu machen: Bei Tony Blair und Nicolas Sarkozy war dies sogar Teil ihres Regierungsprogramms. Auch die Universitätspräsidenten beeilten sich landaus landab “die letzten Folgen von 68 zu beseitigen”, wie sie lauthals zu verkünden wagten. Die nächste Protestpest wird deswegen um so gewisser sein. Zumal es bis jetzt noch keinerlei Forschung darüber gibt, wie die Ansteckung wirklich erfolgt – geschweige denn, wie man sie im Keim ersticken kann. Medizinisch gesehen kann und darf es eine “ansteckende” Neurose gar nicht geben! Das ist der Witz an jeder linken Bewegung, so sie sich zu einer Massenbewegung auswächst – in der eine militante Gruppe wie die RAF erst einmal nur ein “Regionalismus” ist. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Parole der großen RAF-Solidaritätsdemonstrationen in Berlin: “Wir sind der harte Kern der Baader-Meinhof-Bande!”
RAF-Piloten – vor blauem Himmel. Photo: lesstill.org.uk
RAF-Partisanen – vor Gericht. Photo: planet-wissen.de
P.P.P.S.: Seltsam “Ende der 60er und Anfang der 70er” – zur selben Zeit, da sich klandestine militante Gruppen bilden und die ersten politisch motivierten Verbrechen (Real Crime) planen bzw. wagen, “entstehen in Deutschland erstmals in größerer Zahl Kriminalromane,” schreibt Silke Leuendorf in ihrer Magisterarbeit über den “Regionalkrimi im Westen von Deutschland. Poetik und Entwicklung eines Genres” (2008). Deren Autoren “leiten damit die erste echte Entwicklung des Krimi-Genres in Deutschland ein und setzen eine Entwicklung in Gang, die bis heute andauert.” Wobei Silke Leuendorf speziell die Entstehung und Entwicklung der Untergattung “Regionalkrimi” auf das “Ende der 80er Jahre” terminiert – und Jacques Berndorf mit seinen “Eifel-Krimis” als ihren ersten Autor bezeichnet. Die Autoren der “Ende der 60er und Anfang der 70er”-Jahre veröffentlichten Romane bestanden auf dem Etikett “Sozio-Krimi”. Der Übergang von diesen zu den “Regionalkrimis” ist dem von der sozialwissenschaftlich argumentierenden Studentenbewegung zur “Umweltbewegung” geschuldet.