Seit einigen Jahren wird über die Symbolbedeutung des Humboldtforums gestritten. Sie haben einen Vorschlag entwickelt, wie man mit diesem Gebäude anders umgehen kann. Können Sie uns diesen Vorschlag näher bringen?
Bereits bei der Debatte um den Abriss des Palast der Republik hatte ich den Eindruck, dass es weder um die Schlossrekonstruktion noch den Palast der Republik als solche ging, sondern um einen symbolischen Gehalt. Heute tauchen wieder ganz ähnliche Fragen auf: Wer sind wir oder wollen wir sein? Mit welchen Symbolen wollen wir uns umgeben? Was soll das neue Schloss zum Ausdruck bringen? Wollen wir rückwärts zurück in die Vergangenheit? Und so tun, als hätte es kein geteiltes Deutschland gegeben, keinen Kalten Krieg, keine zwei Weltkriege?
Aus nicht-deutscher Perspektive fand ich diese Fragen immer schon spannend. In der Wiederaufbau-Debatte wollte ich zunächst nur eine beobachtende Rolle einnehmen. Dann wurde der Kuppel das Kreuz aufgesetzt. Mit den Gründungsintendanten Horst Bredekamp, Neil MacGregor und Hermann Parzinger war ich mir einig, dass es etwas braucht, um diese reaktionäre Entscheidung aufzuwiegen. Da lag es nah, die Installation ZWEIFEL zurückzubringen. Auch wenn ich mir zu Beginn noch unsicher war.
Meine erste Ausführung war eine Ode an die Abrissdebatte. Als Norweger fand ich es beeindruckend, wie eine Debatte so beständig am Leben gehalten werden kann. Die Auseinandersetzung währte am Ende länger als der Palast der Republik aktiv genutzt wurde: 1976 eröffnet und 1990 geschlossen fungierte das Gebäude nur vierzehn Jahre als Repräsentationsbau der DDR. Die Debatte um die Zukunft der Abrissruine hat insgesamt achtzehn Jahren gedauert. Das ist nun auch schon wieder 20 Jahre her. Die junge Generation von heute hat diese Auseinandersetzung nicht mehr mitgekriegt.
Insofern können Sie jetzt noch mal erzählen, was war. Damals haben Sie das Projekt ZWEIFEL am Palast der Republik realisiert. Wie kam es zu dem Projekt? Was war die Intention dieses Projektes?
1998 kam ich für ein Stipendium im Künstlerhaus Bethanien nach Berlin. Ich sollte ursprünglich nur ein Jahr bleiben, eine Ausstellung machen und dann wieder zurück nach Norwegen. In Berlin angekommen, habe ich die die Debatte um den Abriss des Palast der Republik nicht nur mitverfolgt, ich habe sie regelrecht gespürt. Überall – in jeder Kneipe, in jeder Zeitung, in jedem Radioprogramm, auf jedem Fernsehsender – wurde das verhandelt. Ich bekam den Eindruck, Deutsche seien enorm interessiert in Architektur. Dann habe ich verstanden, dass die Abdrissdebatte eigentlich um nationale Identitätsfragen geht. Wie avanciert und komplex diskutiert wurde, hat mich total beeindruckt. Je tiefer ich mich selbst in die Debatte begab, desto mehr wuchsen auch meine Zweifel. Da wurde mir klar: Das ist genau das, worum es eigentlich geht. Der ZWEIFEL im Sinne von „Stereodenken“ ist der gemeinsame Nenner, die einzige Brücke zwischen den beiden Seiten Ost/West, Vergangenheit/Zukunft, Wir/Sie.
In der Regel wird davon ausgegangen, dass Zweifel aus fehlendem Konsens entsteht. Oder auf der Suche nach Antworten, die alles andere als leicht zu finden sind. Mir wurde damals klar, dass Zweifel eine Art Demokratiebeweis darstellt. Der Nachwendediskurs war ja gerade nicht akademisch abgehoben, sondern fand durch alle Gesellschaftsschichten hindurch statt. Eine solche Auseinandersetzung kannte ich aus Norwegen nicht. Diese Langsamkeit und Langwierigkeit haben mich total beeindruckt. Es gibt ja „Slow Cooking“ – und für mich war das zweifellos „Slow Democracy“. Dieser Debatte wollte ich ein Monument errichten. Viele Denkmäler, die beispielweise nach dem Krieg entstanden sind, sind eigentlich Mahnmäler. Ich wollte mit einem Werk auf etwas Positives verweisen, das Deutschland geschafft hat. Für mich war das die Offenheit für den Zweifel.
