vonSchröder & Kalender 10.10.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert schwach in östlicher Richtung.

Ramsch, damit steht und fällt auf dem Buchmarkt alles – vermutlich bald auch die Preisbindung. Denn de facto existiert sie ohnehin nur auf dem Papier. Das aber ist soviel wert wie die »leicht angestoßenen Exemplare« bei Fröhlich und Kaufmann, Hugendubel, Weltbild und Zweitausendeins.

Dabei steht fest: Die Großramscherei ist der Großbetrug am flüchtigen Geist. Aber der kann sich leider nicht wehren! Zur Buchmesse bringen wir folgendes Desktop-Pasquill:

Ein leidiges Thema, diese Presseexemplare. Dreißig Jahre lang schickte ich als März-Verleger von jedem Buch durchschnittlich vierhundert Exemplare an die Presse heraus. Was für eine Mühe und Verschwendung! Man weiß ja, daß die renommierten Pressefritzen unter der Flut der Rezensionsexemplare zusammenbrechen und daß sie die Titel schockweise an die Antiquariate verscheuern. Fritz Raddatz trug sie noch eingeschweißt dorthin und finanzierte so das Benzin für seinen Porsche. Was immer Verleger sich auch für Tricks einfallen ließen, es nützte nichts. Siegfried Unseld ließ »dem lieben Fritz« jedes Buch mit persönlicher Widmung zukommen, damit der wenigstens einmal reinguckte. Aber das juckte den einen Dreck! Im Gegenteil, für ein signiertes Unseld-Exemplare kriegte er von seinem Antiquar noch mal fünf Mark extra.

Was habe ich gelitten! Denn zu allem Überfluß entwickelten die Damen und Herren Rezensenten angesichts der Überproduktion auch noch ein herablassendes Verhältnis zu den Büchern. Ich gehe so weit zu sagen: Viele Kritiker hassen Neuerscheinungen! Als wir mal bei Hildegard und Reinhard Baumgart eingeladen waren, hatten wir kaum den Mantel ausgezogen, da zeigte er stöhnend auf die längs der Wand aufgeschichteten Bücherstapel und lamentierte: »Alle schicken mir Rezensionsexemplare, ich weiß nicht mehr, wohin damit. Ich will sie gar nicht haben! Ich kann mich aber nicht dagegen wehren!« Natürlich reden sie niemals so verächtlich in ihren blöden Feuilletons, und in Baumgarts Fernsehfeature ›Beruf: Kritiker‹ kommt das auch nicht vor.

Ach, wenn sie es doch wenigstens heraustrompeten würden, daß sie das alles für Schrott halten, der sie belästigt und belämmert! Und was macht der ›Spiegel‹? Da werden alle Presseexemplare kurz vor Weihnachten rausgeräumt, dann ist der ganze Flur damit vollgestellt, die Bücher wandern als Spende an einen Weihnachtsbasar zugunsten der Rettung Schiffbrüchiger. Ich schenke mir weitere Beispiele, mit diesem Thema könnte ich ein ganzes Wutseminar bestreiten.

So gehen die Aura des Buches und seine Würde zum Teufel. Ganz richtig: Würde! Das Unwesen der verschwenderisch herausgekübelten Rezensionsexemplare ist noch das kleinere Übel auf dem Wege der Inflationierung des flüchtigen Geistes, schlimmer ist das Ramschen. Wenn das Buch als Produkt seine Würde verliert, wird damit das Schreiben gleich mit verächtlich. Ramschen ist also nicht einfach nur einer der Prozesse im Warenfluß oder Verkaufen auf einer anderen Handelsstufe. Vielmehr wachsen die Schleuderpreise wie Schimmelpilz auf dem Medium Buch und infizieren die Inhalte. Nichts Schlimmeres kann einem Schriftsteller passieren, als sein Werk verramscht zu sehen. Das bedeutet nicht nur kommerziellen Mißerfolg, sondern signalisiert: Deine Literatur ist nichts wert, langweilig und uninteressant. Der Autor hat an seinem Manuskript ein oder zwei Jahre lang gearbeitet. Es sind also Lebenszeit und Arbeit, die da locker vom Hocker verramscht werden.

