vonSchröder & Kalender 06.04.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

Mehr über diesen Blog

Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.

Von diesem Buchhändlerfrüchtchen gleich zu den Literaturproduzenten, wie wir sie uns mal vorgestellt hatten, denn sie gehörten als Katalysator zur Protoszene der März-Gründung. Die Literaturproduzenten waren eine Gruppe ohne Satzung und Vorstand, also eine im wahrsten Sinne anarchische Vereinigung. Weshalb sie dann ja auch bald im Sande verlief und heute kein Hahn mehr nach ihr kräht, obwohl aus diesen Anfängen die Schriftsteller-, Künstler- und Journalisten-Vertretungen stammen, die mittlerweile in der Industriegewerkschaft Medien organisiert sind. Nach der turbulenten Buchmesse 1968 mit ihrem ›Messerat‹ und den »Stände schließen!«-Aktionen hatten wir uns am Freitag, dem 13. Dezember, bei Lothar Pinkall in der Europäischen Verlagsanstalt verabredet, um die Zusammenarbeit der linken Autoren und Verlage zu koordinieren. Pinkall, Schwiegersohn des IG-Metall-Chefs Otto Brenner, hatte inzwischen die EVA als Lehen erhalten. Was uns vorschwebte, war ein syndikalistischer Zusammenschluß. Es sollte auch eine eigene Auslieferung gegründet werden, und wir planten eine Gemeinschaftswerbung für progressive Verlage. Initiatoren waren Walter Boehlich, mit Eklat aus dem Suhrkamp Verlag ausgeschieden, Frank Benseler, Wissenschaftslektor beim Luchterhand Verlag, Hartmut Dabrowski von der Neuen Kritik – doch ja, Helmut Richter war schon dabei. Helmut ist mir damals gar nicht aufgefallen, er fällt ja auch heute kaum auf, weil er sich immer bescheiden im Hintergrund hält. Außer uns sechs Initiatoren kam Boye Kuhlmann von der Voltaire Verlagsauslieferungen, die auch große Häuser wie den Hanser Verlag, Kiepenheuer und Witsch in Berlin vertrat. Dieser Kuhlmann war im Vertriebsbereich ein ähnlich bunter Vogel wie ich als Verleger. Er trug lange edle Ledermäntel, fuhr Porsche und war ständig auf Lebeschön-Trips, ging dann auch ziemlich früh in die Grütze. Willi Weismann, der große alte Mann des linken Verlagsbuchhandels, reiste aus München an. Bei ihm erschienen 1950 Hermann Broch, Elias Canetti und Hans Henny Jahnn, für seinen Bilderbuchverlag ›Parabel‹ entdeckte er Janosch und Friedrich Karl Waechter. Von Rogner und Bernhard sowie Merlin erschienen die Verleger, ebenso Peter Schifferli von der Arche in Zürich und Marguerita Schlüter vom Limes Verlag. Und nicht zu vergessen: Klaus Wagenbach, der bei Inge nächtigte, einer Frau aus Jörg Wallensteins Mannheimer Clique.

Inge war ein zartes blondes Mädchen mit langem Haar, das mit einem Minicooper umherbrauste und sich in Frankfurt von einem Architekten aushalten ließ. Das vermute ich nicht nur, sondern sie erzählte es mir unverblümt. Sie stammte aus dem Mannheimer Glasscherbenviertel, hatte sich zu einer Luxusmätresse entwickelt und interessierte sich sehr für Bücher und Kultur, besonders aber für deren Macher. Als sie mich mal in die Adlerflychtstraße zum Tee einlud, sprachen wir über den Wagenbach Verlag, für den Wallenstein ebenfalls als Vertreter arbeitete. »Klaus wohnt immer bei mir während der Buchmesse«, sagte Inge mit entwaffnender Offenheit, »dann schlafe ich auch mit ihm, weil er es gern möchte. Aber eigentlich macht es mir keinen Spaß. Ich schlafe nicht gern mit Männern – auch nicht mit Frauen –, aber ich rede eben gern mit ihnen. Den besten Sex habe ich mit mir selbst.« Würde dir bei solcher Ansprache als Don Juan noch was einfallen, selbst wenn die Frau schön ist? Inge wird in den folgenden Monaten noch ziemlich oft widerwillig mit Wagenbach geschlafen haben, denn er kam als Literaturproduzent häufig aus Berlin nach Frankfurt.

