Stellen Sie sich zunächst doch einmal vor…
Ich bin bildender Künstler, der sich mit der Frage beschäftigt, was mit kulturellem Erbe geschieht, wenn es die Ideologie, die es hervorgebracht hat, überdauert. Ich befasse mich besonders mit Architektur, Denkmälern und Kunst als Themen, die ständig neu interpretiert werden. Sie werden im Laufe der Zeit von verschiedenen politischen Kräften geformt, jede Kraft fügt etwas hinzu, stellt etwas in Frage oder ersetzt das, was vorher war. Infolgedessen ist die Identität des kulturellen Erbes oft durch Mehrdeutigkeiten und interne Konflikte gekennzeichnet.
Ich arbeite mit Techniken der Dekonstruktion, Verfremdung und Collage, um die verborgene Bedeutung von Objekten des Kulturerbes zu verstehen und zu vermitteln. Kulturerbe sehe ich dabei als charakterhaft – mit einer vielschichtigen Psychologie und eigenen inneren Konflikten. Meine Installation Mirror Stage (2021) zum Beispiel inszeniert eine Konfrontation zwischen Humboldt Forum und dem Palast der Republik. In dieser Arbeit betrachtet ein Adler – aus der selben Form gegossen, wie der Skulpturenschmuck an der Schlossfassade – sein Spiegelbild in den Fenstern des Palastes. Er sieht das Fenster und sein Spiegelbild darin in einer Mischung aus Neugier und Feindseligkeit an. Durch den Dialog von Objekten verschiedener historischer Epochen bringt meine Arbeit zum Vorschein, dass Kunstwerke, Gebäude oder Denkmäler ein Alter Ego in sich tragen, das nach Aufmerksamkeit verlangt.
Welche Bedeutung hat das wiederaufgebaute Berliner Schlosses für Sie?
Die Geschichte des Schlossplatzes hat eine zyklische Dynamik. Zwei Gebäude sind in einen gespenstischen Tanz verwickelt, sie suchen sich heim und verhöhnen sich gegenseitig. Formal repräsentieren sie die entgegengesetzten Enden des architektonischen Spektrums. Jedoch haben sie in ihrem Wechselspiel immer wieder Aspekte des Gegenparts in sich aufgenommen. Als das Berliner Schloss 1950 gesprengt wurde, blieb ein Eingangsportal im benachbarten DDR-Gebäude erhalten. Um für den Wiederaufbau des Schlosses zu werben, wurde der Palast der Republik vorübergehend in eine Fake-Schlossfassade eingekleidet. Auch wenn der Palast der Republik nun dem Wiederaufbau Platz gemacht hat, bleibt er durch Ausstellungen im Humboldtforum präsent. Wir sehen also, wie sich im Laufe der Geschichte beide Gebäude nicht aus der Anziehungskraft des jeweils anderen lösen konnten. Sie bleiben stattdessen für immer verbunden in einer Dynamik aus Verdrängung und Befreiung.
Was ist Ihre Vision für diesen Ort?
Mein Beitrag zum Ideenwettbewerb, Blinder, schlägt eine architektonische Intervention vor, die diese Beziehung offenlegt und erweitert. Die ikonische Glasfassade des Palastes der Republik soll rekonstruiert und im Abstand von drei Metern direkt vor der Nordfassade des Humboldt Forums im Schlüterhof positioniert werden. Die Installation lebt vom dynamischen Charakter der Palastfenster. Sie sind verspiegelt und getönt und ihre Farbe wandelt sich nach Wetterlage. Mit der Lichtquelle ändert sich ihr Erscheinungsbild, sie funktionieren wie ein Einweg-Spiegel. Blinder erzeugt durch diesen Effekt ein nie statisches visuelles Erlebnis. Tagsüber ist das Glas undurchsichtig und verdunkelt die Fassade des Humboldt Forums, während in die andere Richtung den umgebenden Schlüterhof reflektiert. In der Nacht kehrt sich diese Dynamik um. Das Licht aus dem Inneren des Humboldt Forums macht das Glas transparent.
Der Eingriff verändert auch die Wahrnehmung des Gebäudes von innen. Statt auf den Schlüterhof hinauszublicken, sieht man sich nachts mit einem riesigen Spiegel konfrontiert, der das Äußere des Gebäudes reflektiert. In bestimmten Momenten der Dämmerung entsteht eine doppelte Sicht. Die Reflexion der Fassade überlagert sich mit dem dahinter liegenden Schlüterhof, wodurch es zur surrealen Verdoppelung des Bauwerks kommt. Durch diese Überlagerung von Vergangenheit und Gegenwart lädt Blinder ein, Architekturgeschichte als einen andauerenden Dialog zu betrachten, in dem selbst abgerissene Bauwerke bleibende Spuren im Stadtgefüge hinterlassen.
Esper Postma (*1988, Amsterdam) schafft Installationen, in denen er Formen des kulturellen Erbes verfremdet und collagiert. Seine Arbeiten zeigen, wie vertraute Räume, Objekte und Ikonen eine Vielzahl von Bedeutungen zulassen. Er studierte am BPA// Berlin program for artists (2020), an der Städelschule in Frankfurt am Main (2015) und an der Gerrit Rietveld Academy in Amsterdam (2011). Kürzlich war er Forschungsstipendiat der Villa Romana in Florenz und des Kunsthistorischen Instituts Florenz – Max-Planck-Institut (2021). Einzelausstellungen bei Canary Test, Los Angeles; EIGEN + ART Lab, Berlin; Villa Romana, Florenz; Westfälischer Kunstverein, Münster; Stadtmuseum Lindau; Moira, Utrecht und P/////AKT, Amsterdam. Er nahm an internationalen Gruppenausstellungen teil: im Kunstverein Braunschweig; ArtVerona; Martin Gropius Bau, Berlin; Moscow Museum of Modern Art; Hotel Maria Kapel, Hoorn; PS120, Berlin; Museum für Moderne Kunst (MMK), Frankfurt am Main u.a. Er lebt in Amsterdam und Berlin.
Das Gespräch führte Felix Hofmann.
Die Petition der Initiative Schlossaneignung kann heute (8.11.2024) noch hier mitgezeichnet werden.