Darunter leiden übrigens nicht allein querulatorische, ökonomisch auf dem letzten Loch pfeifende, nicht normative Autoren. Ich nehme als Beispiel ein Ramschopfer, dem man manches nachsagen kann, nur keine Armut. Vielmehr ist die Frau milliardenschwer, ihr Mann hält die Mehrheit des Waschmittelmarktführers ›Persil‹. Jedoch, Gabriele Henkel geborene Hünermann ist ja nicht nur Salondame, die Hunderttausende für ein Fest verbrät, wenn ihr Konrad siebzig, achtzig oder neunzig Jahre alt wird, sondern auch Professorin für Kommunikationsdesign in Wuppertal, Künstlerin und Autorin diverser Bücher, darunter eines mit dem sprechenden Titel ›Les Beaux Restes · Bilder der Vergänglichkeit‹. Darin gestaltet sie als »Wanderin zwischen den Welten eine Kunst der Leere, in der die Fülle verschlüsselt ist«, so der Klappentext. Wenn man weiß, daß solch gequirlter Unsinn meist auf dem Mist der Autoren gewachsen ist … halt, ich wollte ja auf was anderes hinaus! Es geht nicht ums Geschwurbel, sondern darum, daß diese ›schönen Reste‹ in Leinen »früher 45 Euro jetzt 15 Euro« als »Nr. 145548« bei Frölich und Kaufmann verramscht wurden. An Gabriele Henkels Stelle hätte ich die doch aufgekauft und sie meinetwegen an Penner verschenkt, anstatt sie derart stillos verticken zu lassen.

Das sagt sich so einfach, selbst Penner nehmen nicht alles … nein, ich muß die Geschichte von Anfang an erzählen. Andreas Otteneder und von ihm verführt der Einserjurist Eckhard Höffner, heute bereits Staranwalt, sowie der Volkswirt und Foucault-Spezialist Hermann Schubert, mittlerweile ein Nadelstreifenmanager, hatten noch als Studenten eine Boheme-Idee und produzierten ein Pop-Buch – echten ›Abfall für alle‹, lange bevor Rainald Goetz sein gleichnamiges Werk veröffentlichte. Leider wählten unsere drei Freunde einen verqueren Titel, nämlich ›speak · Akten All · eine ungefilterte Momentaufnahme der Gegenwartskultur in Worten und Bildern‹, und waren davon nicht abzubringen. Die Verrückten machten wirklich das, was jeder Verleger in seinen Sturm-und-Drang-Jahren auch schon mal wollte, es aber aus Gründen der Vernunft und der Ökonomie dann doch nicht tat. Ich rede von der Idee: »Einmal werde ich alle unverlangt eingesandten Manuskripte ungefiltert drucken.« In Münchner und Pariser Kreisen, dort, wo die drei studierten, propagierten sie: »Schickt uns bis zu vier DIN-A4-Seiten, alles wird kostenlos veröffentlicht.« So entstand die schönste Dokumentation der laufenden Vergänglichkeit, die man sich vorstellen kann.

Fünfzigtausend Mark verbrieten die drei Studenten für diese Broschur von sechshundertvierzig großformatigen Seiten auf bestem 120-g/qm-Kunstdruckpapier. Darin fanden sich Manifeste, Lyrik, Prosa, Fotos und reiner Nonsens, natürlich durfte auch die Quadratur des Kreises nicht fehlen, ebenfalls waren ein paar Künstler mit von der Partie, zum Beispiel der Büttner-Schüler Andreas Höhne und natürlich die anderen Freunde aus der ›Baadercafé‹-Clique wie Christoph Oellers. Heimlich rechneten die Jungverleger wohl damit, daß jeder der zweihundertfünfzig Beiträger zehn Exemplare kauft, um es Eltern, Verwandten und Freunden zu schenken. Damit wäre dann schon die Hälfte der Irrsinnsauflage von fünftausend weg, die Herstellungskosten wären bezahlt und fünfzigtausend Mark im Sack gewesen.

