vonSchröder & Kalender 29.06.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert schwach in nördlicher Richtung.

Tja, der Mann hatte sich eben nie mit Revolten beschäftigt, sonst hätte er nicht den Fehler gemacht, uns das Kommunikationszentrum zu überlassen. Wir besaßen ein Büro, wenn auch ein leeres, eine Telefonanlage, eine melkende Kuh, die Olympia Press, und wir wollten einen weiteren Verlag gründen. Abends trafen wir uns in meiner Wohnung in Eberstadt: Peter Beitlich, Anne Hansal, Adolf Heinzlmeier, Traudel Brand und Uve Schmidt. Die Presseerklärung war kein Problem, auf anderthalb Seiten stand bald ein Statement, in dem ich Melzers »politische, literarische und philosophische Divergenzen« zitierte, es folgten die Forderungen der Mitarbeiter, die fristlose Kündigung, die Übernahme der Olympia Press, die Gründung eines neuen Verlages aus dem Repertoire des Melzer Verlags, die Solidarisierung der vierunddreißig Autoren und Übersetzer – von denen ich keinen gefragt hatte, das wollte ich am nächsten Tag nachholen. Der Text konnte aber erst herausgehen, wenn der Verlagsname feststand. Du kennst ja den Krampf, wenn du nur schon den Titel für ein Buch suchst, was da für Listen entstehen, was für Kraut und Rüben da draufstehen, welch dumpfe Assoziationsketten sich ergeben, ein galoppierender Blödsinn, ein Geseire! Schließlich gab ich resigniert auf, war mir sicher, wir finden den Namen heute nicht mehr, müssen also die Presseerklärung verschieben. Und während wir so auf Reserve dahinfahren und nur darauf warten, bis der Tank endgültig leer ist, sagt Uve: »Wir sind ja im Monat März.« Heinzlmeier griente auf seine bayerische Art: »März Verlag, harr harr harr harr!« Da kam mir die Erleuchtung: »Was gibt’s da zu lachen? Der Laden heißt März Verlag. Das isses doch!«

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So entstand das Logo, es war Dada und Vormärz zugleich! Beim Vormärz allerdings war mehr der Wunsch der Vater des Gedankens. Um dem auch im Signet Ausdruck zu verleihen, suchte ich, nachdem meine Mitverschwörer die Eberstädter Walstatt verlassen hatten, in der Nacht dieses denkwürdigen 18. März 1969 in diversen Historienbänden und Kunstgeschichten herum und fand die Kirchhoff-Lithographie ›Barrikaden in der Breiten Straße in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848‹ – ja, lach du nur! Die Datumsgleichheit stimmt! Deshalb mein guter Rat an alle Aufrührer: Aufstände immer auf den 18. März legen!
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Am nächsten Morgen, noch bevor ich mit dem Pressegerühre begann, gab ich das Barrikadenlitho zur Reproanstalt mit den Worten: »Hart kopieren.« Es wurde das Signet des Verlages, bis ich es dann gegen den brutalistischen rot-gelben Schriftzug austauschte.

Was für ein Glück hatte ich gehabt! Ein raffgieriger Verleger und sein dusseliger Bevollmächtigter verhielten sich genau zum richtigen Zeitpunkt so link, daß keiner den Insurgenten böse sein konnte. Außerdem paßte unsere Sezession ins deutsche Rahmenprogramm der Revoltechöre »Stän-de schlie-ßen! Mes-se be-en-den!« sowie der Literaturproduzenten. Ich habe dir nicht von ungefähr erzählt, wie Unseld auf der Buchmesse 1968 seinen Cheflektor Walter Boehlich feuerte. Mit dem solidarisierte sich Karlheinz Braun, der eine der lukrativsten Suhrkamp-Abteilungen geleitet hatte, den Theaterverlag.

