Der Bär flattert meist schwach bis mäßig in nordöstlichen Richtungen.
Ist ja klar, daß die Redakteure der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung lieber einschlägige intime Etablissements wie Prestige, Liberty oder Venus besprechen würden, weil »Sex sells« noch immer gilt, und außerdem der Matratzensport mehr Spaß macht als die Vermessung der Welt. Auch fiele bei der Verfassung solcher Rezensionen der eine oder andere Stich ab – auf Presseausweis versteht sich. Das aber würde die Herausgeber in Frankfurt nicht amüsieren. Was tun?
Es gibt in Schöneberg einen Tantra-Puff, den Saranam Ludvik Mann betreibt. Unter der Überschrift »Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Wie Heinrich Manns Enkel das Werk seines Opas in einem Tantra-Sex-Studio fortsetzt« erzählt nun die BUNTE … äh, Verzeihung, FAS-Redakteurin Uta Rünauver, was der Enkel sagt: »Unser Modell sind die Bonobo-Äffchen, die sich sehr viel Zärtlichkeit geben und den ganzen Tag über Sex haben.« Und als er das Interview nach einer sexualtherapeutischen Unterbrechung fortsetzt, gibt er an: »So zwei-, dreimal am Tag vereinige ich mich mit Frauen«. Danach nimmt er wieder auf dem Schafsfell Platz. Uiiiii! Schwiemelige Sexualität gehört doch mit zum Unangenehmsten auf dieser alten üblen Welt – aber egal, laß sie!
Jedoch das geht nicht: Da hockt dieser Mann-Enkel in der Sonntagszeitung mit seinen geölten Locken und dem schiefen Lächeln eines rumänischen Demutsbettlers und dieses Feuilleton entblödet sich nicht zu tönen: »So ungefähr stellt man sich den vom Großvater literarisch verewigten Henri Quatre vor, den guten, volkstümlichen König aus den Pyrenäen, der die Frauen liebte und Frankreich befriedete.« Nein, so stellen wir uns den König nicht vor, wir haben zufällig die beiden dicken Bände ›Die Jugend des Königs Henri IV‹ und ›Die Vollendung des Königs Henri IV‹ gelesen. Uta nicht! Sie weiß nur eins: Der Pariser ist eine Messe wert.
(BK/JS)
Dass Man in gewissen Kreisen unter Kultur immer noch versteht, sich lustig über Sexualität zu machen, ist im Jahr 2006 bis 2009 verwunderlich. Dass Frau Rüwenauver weder Heinrich IV gelesen hat, noch mich richtig wiedergegeben, sondern aus dem Zusammenhang gerissen, ebenfalls.
Warum wurde die sexuelle Entwicklung eines gerade durch Selbstmord gestorbenen jungen Amokläufers, der vorher 15 Menschen erschossen hat, in den Medien nicht psychologisch Analysiert?
Weil wir immer noch an den gleichen Verdrängungsmechanismen leiden, die mein Grossvater schon so treffend in seinen Büchern beschrieb. Sex ist für manche von uns nach wie vor eine heimliche, peinliche Angelegenheit und mit Gesellschaftspolitik hat dieses Thema nichts zu tun. Lieber interessieren wir uns für Fussball. Ich empfehle zu diesem Thema die neue Biografie von Heirich Himmler zu lesen, um zu verstehen, wie sexuelle Unterdrückung sich im technokratisch Mörderischem Wahn ausagiert.
S.L.Mann