Nach über einem Jahr anhaltender Proteste hat die indische Regierung des Premiers Narendra Modi letzte Woche die Rücknahme der umstrittenen Landwirtschaftsreformen angekündigt, welche sie letztes Jahr verabschiedet hatte. Die Reformen hatten zum Ziel, die indische Landwirtschaft zu liberalisieren und für den Weltmarkt zu öffnen. Das Vorhaben hat landesweit große Empörung ausgelöst, denn es wurde befürchtet, dass die Umsetzung der Gesetze die extreme Armut in weiten Teilen der indischen Landbevölkerung noch weiter verschärfen würde. Während die Entscheidung der Modi-Regierung die Umsetzung der Gesetze nicht weiter verfolgen zu wollen sehr begrüßenswert ist, stellt sich nun die Frage, wie nun stattdessen der indische Agrarsektor reguliert werden soll, denn dass etwas geschehen muss, ist klar.
Zur Lage der Landbevölkerung
Seit Jahrzehnten hat sich die Situation der indischen Landbevölkerung, welche die Mehrheit der Gesamtbevölkerung Indiens ausmacht, stetig verschlechtert. Dies hat viele Gründe, unter anderem den Preisverfall von Agrarprodukten, die sich durch den Klimawandel bedingten häufenden Missernten, und die Einführung patentierten Saatguts. Die Lage ist so dramatisch, dass Menschen sich selbst das Leben nehmen um damit für ihre Familien staatliche Lebensversicherungszahlungen zu erwirken, und ihnen zumindest auf diese Weise eine Weile lang die Grundversorgung zu sichern. 10.000 solcher Selbstmorde verzeichneten staatliche Behörden allein im letzten Jahr.
Entwicklung mit ungleicher Verteilung
Eine Lösung ist nicht in Sicht, denn es stellt sich ein grundsätzlicheres Problem. Die Interessen der ländlichen und städtischen Bevölkerung, zwischen denen, die von Indiens rasanter wirtschaftlichen Entwicklung profitiert haben, und denen, an der sie vorbeigegangen ist, klaffen immer weiter auseinander. Der stetig wachsende Dienstleistungssektor und die Industrialisierung zentraler Wirtschaftssektoren, wie dar Textilwirtschat haben Indien zum Schwellenland gemacht, doch nur ein Bruchteil der Bevölkerung, hat Anteil an dem so erreichten Aufschwung des Landes. Auch in der Landwirtschaft schwelt ein scheinbar unüberbrückbarer Interessenskonflikt zwischen denen, die die industrielle Landwirtschaft vorantreiben möchten und denen, die durch ihre Einführung die Lebensgrundlage zahlloser Familien gefährdet sehen. So haben gleich drei Sonderberichtererstattende der Vereinten Nationen über die Lage der Menschenrechte eine Erklärung unterzeichnet, in der sie ihre Unterstützung für die Rücknahme der Agrargesetze zum Ausdruck bringen.
lebenswert, nicht sterbenswert
Wer die Diskussionen zur indischen Landwirtschaftsreform mitverfolgt hat, den kann mitunter den Eindruck beschleichen, dass vielleicht die Diskussion um die Ziele einer Landwirtschaftsreform in einer wenig hilfreichen Art und Weise geführt wird. Während darum gestritten wird, inwieweit der Sektor staatlich reguliert werden sollte, ist die eigentliche Frage, was getan werden muss, um indischen Kleinbauerfamilien ihre Menschenwürde zurück zu geben, denn jedes Leben sollte lebenswert sein und nicht sterbenswert.