Der Bär flattert in östlicher Richtung.
Am nächsten Tag, ein Nachschlag an Eigentlichkeit: Wir kennen Helma Schleif seit 1980, sie übersetzte einige Bücher für den März Verlag. Seit unserem Umzug nach Berlin sehen wir uns wieder häufiger. Helma betreibt mittlerweile die Free Music Production und organisiert mit Wolfgang Fuchs und G. Fritze Margull das Festival für improvisierte Musik, das Total Music Meeting in der Berlinischen Galerie. Im Eröffnungskonzert hörten wir Sainkho Namtchylak aus der Autonomen Russischen Republik Tuwa. Von ihrer Großmutter, die noch Nomadin war, lernte sie den Kehlkopfobertongesang der Turkvölker Südsibiriens. Wir sind weder Free-Jazz-Experten, noch Ethnologen, aber man kann ja hören! Diese Künstlerin zusammen mit dem Bassisten William Parker und dem derzeit weltbesten Drummer (das sagen die Experten) Hamid Drake törnte an. Das ist Schamanenmusik!
Nächster Auftritt: Die Vokalistin und Klarinettistin Isabelle Duthoit, eine Sängerin, die Schweigen artikulieren kann, begleitet von dem furiosen Pianisten Jacques Demierre, der die Saiten des Flügels walkte, wie die Aktionisten die Gedärme in den Kadavern bei Hermann Nitschs ›Orgien Mysterien Theater‹. Eine lange Pause, der malträtierte Flügel mußte eine halbe Stunde lang gestimmt werden. Noch gnädig, bei Fluxus wurde das Instrument ja vollständig zerlegt.
Dann der Pianist Michael Wilhemi mit zwei Stücken. In der Ankündigung steht: »Mit seinem improvisierenden Klavierspiel bewegt er sich zwischen direktem Klang und geräuschhaftem Innenklavier. Dabei integriert er Musikströmungen und Techniken vergangener Epochen von farbenreichen großen Gesten der ausgehenden Romantik bis zum Punktualismus der 50er Jahre.« Das klingt gut, sagt aber wenig. Wir halten uns lieber an Ludwig Wittgensteins Diktum: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.«
Zum Schluß der Erfinder des Daxophones, Hans Reichel, und der Gitarrist Kazuhisa Uchihashi. Wir hörten nur ein Stück, lustige freie Musik, denn wir mußten zur U-Bahn und fuhren prompt zwei Stationen in die falsche Richtung – so weg waren wir von der Musik. Schön!
(BK / JS)