Viele Deutsche, mit denen ich sprach, haben meine Ansicht nicht geteilt. Sie haben Zweifel nicht als Qualität wahrgenommen. Aber für mich lag darin eine spannende Mehrdeutigkeit. Ich wollte ein aktives Denkmal des Diskurses schaffen, keinen Abschluss. In seinem Discours de la méthode definiert Descartes den Zweifel als Voraussetzung für jeden Diskurs. Wie Hans Haackes Werk Der Bevölkerung den Schriftzug „Dem Deutschen Volk“ im Deutschen Bundestag rekontextualisiert, wollte ich der vielfältigen Bevölkerung ein intelligentes, zeitgenössisches Werk schenken – frei von Ideologie und Monotheismus. Zweifel passten auch gut zur Hülle des entkernten Palast der Republik. Der war seit 1990 kein Palast der Republik sondern nunmehr ein PALAST DES ZWEIFELS. Das sollte in Neonbuchstaben auf dem Dach prangen.
2005 hast du das Werk schließlich auf dem Dach der Palastruine platziert. Hattest du einen Auftrag dafür oder wie ist dieses Werk entstanden?
Ich folgte keinem Auftrag, alles war selbst initiiert. Anfänglich habe ich einen Antrag nach dem anderen geschrieben – beim Berliner Senat, beim Bund. Das Gebäude befand sich zu dieser Zeit im Besitz des Finanzministeriums, auch dort habe ich es wieder und wieder versucht. Ich hatte mich derart auf das Projekt eingeschossen, es ständig weiterentwickelt. Ich hatte ganze Gallerieausstellungen in Berlin, bei denen ich die Modelle und Entwürfe gezeigt habe. Am Ende hatte ich Kooperationspartner in den Sophiensälen, dem Hamburger Bahnhof und im Senat gefunden. Aber kein Geld. Dafür habe ich nach Sponsoren gesucht. Schließlich habe ich mit dem damaligen norwegischen Botschafter Bjørn Tore Godal zusammengearbeitet, um das Projekt auf die höchste politische Stufe höhe zu schieben. Nach viele Jahre Lobby und politische Widerstand musste es offiziell in den Deutschen Bundestag abgestimmt werden – ob ich den Palast der Republik übernehmen und in einen PALAST DES ZWEIFELS verwandeln durfte.
Ein paar Tage davor tauchte eine grosse Gruppe skeptische Abgeordnete in meinem Studio auf. «Guten Tag. Wir kommen vom Bundestag und wollen mehr über die Bewegründe Ihres Projektes herausfinden». Ich musste also einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Nach Jahren der vorbereitenden Nachforschung hatte ich vieles gelernt. Ich habe Goethe zitiert: „Mit dem Wissen wächst der Zweifel“, bis hin zu Descartes «Der methodischer Zweifel» und „Dubito, cogito, ergo sum“. Alle denken ja immer, es hieße: „Ich denke, also bin ich“. Aber der ganze Ausspruch lautet: „Ich zweifle, also denke ich, ich denke, also bin ich“ Die Abgeordneten nickten höflich und fragten weiter: „Wer finanziert das Projekt? Wir?“ Ich antwortete, dass ich das Projekt bisher ausschließlich mit norwegischen Sponsoren und aus Eigenkapital finanziert hätte. Da lächelten die Abgeordneten zum ersten mal: „Wir finden, es ist ein tolles Projekt!“
Im Nationalsozialismus und in der DDR war Zweifel nicht erlaubt. In den 90ern wurden Ost und West wiedervereint und diese Transformation hat sich ganz unaufgeregt und politisch verbalisiert. Keine Gewalt, einfach nur: Debatte, Debatte und nochmals Debatte. Die Auseinandersetzung um den Palast der Republik empfand ich als eine Qualität für sich. Nicht nur als ein Mittel zum Zweck, um entweder endlich abreißen zu können oder zu renovieren. Für mich war die fehlende Entscheidung das Eigentliche. Schließlich haben die Abgeordneten verstanden, dass mein ZWEIFEL keine Polemik ist, sondern ein tribute.
Die technische Umsetzung hat auch nochmal einige Zeit in Anspruch genommen. Der einzigen Hersteller, der die Neonbuchstaben in der erforderlichen Größe anfertigen konnte, habe ich in Süddeutschland gefunden. Die Neonbuchstaben kamen in Einzelteilen auf 16 großen LKWs nach Berlin, wurde auf dem Schlossplatz mit zwei Kränen montiert und auf das Dach gehoben. Im Januar 2005 wurde die Installation in Anwesenheit von fast eintausend Leuten auf dem Schlossplatz „angeknipst“. Und das Schöne war, dass auch dieser lange Prozess meine Thesen vom unermüdlichen Zweifeln und Debattieren untermauert hat.
