Der Bär flattert in östlicher Richtung.
Heute, am 19. Februar, bekommt die Venus (nach Sonnenuntergang) Besuch von der zunehmenden Mondsichel. Aus diesem Anlaß bringen wir eine Geschichte aus ›Schröder erzählt: Sieben Sachen‹.
Ich rief Barbara an, wir verabredeten uns fürs Wochenende. Diesmal wollte ich es klüger anfangen, damit nicht wieder so ein Karlheinz, Pfeffer oder sonst eine Type dazwischenfunkte. In Hilders gab es ein Hotel, das ich vorher schon öfters mit Freundinnen frequentiert hatte. Das Städtchen liegt in der Rhön, wo sich die BRD als »Tanner Sack« in die DDR reinstülpte. Hier konnte man sich verstecken, und das Essen war auch ganz gut. Deshalb schlug ich Barbara vor, als ich sie am Samstag abends abholte: »Jetzt fahren wir mal nach Hilders, wo uns keiner überraschen kann.« Im ›Gasthof Engel‹ aßen und tranken wir ausgiebig. Doch als ich die Wirtin um ein Zimmer für die Nacht bat, war keins mehr frei. Die dritte verpatzte Gelegenheit? Ich verlegte mich aufs Betteln: »Wir haben zuviel getrunken, können nicht mehr nach Fulda zurückfahren. Sie müssen uns irgendein Bett geben!« Und sie gab uns irgendeins, ein Notzimmer, winzig klein mit schmaler Liege für eine Person; absurderweise hatte die Kammer eine Dusche, aber keine Toilette. Alles egal – erste junge Liebe –, wir vögelten. Dummerweise hatte Barbara eine Blasenentzündung, und die Toilette war auf dem Flur. Sie mußte ständig pinkeln, hätte sich jedes Mal anziehen müssen, also blieb ihr nur die Dusche übrig. Peinlich! Ach, eigentlich war es uns egal, wir fanden es trotz der eingeschränkten Hygieneverhältnisse schön. Und als wir nach dem dritten oder vierten Vögeln aus dem Fenster guckten, kurz vor Anbruch der Morgendämmerung, lag im saphirblauen Himmel eine große Mondsichel, und darunter strahlte der Morgenstern – nicht wie beim islamischen Symbol der Stern in der Sichel, sondern er stand direkt unter ihr. Eine solche Himmelserscheinung hatten wir beide noch nie gesehen, und weil wir frisch verliebt waren, empfanden wir sie als gutes Omen.
Am Sonntag, den 5. Oktober 1980, wurde der Bundestag gewählt, wir fuhren gemeinsam in den Vogelsberg und machten unser Kreuz für die SPD, Barbara in der Schule von Stockhausen, ich im Gemeindehaus von Jossa. Danach ging’s zurück in die Rhön, diesmal zum Holzberghof, den ein paar Alternative zum Hotel ausgebaut hatten. Nach einem Spaziergang durch Wald und Feld mit anschließendem Essen verzogen wir uns aufs Zimmer und machten da weiter, wo wir beim Sichelmond aufgehört hatten. Am frühen Morgen brachte ich Barbara zur Arbeit, kurz darauf setzte ich mich gut gelaunt an meinen Schreibtisch. Aber da verspürte ich schon dieses Schrinnen in der Harnröhre. Verflucht, dachte ich, hat sie mir einen Tripper angehängt?! Mit brennendem Herzen und brennender Nille fuhr ich zum Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, zack, bumm, Abstrich – »Nein, Sie haben gar nichts, nur eine Blasenentzündung, im Volksmund Windtripper genannt.«
Abends traf ich meine neue Freundin wieder, wir hatten uns vorgenommen, der rätselhaften Mond-Venus-Stellung auf die Spur zu kommen. In einem Gymnasium mit Observatorium hielt die Volkshochschule Kurse für Hobbyastronomen ab. Schüler, Studenten und Lehrer fungierten als Experten, erklärten den Teilnehmern am Teleskop spiralische Sternensysteme und große Magellansche Wolken. Einen dieser jugendlichen Astrophysiker – mit seinen dicken Brillengläsern sah er aus wie Woody Allen, der einen Astronomen mimt – fragten wir: »Ihr beschäftigt euch zwar gerade mit diesen Nebelhaufen, aber gestern gab es folgende Konstellation: die liegende Mondsichel, darunter stand der Venus-Morgenstern …« Der Knabe unterbrach mich: »Alles, was man mit unbewehrten Augen sehen kann, ist für uns überhaupt nicht interessant.« Aber dann ließ er sich doch breitschlagen, blätterte in einem Tabellenbuch und nuschelte wegwerfend: »Ach, das ist astronomisch nichts Außergewöhnliches! Diese Planetenposition kommt alle zwanzig oder dreißig Jahre vor.« »Danke für die Auskunft«, sagte ich, »das langt mir als Privatmythologie für den Rest des Lebens.«
(BK / JS)
War leider wegen Wolken seinerzeit nicht zu sehen. Aber ich stoße gerade auf eine Notiz, die ich am 24.4.2004 niederschrieb: Gestern hat die Venus den feinen, neuen Mond beinahe geküsst. Heute ist sie ihm schon enteilt.
Gruß aus dem Vogelsberg