Ja, ein Theaterverlag ist immer noch ein lukratives Geschäft, weil er statt der teuren Buchauflagen nur spartanisch ausgestattete Broschüren herstellen muß, als Rollenbücher für die Schauspieler, zur Prüfung für Dramaturgen, winzige Auflagen von kaum zweihundert Exemplaren, oft sind es nur Typoskripte, auf billigem holzhaltigem Papier gedruckt. Also hohe Tantiemeneinkünfte und geringe Kosten. Deshalb schmerzte der Auszug von Karlheinz Braun den Suhrkamp Verlag auch so. Zwar blieben die Rechte von Bertolt Brecht, Max Frisch und Peter Weiss bei Unseld, aber die junge Garde, angeführt von Rainer Werner Fassbinder, lief zu Brauns genossenschaftlichem Modell über. Der hatte seit dem heißen Messeherbst des Jahres 1968 lange verhandelt, um einen Kredit von fünfzigtausend Mark für die Startkosten aufzutreiben. Nur ein paar Tage vor unserer März-Sezession gründete er endlich mit Wolfgang Wiens vom Frankfurter Theater am Turm und elf Theaterautoren den ›Verlag der Autoren‹. In Presseerklärungen und Interviews erklärten Braun und Wiens, daß die utopische Zielsetzung eines sozialistischen Verlagsmodells durch ökonomischen Pragmatismus abgesichert sein müsse. Das genossenschaftliche Modell solle aber durch seine Existenz Erkenntnisse des Ausgebeutetenstatus aller Produzierenden anschaulich zeigen und somit ein Mittel darstellen, diesen Status abzuschaffen. Das gelte für Schriftsteller wie für Fließbandarbeiter von Opel. Ich walze diese Gedanken auch deshalb so genüßlich aus, weil Karlheinz Braun sich heute windet wie ein Aal, wenn er an seine starken Worte aus den Anfängen erinnert wird.

Die zweite Revolte war die Kontroverse im Heinrich-Heine-Verlag, ein kurz aufflackerndes Licht in Frankfurt, eigentlich nichts weiter als die Schaum- und Blasenkonstruktion eines hochstaplerischen Formulardruckers. Einen Sommer lang spielte er sich als Verlagstycoon der Linken auf und mußte sich bald darauf von der ihm angeschlossenen Edition Voltaire trennen, in der Bernward Vesper die ›Flugschriften‹-Reihe herausgab.

Schließlich gehörten zu den vier Revolten noch die Auseinandersetzungen im Münchner Goldmann Verlag, die ausgerechnet an dem Tage kulminierten, an dem Melzer uns kündigte. Einige Mutige regten dort am Schwarzen Brett schüchtern die Bildung eines Betriebsrates an, nachdem der frühmanchesterliche Verleger Wilhelm Goldmann, Herr über den größten deutschen Taschenbuchverlag mit zweitausendfünfhundert Titeln, seine Leute jahrzehntelang auf groteske Weise gepiesackt hatte. Es herrschte Weißkittelzwang für alle Angestellten bis zum Verlagsleiter, totales Rauchverbot am Arbeitsplatz, was die Presse als empörende Schikane brandmarkte – so ändern sich die Zeiten! Schnarrende Werksirenen verkündeten bei Goldmann das Ende der Arbeitszeit, außerdem hatte dieser verrückte Verleger eine »Arbeits- und Betriebsordnung« mit sechzig Geboten erlassen, darunter: »Private Telefongespräche am Arbeitsplatz sind verboten und dürfen nur in wichtigen Ausnahmefällen gegen Hinterlegung von vierzig Pfennig geführt werden«, oder »Eine Befreiung vom Kantinenessen ist nur mit ärztlichem Attest möglich.«

›Die Krise der Verlage und Verleger‹ wie die ›Frankfurter Rundschau‹ einen ihrer Artikel überschrieb, war die Protoszene des Syndikalismus. Obwohl es sich nur um diese vier Fälle handelte – Verlag der Autoren, Voltaire, Goldmann und jetzt Melzer –, stand die Presse kopf, von der ›Frankfurter Allgemeinen‹ angefangen, über die ›Zeit‹ und den ›Spiegel‹ bis zu Springers ›Welt‹, die übrigens in einem Bericht über die März-Gründung diese Entwicklung sehr freundlich begrüßte: »Darüber jedoch, daß im Verlagswesen ernst gemacht wird mit dem Streit um die Literatur, sollte sich niemand grämen, denn daß neue Wege und neue Verlage eine neue Literatur fördern können, ist eine ernst zu nehmende Hoffnung.« Wie kam es, daß diesem bißchen Aufruhr in Zwergunternehmen – verglichen mit Konzernen oder auch nur Betrieben mittlerer Größe, wo gar nichts passierte – eine solche Aufmerksamkeit gewidmet wurde, als stünde die Räterepublik vor der Tür? Weil eben auf der Woge der Studentenbewegung das Feuilleton in Vormärzstimmung war.

Fortsetzung folgt

(BK / JS)

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