2015 schlugen Sie mit Uta Belkius und Notker Schweikhardt vor, die Teile der Humboldt Forum-Fassade, für die noch keine Spender für die barocke Gestaltung akquiriert werden konnten, mit einem Dschungel zuwachsen zu lassen. Wie kamen es zu dieser Auseinandersetzung? Welche Möglichkeitsräume – inhaltlich und gestalterisch – waren noch offen?
Das Projekt Humboldt Dschungel haben wir entwickelt, als die Finanzierung der Barockfassade des Humboldt Forums, die eigentlich vom Förderverein Berliner Schloss getragen werden sollte, noch nicht gesichert war. Wir haben als Alternative zur geplanten Steinfassade eine dschungelartige Bepflanzung der Fassade und des Daches vorgeschlagen. Es war schon damals klar, dass an diesem Ort eine städtische Hitzeinsel mit wenig Grün entstehen würde. Uns ist es sehr wichtig, Kultur und Natur zusammen zu denken. Ein Humboldt Dschungel mit Pflanzen aus aller Welt wäre auch ein sichtbarer Bezug zu den außereuropäischen Sammlungen im Gebäudeinneren. Schließlich fragten wir uns auch, ob der Entdeckungsreisende, Naturforscher und Nachhaltigkeitspionier Alexander von Humboldt sich in einer Schloss-Attrappe wohl fühlen würde…
Von Anfang an haben wir den Kontakt zum Humboldt Forum gesucht. 2015 haben wir unser Projekt zusammen mit dem Berlin-Abgeordneten Notker Schweikhardt und seiner Mitarbeiterin Uta Belkius in einer Veranstaltung mit Vertreter*innen des Forums vorgestellt. Der bei diesem Treffen anwesende Herr von Boddien meinte, das Bild des Humboldt Dschungels sei zu ansprechend, „um sich nicht gezwungen zu sehen, sofort dagegen zu argumentieren“.
2019 wurde über den Humboldt Dschungel im Bundestag diskutiert. Auf Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, “was der aktuelle Stand der Überlegungen, eine Fassadenbegrünung, einen sogenannten Humboldt-Dschungel anzubringen” sei, antwortete die Bundesregierung, dass “alle Fassaden des Humboldt Forums – wie geplant – fertiggestellt und dass weitere Maßnahmen an den Fassaden nicht vorgesehen sind”.
Wie wurde zu diesem Zeitpunkt über das Schloss debattiert?
Auch vor zehn Jahren schon gab es in der Berliner Zivilgesellschaft und bei den Kulturschaffenden großes Unbehagen wegen des Abriss des Palastes der Republik, der sich anbahnenden Schloss-Attrappe und der verpassten Chancen, einen zeitgenössischen Kulturbau zu errichten. Gleichzeitig gab es aber einen Bundestagsbeschluss. Mit unserem Projekt wollten wir den Ort neu interpretieren und somit zu seiner Aneignung beitragen. Auch die Presse hat unseren Gegenvorschlag als „Weckruf“ (taz) „Rettung“ des Humboldt Forums (Die Zeit) sehr positiv aufgenommen.
Sie haben sich seit dem Humboldt Dschungel kontinuierlich weiter mit dem Ort und seiner Programmierung beschäftigt.
Als es sich abzeichnete, dass die Barockfassade gebaut werden würde – und sei es mit Steuergeldern – haben wir 2016 einen Vorschlag nachgelegt: den Humboldt Vulkan, ein Gewächshaus-Pavillon mit botanischem Garten und vertikalem Wasserelement. An der Außenseite des Humboldt Vulkans sollen heimische Gehölze wachsen, innen Pflanzen aus aller Welt. Der Vulkan markiert den Eingang zum Forum und ein Weg soll von der U-Bahn aus auf das derzeit kaum erschlossene Dach führen. Unser Vorschlag würde dem Schloss ein zeitgenössisches Gesicht, Extravertiertheit und Ausstrahlung in die Stadt verleihen. Der Humboldt Vulkan ist ein konkreter architektonischen Entwurf, der unserer Ansicht nach viele der Probleme des Humboldt Forums lösen und in naher Zukunft realisiert werden könnte.
Neben unseren Humboldt Forum-Projekten, arbeiten wir breit international an Interventionen, die kontroverse Orte neu erschließen und interpretieren, etwa an der Umdeutung und Umwandlung des Kenotaphs des Diktators Franco im Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) bei Madrid oder an der Demilitarisierten Zone Koreas. Wir nutzen dabei das Potenzial der Außenperspektive, um eine neue Sicht auf eine scheinbar unauflösbare Konfliktsituation zu gewinnen, wie sie sich auch in anderen historischen Fällen als hilfreich erwiesen hat.
Diese Außenperspektive – wir sind beide Migranten – prägt auch die Haltung bei unseren Humboldt Forum-Projekten. Sie verleiht uns die Freiheit, uns auf andere deutschen Traditionen, welche sich dem Palast und seinen Machtstrukturen widersetzen, zu beziehen. Unsere Referenzen sind vielmehr Elemente der deutschen Kultur, die von anarchistischem und unabhängigem Geist, ökologischen Anliegen und Abenteuerlust durchdrungen sind, wie Alexander von Humboldts Entdeckungen und Ideen oder die Glasbauten des Architekten Bruno Taut.
