vonSchröder & Kalender 25.05.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nördlicher Richtung.

Jeder Vertriebsheini dreht durch, wenn er solche Bestellungen wegen irgendwelcher Verzögerungen nicht ausliefern kann. Deshalb mußte ich mich morgens während der Fahrt zum Büro immer selbst ins Gebet nehmen: »Wenn Melzer auf Zeit spielt, kann ich das schon lange. Jetzt sitze ich ihn mal aus. Ich schiebe die Auslieferung meinetwegen weitere zwei Wochen raus. Pornographie geht doch immer.« Daß ständig das Telefon läutete und ungeduldige Kunden nach den Büchern fragten, hatte auch Melzer mitgekriegt und unsere pflaumenweichen Auskünfte gehört: »Tut uns leid, nein, leider, bitte haben Sie noch etwas Geduld.« Trotzdem konnte er sich wohl einfach nicht vorstellen, daß ich es fertigbringe, einen lukrativen Auslieferungstermin endlos hinauszuzögern. Er setzte auf jenen selbstauferlegten Zwang, das, was man auf den Weg gebracht hat, auch ausführen zu müssen. Solchen Eigengesetzlichkeiten kannst du dich ja tatsächlich kaum entziehen. So hämmerte ich mir ständig ein: »Abwarten, nicht weich werden! Wenn er jetzt nicht zur Vernunft kommt, mache ich die Olympia Press eher kaputt! Ich produziere schöne Kosten mit ›Acid‹ und zehn anderen Büchern. Der kann auf Geld von den Pornos lange warten.«

Unter Hinsummen solcher Superlearning-Litaneien knirschte ich am Dienstag, dem 18. März, mit dem silbernen BMW 1600 ti auf den Splitt des Hofes in der Spreestraße. Beim Aussteigen sah ich, wie oben hinter der Fensterscheibe des großen Zimmers, in dem Anne Hansal und Traudel Brand arbeiteten, auch die Spitznase von Peter Beitlich und das Sepperlgesicht von Adolf Heinzlmeier hampelten. Was machte der ganze Laden hinter der einen großen Scheibe? Sie deuteten in Richtung Melzers Büro und grimassierten. Bei solchen tonlosen Szenen sehen die Darsteller ja immer aus wie Eingeschlossene einer Hoppla. Ich verstand nicht, was sie wollten, wunderte mich nur, daß um zehn nach neun Beitlich nicht im Souterrain neben der klackernden Telefonanlage saß und die Olympia-Press-Besteller abwimmelte. Du weißt doch, wie es in einem denkt! Die ruderten mit den Armen, und ich winkte fröhlich zurück. Dann ging mir plötzlich ein Licht auf: Das war gar kein fröhliches Gewinke, sondern ein panisches. Verwirrt rannte ich in das Gebäude, die Treppen hoch, rein ins Sekretariat. Da standen sie aufgeregt und redeten durcheinander: »Mensch, vorn in Melzers Zimmer ist der Kurzhals! Der wartet schon die ganze Zeit auf dich und fragt ständig: ›Wann kommt er denn endlich, der Schröder?‹ Was hat das zu bedeuten?!« »Weiß ich auch nicht. Wo ist denn Melzer?« »Keine Ahnung!« Jetzt wurde es mir mulmig, aber ich ging gefaßt in Melzers Büro und fragte: »Was machen Sie denn hier, Herr Kurzhals?« »Gudde Mosche, Herr Schrödä. Ei, da sinn Se ja endlisch! Isch wart schun die ganz Zeit uff Sie! Jetz hole Se mä bitte die Mitabbeidä in mei Zimmä!« »Was heißt Ihr Zimmer? Wo ist denn Herr Melzer? Was ist das für ein Ton? Was wollen Sie überhaupt hier?«

Nein, bevor ich weitererzähle, möchte ich beschreiben, wie du dir den Kurzhals vorstellen mußt: vierzigjährig, dicklich und, wie der Name schon sagt, kurzhalsig. Wohl ein Erbteil vom Urururgroßvater aus der Zeit, als man anfing, die Leute nach Berufen, Heimatorten und körperlichen Eigenheiten zu benennen. So wie Barbara in ihrem Dorf ›Butter-Bärbel‹ heißt, weil ihre Vorfahren Butter verkauften, trug diese Sippe eben den Namen ›Kurzhals‹. Da saß also nun diese komische Figur, drehte ihren Kopf mit dem Topfhaarschnitt wichtigtuerisch auf dem feisten Rumpf; ein richtiges Darmstädter Schleimschlippchen hockte eitel im Sessel des Verlegers, ein sehr ekelhafter Steuerbevollmächtigter, den ich selbst vor einem Jahr eingestellt hatte. Er betreute auch die Buchhaltung, damals wurde das alles von Hand gemacht, die EDV steckte noch in den Kinderschuhen. Einmal monatlich brachte ich ihm die Buchhaltungsbelege vorbei, gab sie meist nur an der Tür bei seiner Frau ab, hatte gar nicht mitbekommen, daß Melzer mit dem Heini Kontakt hielt. Es wäre mir im Traum nicht eingefallen, daß der sich ausgerechnet diesen Teigmann als Consigliere aussucht. Die Frage war: Wieso hatte sich Joseph keinen besseren geholt? Ganz einfach: Ein beflissener Buchhalter kümmert sich doch nicht darum, wer der Macher ist, sondern hält sich an die Besitzverhältnisse. Für ihn war Joseph Melzer der Verleger, und dem gefiel es, wenn Kurzhals ihm servil beipflichtete: »Ei, wo simmä dann?! Dä Schrödä kann doch net aafach die Eischetumsvähältnisse uff de Kopp stelle! Gelle?!«

Und deshalb antwortete der Steuerbevollmächtigte auf meine erstaunte Frage »Was wollen Sie überhaupt hier?!« mit einer Geste, als ob er die Verleihungsurkunde des großen Verdienstordens am Bande aus der Klarsichtfolie zöge: »Isch bin seit gestän Generalbevollmäschtischtä des Melzä Välags.« Und tatsächlich lese ich auf einem Verlagsbriefbogen die getippte Botschaft: »Hiermit bevollmächtige ich Herrn Steuerbevollmächtigen Rudolf Kurzhals, wohnhaft: Carlo-Mierendorff-Straße 25 in 6100 Darmstadt-Eberstadt, mich während meiner Abwesenheit in allen Angelegenheiten zu vertreten …« Ich frage ihn: »Was heißt hier Abwesenheit? Was ist denn los?« »Ei, dä Herr Melzä is zur Buchmess nach Jerusalem gefahre.« »Gut. Wenn Sie schon mal da sind, können wir ja gleich die neuen Gesellschafterverträge ausarbeiten.« Genüßlich ließ der Mann seine Antwort auf der Zunge zergehen: »Jaaa, daaas habbe Se sisch so gedacht, abbä daaadraus wäd nix weän! Als Generalbevollmäschtischtä des Melzä Välags ibägebb isch Ihne e Schreibbe vom Herrn Melzä. Isch kann Ihne abbä schun gleisch sage, da is Iä fristlos Kindischung drin. Unn jetz hole Se mä bitte die Mitabbeidä!«
Fortsetzung folgt

(BK / JS)


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