vonSchröder & Kalender 02.12.2006

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert heftig in nordöstlicher Richtung.

Spätestens seit August 1994 wußten 360 Subskribenten von ›Schröder erzählt‹, was Anfang der 60er »Unterm Dach« des Verlags Kiepenheuer und Witsch in Köln geschah. Und zwar nicht im Geheimen! Daß nämlich Joseph Caspar Witsch, der spiritus rector des »Kongreß’ für kulturelle Freiheit«, in seinem Verlag die Protagonisten der deutschen Kalten Krieger im Lektorat und auch als Autoren um sich versammelt hatte. Aber daß Witsch eine CIA-Agentur leitete, wie es der Regisseur Hans-Rüdiger Minow in seiner arte-Dokumentation (29.11.2006) ›Benutzt und gesteuert – Künstler im Netz der CIA‹ behauptet, ist kompletter Quatsch.

Der CIA ist fast jeder Schwachsinn zuzutrauen, trotzdem hat sie bisher versucht, ihre Aktivitäten geheim zu halten, wenn auch oft vergeblich. Also, was im Hause Kiepenheuer und Witsch geschah, lag offen zu Tage, jeder, der es wissen wollte, konnte wissen: Witsch ließ sich seinen, dem belletristischen Verlag angegliederten ›Verlag für Politik und Wissenschaft‹ vom US-Geheimdienst bezahlen. Und jeder, der es wollte, konnte in der ›Schröder erzählt‹-Folge ›Menschen wie du und ich‹ nachlesen, wie Witschs ehemaliger Partner Behrend von Nottbeck 1961 fahnenflüchtig wurde. Der alte Konflikt zwischen SA und SS. Von Nottbeck gründete mit dem Geld von Reinhard Mohn einen eigenen Verlag, um einen Teil des kräftig sprudelnden CIA-Dollar-Segens für sich und die Bertelsmann-Gruppe abzuzweigen. Ich weiß das alles so genau, weil ich von 1962 bis 1965 Werbeleiter im Hause Kiepenheuer und Witsch war.

Die entsprechenden Passagen aus ›Schröder erzählt‹ bringen wir in zwei Fortsetzungen:

Wenn man über einen Publikumsverlag wie Kiepenheuer und Witsch redet, juckt es einen zunächst mal auf der Zunge, besonders als immer noch in der Wolle gefärbter Belletrist, bei Heinrich Böll & Co. anzusetzen. Das ergäbe jedoch ein falsches Bild, denn wenn ich die Figuren an mir vorbeimarschieren lasse, wird mir klar, daß für diesen Verlag in der Zeit, über die ich rede, Bölling nicht weniger interessant war als Böll. Wie denn überhaupt bei Kiepenheuer und Witsch die Vielfalt der historischen Kräfte der zweiten Republik sich wie in einem Brennglas fokussierten. So etwa bis sechsundsechzig, in den Achtundsechzigern hatten Suhrkamp und der März Verlag eine ähnliche Funktion.

Ganz recht, das ist eine nachträgliche Beobachtung, mittendrin nahm ich lediglich gewisse Irritationen wahr, die sich aus der rot-schwarz-gelben Colorado-Mischung im Bonbonglas der Ideologien, Herkünfte und Geschmäcker ergaben. Nein, Braun war nicht mehr dabei und Grün noch nicht mal in der Ferne zu erblicken. Carola Stern, die politische Lektorin, eine ehemalige Lehrerin an der Parteihochschule der DDR, hatte dem Stalinismus den Rücken gekehrt und gehörte zu den Kindern, die die Revolution entließ. Das Buch ihres ehemaligen Kollegen Wolfgang Leonhard mit dem gleichlautenden Titel brachte es bis dahin zu einer riesigen Auflage von zweihunderttausend Exemplaren. Es handelte sich um den Rechenschaftsbericht eines jungen Kommunisten nach zehn Jahren Aufenthalt in der Sowjetunion und fünf Jahren als Funktionär in der DDR. Die beiden kamen aus der DDR-Kaderschmiede, hätten sie sich nicht abgesetzt, wären sie Minister geworden oder Häftlinge in Bautzen, ebenso wie Fritz Schenk, der ein Jahrzehnt im Vorzimmer Bruno Leuschners saß. Hier hast du in der Nußschale die zwei Typen: die enttäuschte Kommunistin Carola Stern, die aber Sozialistin blieb und zusammen mit anderen Witsch-Autoren bald darauf den WDR besetzte, auf der anderen Seite Fritz Schenk, der Typus des Renegaten, der später alternierend mit Löwenthal im ZDF hetzte. Außen vor kungelte Witsch mit Strauß, Barzel und dem ›Kongreß für kulturelle Freiheit‹, welcher ja erst fünfundzwanzig Jahre später mit Hilfe des Metzgermeisters Josef März sein Ziel erreichte.