Jedoch der Verleger denkt, und der Leser lenkt. Keiner, nicht einmal die beteiligten Autorinnen und Autoren, kaufte das Buch. Obwohl ›Akten All‹ eine gute Presse hatte; der ›Spiegel‹ und die ›Süddeutsche‹ berichteten von der tollen Idee und lobten ihn als witzigsten Titel, der in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sei. Aber der Markt sah das anders! Sogar die Ramscher winkten ab wegen der hohen Speditionskosten, sie wollten nicht mal eine Mark dafür geben. Also lagen viertausend Exemplare à fünf Pfund auf den Paletten und fraßen Lagerkosten. Schließlich entschied Otteneders Freundin Corinna Maier, eine resolute Wirtschaftsjournalistin: »Das Entsorgen kostet ja auch, da müßte man zwei Container bestellen, das sind dann noch mal tausend Mark. Deshalb verschenken wir die eben.« Sie versuchte den Remmel Berbern anzudrehen, die mit ihren roten Knollennasen und der Zeitung ›Riss‹ in Fußgängerzonen rumstehen. Aber sogar die zeigten der netten Dame einen Vogel: »Dös is ma z’ schwea! Dös kon i ned dahoitn.« Entnervt stopfte Corinna jetzt alle erreichbaren öffentlichen Müllkörbe damit voll, ließ in der Universität wie zufällig überall ein Exemplar liegen, doch die Paletten wollten und wollten nicht abnehmen. Bis Andreas Otteneder, dem cholerischen Jungen aus Niederbayern, schließlich der Kragen platzte. Er schmiß den Rest der Auflage wütend bei Nacht und Nebel in die Isar.

Mit diesem kleinen Ausflug in das Ramschunwesen wollte ich illustrieren, weshalb wir kein Lager aufbauen und Publishing on Demand favorisieren. Also nicht nur aus juristischen Gründen, sondern damit erst gar keine ›Beaux Restes‹ entstehen. Für Strategien im Bereich der Business-Art gilt eben das Desiderat: das Künstliche der Kunst hinter der Kunst verschwinden lassen. Oder ganz einfach: Man braucht Gelassenheit, neudeutsch Coolness geheißen. Cool kann immer nur sein, was nicht leicht verfügbar, mithin einem beschränkten Kreis zugänglich ist. Um solche Verknappung sicherzustellen, braucht man Konsequenz, zuweilen gehört dazu sogar Rigidität. Ein Beispiel gefällig? Unsere Folgen wurden und werden ja kopiert wie verrückt, dagegen ist nichts zu machen. Aber wenn wir erfuhren, daß jemand einen Text mit der Absicht der Denunziation vervielfältigte, um eine in der Folge genannte Figur auf uns zu hetzen, dann wurde ein solcher Subskriptionspetzer regelmäßig vom Bezug ausgeschlossen. Wen es in der Vergangenheit ereilte, tut hier nichts zur Sache, ich denunziere doch keine Denunzianten! Oder sagen wir mal, nicht jeden.

(BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2007/10/10/ramsch/

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kommentare

  • Hihi – nach dieser künstlichen Verknappung ist mein Exemplar von ‘Akten All’ jetzt sicherlich viel Geld wert.

  • Wahr gesprochen! Wundern sollte einen der einschlägige Umgang mit Kulturgütern á la Buch aber nicht – in der Warengesellschaft ist nun mal alles warenförmig – was mich vor meinen Internet/Computerzeiten immer wahnsinnig genervt hat, waren die lächerlich kurzfristige Verfügbarkeit von Titeln – ich wollte z.b. mal eine ganz bestimmte Beschstein-Ausgabe, die gab’s noch nicht mal ein halbes Jahr im Buchhandel – und in diesem Beispiel handelt es sich ja um quasi “zeitlose” Texte – das die neueste Lebensberatungsschmurgelbibel quasi schon bei Erscheinen “veraltet” ist, ist klar …
    Inzwischen kann man ja sehr bequem auf den gesamten antiquarischen Bestand zugreifen – wobei man natürlich nicht immer das kriegt, was man sucht –
    Das Desktop-Modell ist natürlich traumhaft als Platform, aber eben nur möglich, wenn man sein Publikum schon rekrutiert hat … Book-on- Demand hat leider dieses alte Eigenverlags-Rüchlein, obwohl das natürlich eine Möglichkeit sein könnte, resourcenschonend zu publizieren …
    Aber insgesamt ist der Literatur-/Buchmarkt natürlich so debil/krank wie der Rest der Gesellschaft, es gibt nun mal kein wahres Leben im Falschen, hähähähähähä-

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