Das Projekt hat ein gewisses Moment auf den Punkt gebracht. Man konnte ZWEIFEL einerseits auf das beziehen, was es an zukunftsbezogenen Überlegungen und Entscheidungen gab. Man konnte die Arbeit aber auch auf die Vergangenheit des Palastes und des abgerissenen Hohenzollernschlosses beziehen. Dieses Übergangsstadium, in dem frühere Gewissheiten verloren gegangen waren, hat es sehr gut ausgedrückt. Heute gibt es wieder eine klare Setzung. Der Ort ist mit dem Humboldtforum in der Fassade des Berliner Schlosses neu gestaltet worden. Du schlägst nun vor, deine Arbeit von damals in diese neue Situation zu übertragen. Wie ist das gedacht?
Als die Gründungsintendanten des Humboldt Forums vorschlugen, das Kunstwerk ZWEIFEL zurückzuholen, stellte ich mir die Frage, ob das tatsächlich eine gute Idee wäre. Schließlich handelt es sich um ein kontextuelles Werk, das eng mit dem spezifischen Ort und seiner Geschichte verknüpft ist. Doch sowohl der historische Kontext als auch der Ort selbst haben sich inzwischen vollständig verändert.
ZWEIFEL war ursprünglich als künstlerischer Kommentar zu den damaligen Gegebenheiten gedacht und zog seine Relevanz aus der Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Architektur des Ortes. Heute jedoch steht das Humboldt Forum in einem neuen, veränderten kulturellen und gesellschaftlichen Rahmen. Bedeutet das, dass die ursprüngliche Intention und Wirkung des Werks noch dieselbe sein können? Oder würde eine Rückkehr von ZWEIFEL unter den heutigen Bedingungen seine Bedeutung verfälschen? Die Diskussion um das Werk wirft grundlegende Fragen darüber auf, wie sich Kunst und ihr Kontext im Laufe der Zeit entwickeln. Was bleibt von der ursprünglichen Aussagekraft, wenn sich die Umstände ändern? Wo gibt es Raum für neue Interpretationen? Ich hatte Zweifel.
Heute dreht sie sich die Debatte eher um die Architektur und das Erscheinungsbild des Stadtschlosses, knüpft damit aber trotzdem an Themen von nationaler Tragweite an. Die Berliner Mitte ist wirklich eine Art Ground Zero für die deutsche Identität. Er ist durchzogen von einer Art politischer Archäologie. Der „Palast der Republik“ bezieht sich ja sogar namentlich auf seinen Vorgängerbau, das preußische Schloss. Volkspalast hat man ja auch gesagt. Und später habe ich daraus einen Palast des Zweifels gemacht, also eine weitere Schicht hinzugefügt.
In Deutschland werden ja ständig Straßen und Plätze umbenannt. Das scheint mir eine spezifische Art, mit der Geschichte umzugehen. Früher Stalinallee – heute Karl-Marx-Allee. Ein Stück Kochstraße wird zur Rudi-Dutschke-Straße (Der dort ansässige Springerverlag hat übrigens in Folge der Umbenennung seinen Eingang auf die andere Seite verlegt). Immer geht es darum, einen möglichst politisch korrekten Namen zu finden. Mein heutiger Vorschlag ist daher, den Platz vor dem Schloss in „Platz des Zweifels“ umzubenennen. Dieser neue Name würde dem Ort eine größere Komplexität verleihen als der bloße Begriff „Schlossplatz“. Zudem klingt „Platz des Zweifels“ phonetisch sehr ähnlich wie „Palast des Zweifels“. Die Arbeit würde sich dann nicht nur auf den Palast der Republik und die Abrissdebatte von damals beziehen, sondern auf den gesamten historischen Ort, an dem bedeutende Symbole errichtet wurden und immer noch entstehen. Dieser Platz ist kein neutraler Ort – er ist vielmehr der Ground Zero Deutschlands. Genau hier müsste der Zweifel seinen Platz behalten.
Anstatt den Schriftzug einfach erneut auf das Dach zu setzen, würde der Schriftzug vor dem Schloss einen Bezug zum Platz herstellen. Der PLATZ DES ZWEIFELS bezieht sich nicht nur auf den Bereich davor, sondern auch auf das, was sich unter dem Schloss verbirgt. Die Umbenennung ist vergleichbar mit dem Trick, bei dem man blitzschnell die Tischdecke von einem gedeckten Tisch zieht: Alles bleibt unverändert an seinem Platz, aber ohne die Tischdecke entsteht eine völlig neue Wahrnehmung des Tisches.