Für uns ist das Humboldt Forum auch viel mehr als nur ein Ort, an dem sich die Konflikte der deutschen Geschichte verdichten. Es ist ein Ort an dem Kultur verhandelt und weiter entwickelt werden soll. Der niederländische Journalist und Kunsthistoriker Merlijn Schoonenboom schrieb dazu in seinem Buch Ein Palast für die Republik – Eine kleine Geschichte der großen deutschen Suche nach Identität, dass unsere Humboldt Forum-Projekte eine Antwort auf die drängendste Frage der zeitgenössischen kulturellen Identität geben: die Suche nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Tradition und Innovation.
Was sollte ein Humboldtforum aus Ihrer Perspektive leisten? Was ist heute Ihre Vision für den Ort?
Die Mission des Humboldt Forums ist, eine Agora für den globalen Dialog der Kulturen zu schaffen. Das finden wir vielversprechend. Aber warum sollte dieser Anspruch auf nur einen zentralen Ort in Berlin beschränkt sein? Sinnvoller wäre es, einen zukunftsweisenden Ansatz zu verfolgen, der auf dezentrale Interaktion setzt, um der Vielfalt der globalen Gesellschaft Rechnung zu tragen.
Wir sollten dazu die aktuellen und werdenden Möglichkeiten der Mobilität und Digitalisierung nutzen. Daher entwickeln wir derzeit auf Grundlage eines digitalen Zwillings des Humboldt Forums das Projekt Humboldt KOSMOS, eine hybride Gaming-Umgebung mit kleinen international reisenden Stationen. Humboldt KOSMOS soll einen transkulturellen Austausch ermöglichen und dabei helfen, die vielfältigen Konfliktsituationen rund um das heutige Forum und seine Praktiken zu verhandeln. Das Projekt haben wir zusammen mit dem Gamelab der Humboldt-Universität zu Berlin in einem internationalen Workshop Anfang dieses Jahres lanciert.
Während Humboldt Dschungel eine Vision für das Rewilding des Forums formulierte und Humboldt Vulkan eine konkrete architektonische Lösung entwickelte, ist Humboldt KOSMOS der dritte Teil unseres Triptychons. Ein fiktives Universum, das auf dem Humboldt Forum basiert und eine Vielzahl möglicher Zukünfte eröffnet. Humboldt KOSMOS ist auch ein Prototyp für innovative Kulturräume, die sich der globalen Interaktion widmen, ein Experimentierfeld für die Zukunft von Museen und Kultureinrichtungen, eine Austauschplattform zur Förderung von wünschenswerten gemeinsamen natur-kulturellen Zukünften. Das Ziel ist es, ein innovatives Ökosystem der internationalen Zusammenarbeit zu fördern, das beim Umgang mit den Komplexitäten der heutigen globalisierten Welt und der Bewältigung der planetaren Umweltkrise von Bedeutung sein könnte.
Nach Ihrer ausgiebigen Beschäftigung mit dem Ort: Waren Sie überrascht über rechtsextreme Geldgeber*innen?
Wir sind über rechtsextreme Geldgeber*innen nicht überrascht. Wir sind in einer Zeit der Permakrise. Wir finden es daher wichtig – auch mit unseren Humboldt-Forum-Projekten – dazu beizutragen, Möglichkeitsräume zu öffnen. Wir glauben, dass Kreative die Vorstellungskraft und Fähigkeiten besitzen, um Visionen zu entwickeln und neue Narrative zu entwerfen, um Potentiale für positive Veränderungen zu eröffnen. Und sehen uns hier in der Verantwortung. Das ist auch die treibende Kraft hinter Humboldt KOSMOS, einer hybriden ko-kreativen Spieleplattform, wo Menschen und Gemeinschaften auf aller Welt sich zusammen mit den Herausforderungen auseinandersetzen können, um gemeinsam wünschenswerte Zukünfte zu entwerfen.
Prof. Elizabeth Sikiaridi und Prof. Frans Vogelaar sind Gründer von Hybrid Space Lab, ein Thinktank und Design Lab mit Fokus auf kulturelle Innovation. „Hybrid“ steht für Interdisziplinarität, „Space“ für Raumexpertise und „Lab“ für die innovative Arbeitsweise, die einen transdisziplinären Gestaltungsansatz bevorzugt, wo Stadt, Natur und das Digitale zusammengedacht und entwickelt werden.
Prof. Frans Vogelaar: geboren in den Niederlanden, aufgewachsen in Zimbabwe und den Niederlanden; Studium an der Design Academy Eindhoven (Diplom mit Auszeichnung) und an der Architectural Association School of Architecture/AA in London; Arbeit beim Studio Alchymia in Mailand und bei OMA/Rem Koolhaas in Rotterdam; Gründung im Jahr 1998 des weltweit ersten Lehrstuhls „Hybrider Raum“ an der Kunsthochschule für Medien Köln.
Prof. Elizabeth Sikiaridi: geboren in London, aufgewachsen in Athen; Studium an der École d’Architecture de Belleville in Paris und an der TU Darmstadt (Diplom mit Auszeichnung); Arbeit bei (Günther) Behnisch & Partner in Stuttgart und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin; 1997 berufen im Fachbereich Landschaftsarchitektur der Universität Duisburg-Essen. Zurzeit Initiatorin und Studiengangsleiterin des internationalen Masters “Sustainable Landscape Design and Development” an der TH OWL.
Warum stürzen sich eigentlich alle Kunstschaffenden ausschließlich auf die drei Barockfassaden? Warum traut sich keiner an die vierte Rohbaufassade und traut sich etwas eigenes zu gestalten, das neben dem Barock bestehen kann? All die hundert Entwürfe zeigen, sie können es nicht.