In dieser Konstellation heterogener politischer Hinstimmungen hätten eigentlich extreme Spannungen im politischen Lektorat auftreten müssen, an der Oberfläche war davon jedoch nichts zu spüren. Offenbar hatte Carola Stern sich in der Kaderschmiede der DDR Nerven aus Stahl antrainiert. Das war aber nicht alles an Unvereinbarkeiten unter einem Dach, es fehlt noch das Weltkind in der linken Mitten, Klaus Bölling, der sich als NDR-›Weltspiegel‹-Moderator und in seinem Buch ›Die zweite Republik‹ heftig bei der SPD anwanzte. Daß der Mann Politiker werden wollte, war mir bereits damals klar. Selten habe ich einen Autor erlebt, der mich mit schon fast pathologischer Energie mit seinen VIP-Listen belatscherte sowie den Teilnehmerlisten sämtlicher evangelischer Akademien, auf deren Podien er ständig diskutierte. All denen, die ihm dort zugehört hatten, mußte ich eine ›Sonderinformation Bölling‹ schicken. Ja, so macht man es als Autor! So nimmt man dem Verlag die Arbeit ab beziehungsweise macht ihm welche. So wird ein Buch verkauft und gleichzeitig an der Karriere gezimmert, Nagel für Nagel, Uecker für Uecker!

Was hatten wir noch? Den Ministerialrat Günther Nollau, der dem politisch interessierten Publikum in seinem Enthüllungsbuch ›Die Internationale‹ die Regisseure des Weltkommunismus vorstellte und wie sie ihre Schauspiele inszenierten. Interessanter wäre es gewesen, wenn er uns später, nach seiner Zeit als Verfassungsschutzpräsident, einen ebenso detaillierten Blick auf die Versenkbühnenhydraulik unserer nationalen Politik gestattet hätte. Womit ich doch fast schon wieder bei seinem Autorenkollegen Heinrich Böll angelangt bin, aber der hatte 1963 ja noch nicht sein verdienstvolles »Freies Geleit für Ulrike Meinhof« gefordert, sie lebte damals noch als harmlose Partynudel mit dem Studentenblatt-Herausgeber Klaus Rainer Röhl in Hamburg, der sich wiederum sein Blatt von der Stasi finanzieren ließ. Nein, auch vom rheinischen Anarchisten war bei Heinrich Böll noch nichts zu entdecken, vielmehr erschienen gerade seine ›Ansichten eines Clowns‹, ein Bestseller, der von mir heftig beworben und heimlich noch heftiger verachtet wurde als grausliche Klischeeansammlung mit kritisch-katholischer Schleifspur. Das alles zusammen ergab eine Protoszene aus Sozialisten, die die Revolution entlassen hatte, Opportunisten, Anarchisten, die noch nicht wußten, was das ist, der Kalte-Krieger-Truppe eines Strauß und Barzel, an der Spitze der Verleger Joseph Caspar Witsch. Daran sollte sich unser konservativer Rächer Frank Schirrmacher heute mal ein Beispiel nehmen, an dieser repressiven Toleranz. Das war ja geradezu eine rheinische Insel der Seligen.

(BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2006/12/02/war-der-verleger-joseph-caspar-witsch-ein-cia-agent-1/

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  • […] Schön, dass die alternative Taz, deren Mitgründer Johannes Eisenberg als als Presseanwalt auch den BND vertritt, gleich zu berichten weiß, dass das vermutlich gar nicht stimmt: “Der CIA ist fast jeder Schwachsinn zuzutrauen, trotzdem hat sie bisher versucht, ihre Aktivitäten geheim zu halten, wenn auch oft vergeblich. Also, was im Hause Kiepenheuer und Witsch geschah, lag offen zu Tage, jeder, der es wissen wollte, konnte wissen: Witsch ließ sich seinen, dem belletristischen Verlag angegliederten ›Verlag für Politik und Wissenschaft‹ vom US-Geheimdienst bezahlen. Und jeder, der es wollte, konnte in der ›Schröder erzählt‹-Folge ›Menschen wie du und ich‹ nachlesen, wie Witschs ehemaliger Partner Behrend von Nottbeck 1961 fahnenflüchtig wurde. Der alte Konflikt zwischen SA und SS. Von Nottbeck gründete mit dem Geld von Reinhard Mohn einen eigenen Verlag, um einen Teil des kräftig sprudelnden CIA-Dollar-Segens für sich und die Bertelsmann-Gruppe abzuzweigen. Ich weiß das alles so genau, weil ich von 1962 bis 1965 Werbeleiter im Hause Kiepenheuer und Witsch war.” […]

  • […] Schön, dass die alternative Taz, deren Mitgründer Johannes Eisenberg als als Presseanwalt auch den BND vertritt, gleich zu berichten weiß, dass das vermutlich gar nicht stimmt: “Der CIA ist fast jeder Schwachsinn zuzutrauen, trotzdem hat sie bisher versucht, ihre Aktivitäten geheim zu halten, wenn auch oft vergeblich. Also, was im Hause Kiepenheuer und Witsch geschah, lag offen zu Tage, jeder, der es wissen wollte, konnte wissen: Witsch ließ sich seinen, dem belletristischen Verlag angegliederten ›Verlag für Politik und Wissenschaft‹ vom US-Geheimdienst bezahlen. Und jeder, der es wollte, konnte in der ›Schröder erzählt‹-Folge ›Menschen wie du und ich‹ nachlesen, wie Witschs ehemaliger Partner Behrend von Nottbeck 1961 fahnenflüchtig wurde. Der alte Konflikt zwischen SA und SS. Von Nottbeck gründete mit dem Geld von Reinhard Mohn einen eigenen Verlag, um einen Teil des kräftig sprudelnden CIA-Dollar-Segens für sich und die Bertelsmann-Gruppe abzuzweigen. Ich weiß das alles so genau, weil ich von 1962 bis 1965 Werbeleiter im Hause Kiepenheuer und Witsch war.” […]

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