Die Gründungsintendanz des Humboldt Forums hat vorgeschlagen, die Arbeit ZWEIFEL wieder zu installieren. Besteht auch seitens der Stiftung Humboldt Forum Interesse, diesen Vorschlag aufzugreifen?
Die Stiftung hat eine Machbarkeitsstudie finanziert, die Zusammenarbeit dann aber ohne plausiblen Grund abrupt beendet. Dennoch lasse ich mich von dem Projekt nicht abbringen und werde meine Ideen weiterhin in die Öffentlichkeit tragen. Vor 25 Jahren habe ich bereits fünf Jahre lang gekämpft, damit meine Vision Wirklichkeit werden konnte. Auch Christo hat 25 Jahre daran gearbeitet, den Reichstag zu verhüllen. Er schuf unzählige Zeichnungen, Drucke und Bilder, deren Verkauf die Realisierung seines Projekts finanzierte. Wie Christo trenne ich in meinen Kunstprojekten nicht zwischen dem Prozess, den Skizzen, den Zeitungsartikeln, dem physischen – sogenannten realisierten Kunstwerk – und der Debatte davor und danach. Für mich gehören all diese Teile zum Kunstwerk, so wie jedes kleine Zahnrad zu einem großen Uhrwerk gehört.
Das Kunstwerk nimmt Rückbezug auf den verschwundenen Palast der Republik. Dessen Abriss hat eine gesellschaftliche Veränderung zum Ausdruck gebracht. Der ostdeutsche Soziologe, Steffen Mau, hat das zuletzt in seinem Buch Ungleich vereint als ein Symbol für den Umgang von West- mit Ostdeutschland beschrieben.
Wenn man heute den Shop des Humboldt Forums betritt, findet man deutlich mehr Merchandise zum Palast der Republik als zu Preußen und dem Schloss. Es scheint fast so, als ob ein Verlustschmerz über das verlorene Gebäude besteht. Das Problem des Humboldt Forums ist, dass es keine große Vision hat. Es hat auch kein authentische Identität. Platzt des Zweifels könnte dazu was beitragen.
Jürgen Zimmerer spricht im Zusammenhang mit der Schlossrekonstruktion von einem „steinernen Schlussstrich“. Viele Menschen können sich damit nicht identifizieren. ZWEIFEL würde eine andere Perspektive eröffnen, als die Eindeutigkeit, für die der Ort derzeit steht. Für mich bedeutet Zweifel, in „Stereo“ zu denken. Eine Schlosskopie auf der Museumsinsel, neben all den anderen Gebäuden von Schinkel und Stüler, finde ich hingegen ziemlich „mono“. Die Brüche, bei denen verschiedene geschichtliche Momente nebeneinander erlebbar sind, empfinde ich als bezeichnend für Berlin. Das Humboldt Forum heute ist weder vielschichtig noch heterogen und auch nicht divers. Ihm fehlt jegliche Komplexität. Nun steht es da, 700 Millionen Euro schwer. Ziemlich wahrscheinlich müssen wir uns damit abfinden, dass es dort bleibt.
Statt zu einer „reinen“ Kaiserzeit zurückzukehren, wäre es besser, mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. Heutzutage polarisiert das Denken immer mehr. Der Platz für Zweifel in der Gesellschaft schwindet, sowohl in den sozialen Medien als auch im Journalismus und in der Politik. Die Welt zelebriert nicht mehr die Auseinandersetzung und die konstruktive Uneinigkeit. Es gibt keinen Diskurs, keinen freien Gedanken, wenn man nicht auch Zweifel hegt. Jeder intellektuelle Prozess beginnt damit. ZWEIFEL ist für mich ein Denkmal für das Denken.
Lars Ø Ramberg, geboren 1964, ist ein norwegischer Künstler, der in Oslo und Berlin lebt und arbeitet. Ramberg ist bekannt für seine groß angelegten, sehr präzisen und oft kontroversen, kontextbezogenen Kunstprojekte. Diese basieren auf gründlicher und oft jahrelanger Recherche, sorgfältiger Planung und gezielter Lobbyarbeit. Seine Kunst erforscht, überrascht, analysiert und hinterfragt kollektive Werte. Er vertrat Norwegen auf der Biennale in Venedig sowie auf der Biennale in São Paulo. Seine Werke wurden weltweit ausgestellt, unter anderem im Hamburger Bahnhof, im Martin-Gropius-Bau, im Museo Tamayo in Mexiko-Stadt, im Moderna Museet in Stockholm, im Aspen Art Museum in den USA und im ARKEN Museum in Kopenhagen.
Das Gespräch führte Philipp Oswalt.