Wichtig – weniger für die syndikalistische Distribution von Literatur als für die Entwicklung meines Immobilienengagements – war Renate Gerhardt aus Berlin; in deren Verlag sind die ersten Nachkriegsausgaben von Walter Serner erschienen. Eine große schwarzhaarige Frau mit Jean-Seberg-Schnitt, einem interessanten, reizvollen Gesicht. Sie hatte bei Rowohlt als Lektorin gearbeitet, und man munkelte von einer Affäre mit Henry Miller. Schon Anfang der Fünfziger übersetzte sie Ezra Pound, William Carlos Williams und Robert Creeley, sie war eben die große junge Dame der deutschen Nachkriegsavantgarde. Ihr Mann Rainer Maria nahm sich 1954 in Karlsruhe das Leben. So jedenfalls steht es in den Annalen und auf dem Totenschein. Georg Patzer aus Karlsruhe allerdings hat eine andere Version parat, wie Rainer Maria Gerhardt zu Tode kam. Als wir im vorigen Jahr im Museum für Literatur am Oberrhein waren, sprach Patzer mich nach der Lesung an und brachte mir seine These näher: Hans Magnus Enzensberger hat Gerhardt plagiiert, ausgelutscht und anschließend ermordet. Nach Patzers biographischem und textanalytischem Diskurs gibt es eigentlich keine andere Möglichkeit, als daß Hans Magnus den Rainer Maria umgebracht hat, um nämlich dessen frühe Gedichte stehlen und seinen Stil schamlos kopieren zu können. Darüber hat der Mann ein ernsthaftes Buch geschrieben, ›Auf der Suche nach Rainer Maria Gerhardt‹, das einen großen Lesespaß verspricht.

Für solchen luziden Irrsinn kann ja aber Renate nichts, die ich immer sehr schätzte und der ich schließlich auch das Herrenhaus in Nieder-Florstadt verdankte. Wie alle notleidenden progressiven Verleger interessierte sie sich für eine Auslieferung, die ihre schönen Bücher am liebsten kostenfrei vertreiben sollte. Das vor allem brachte sie zu den Literaturproduzenten. Übrigens, das einzige, was von der gesamten Idee übrigblieb, ist tatsächlich die Sozialistische Verlagsauslieferung, kurz SOVA, ein Kollektiv, das Helmut Richter seit Jahrzehnten in Frankfurt am Main über die Runden bringt. Renate kannte jeden, gehörte zu den aufgeregtesten Hühnern im Verlagsgewerbe und hatte immer wunderbare Projekte. Kurz nach unserem Treffen in Frankfurt rief sie mich an: »Ich habe gerade mit Erwin von Löw, einem meiner Kommilitonen aus Heidelberg, telefoniert. Er hat ein wundervolles Schloß in der Nähe von Frankfurt mit vielen Wirtschaftsgebäuden, darunter auch eine moderne Scheune. Das wäre vielleicht etwas für unsere Auslieferung. Er würde uns das alles günstig verkaufen.« »Schloß?! Ist ja interessant«, sagte ich, »er soll sich mal bei mir melden.«

Nach unserer ersten Besprechung in der EVA gestaltete ich in der mir eigenen brutalistischen März-Cover-Typographie einen Aufruf als ›Börsenblatt‹-Anzeige und Flugblatt: »Alle an der Produktion und Distribution von Literatur Beteiligten – Autoren, Journalisten, Buchhändler, Verlagsmitarbeiter – ›Literaturproduzenten!‹« luden wir nach Frankfurt am Main zur Gründungsversammlung ins Bürgerhaus am Dornbusch ein. Die Veranstaltung fand Anfang des Jahres 1969 unter reger Beteiligung der Medien statt. Bald darauf tanzten die Autoren aus der Reihe, verließen die syndikalistische Linie, und im Juni 1969 wurde der Verband deutscher Schriftsteller gegründet. Heinrich Böll schrieb ihm das Motto vom »Ende der Bescheidenheit« ins Stammbuch. Noch an dessen erstem Kongreß 1970 in Stuttgart wurde die »Einigkeit der Einzelgänger« postuliert. So sind denn auch die Schriftsteller das geblieben, was sie immer waren: pauperierte Einzelgänger. Die Blütenträume von einer namhaften Beteiligung an den Produzentengewinnen der Medienmultis, die man gemeinsam mit Journalisten sowie Buchhandels- und Verlagsmitarbeitern damals hätte durchsetzen können, reduzierten sich auf die Verwertungsgesellschaft Wort und eine Kranken- und Rentenversicherung bei der Künstlersozialkasse. Immerhin ein Zimmerchen im Schlößchen Dux unserer Tage, dort, wo die meisten Karrieren von Künstlern enden: in der Altersversicherung der Einzelgänger.

Fortsetzung folgt

(BK / JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schroederkalender/2007/04/06/erste-sezession-7/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert