vonSchröder & Kalender 30.10.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.

Am 24. Oktober ist der Berliner Stand-up-Poet Michael Stein gestorben. Wir lernten den radikalen Künstler 1993 bei einem Auftritt im Benno-Ohnesorg-Theater kennen. Darauf folgte am nächsten Tag eine Sendung bei Radio Fritz, es war auch die letzte dieser Art. Heiko Werning forderte in seinem tazblog dazu auf, die Welt mit Erinnerungen und Nachrufen zu Michael zuzupflastern. Was wir uns nicht zweimal sagen lassen!

Hier also ein Text aus ›Schröder erzählt: Klasse gegen Klasse‹:

Im ›Auerbach‹ auf der Köpenicker Straße trafen wir Wiglaf Droste, Gerhard Henschel und Michael Stein, alle mit ihren Freundinnen, außerdem saß noch Jürgen Balitzki, der Redakteur von Radio Fritz, mit am Tisch. Was die Qualität des Schickimicki-Lokals angeht, so bestand diese lediglich aus den langen weißen Bistroschürzen der Kellnerinnen. Das Essen war grauenvoll: Barbaras Seewolf halbroh und kalt, meine Hirschkalbskeule zäh, über die anderen Köstlichkeiten schweigt des Sängers Höflichkeit. Wiglaf war eben noch am Anfang seiner kulinarischen Karriere, er fand das Essen gut und die anderen wohl auch. Wir redeten nicht darüber, wollten niemand die Laune verderben. Ist ja auch nicht so wichtig! Man hat doch schon so viel Schlangenfraß hinter sich, da kommt es auf ein schlechtes Essen mehr oder weniger nicht an. Meine Stimmung war trotz des anstrengenden Nachmittags gut, ich hätte von der Leber weg erzählen können und freute mich auf die Sendung.

Gutgelaunt verquatschten wir die Zeit, da drängte der Redakteur von Radio Fritz zum Aufbruch. Es wurde ein Taxi bestellt, das fuhr einen Umweg zum Radio Brandenburg, deshalb kamen wir etwas spät im Studio an. Die Musik lief schon, meine Gastgeber raschelten mit den Manuskripten, der Tonmeister stellte den Pegel ein, da erinnerte ich mich an das Briefchen mit dem Koks aus dem ›Roten Salon‹, ich hatte es in die Geldbörse gesteckt. »Das geht jetzt bis ein Uhr«, dachte ich, »nach der Heilmann-Tour und den Weinen im ›Auerbach‹ werde ich sicher gleich müde. Ach, da könnte ich mir doch ausnahmsweise mal eine Nase reinpfeifen, dann bleibe ich munter.« Ich holte das Briefchen raus, hackte mit der Amex-Karte eine Line, rollte auf die klassische Tour einen Geldschein zum Röhrchen und zog die Erfrischung rein – just a fine line, hate to see it go! Für Wiglaf und Michael machte ich ebenfalls einen Kreidestrich, Drogenkenner Stein zog als erster, danach Wiglaf. Der Tontechniker, ein Ofenrohr mit Bierflasche, guckte mißbilligend durch die Glasscheibe. Der Redakteur Jürgen Balitzki und Barbara saßen in einem anderen Kabuff ebenfalls hinter einer Trennscheibe.

»Sendung läuft!« und »Radio Fritz …« und trallala! Wiglaf stieg vom Koks befeuert munter ein, er brachte einen neuen ›taz‹-Kolumnentext, danach stellte er mich vor: ›Schröder erzählt‹ und März Verlag und pipapo. Von diesem Moment an ging mir die Sinnfrage durch den Kopf: »Warum muß ich hier sitzen und diesen Quatsch machen? Müssen wir überhaupt reden? Das ist doch Blödsinn! Sinnlos!« Keine Ahnung wie es zu dieser Bewußtseinstrübung kam. Vielleicht war das Kokain mit irgendeinem Dreckzeug gestreckt? Kann auch sein, daß die Droge bei mir paradox wirkte, weil ich sie so lange nicht genommen hatte. Egal, ich blieb stumm. Der ›Special Guest‹ Schröder reagierte auf keine Frage, ja, er sprach überhaupt nicht, und Wiglaf wurde immer fordernder: »Jörg, nu sag doch mal was!«

Kokain ist bekanntermaßen eine Quasseldroge, aber bei mir wirkte sie in diesem Moment anders, ich war stoned. Barbara erzählte mir später: »Du sahst plötzlich sehr alt aus, faltig und grau, hast keinen Ton herausgebracht, nur schrecklich die Stirn gerunzelt und dabei alle sorgenvoll angesehen. Wahnsinn, auf einmal hattest du ein Gummigesicht! Man glaubt ja nicht, daß es sooo viele Gesichtsmuskeln gibt, die man bewegen kann! Deine Grimassen sprachen Bände, aber du bliebst stumm – was ja besonders gut kommt im Radio!«

Michael Stein war ebenfalls bedröhnt, nicht nur von der Nase Koks. Er hatte vorher gutes Gras aus Utrecht geraucht, trotzdem war er fit und erlöste Wiglaf. Nach einem kurzen »raschel, raschel, raschel« trug Michael wieder den Raupen-Text aus der ›Bild-Zeitung‹ vor, er las ihn wie ein Brinkmann-Gedicht: »Raupenhorror auf der Autobahn / Überall Raupen / In den Wäldern, auf den Rastplätzen / Alles rote Raupen / Überall! / Sitzen auf Bäumen und Blättern / Lassen sich auf Menschen fallen / Rote brennende Raupen / Ätzen total auf der Haut / Autofahrer kriegen Fieber / Milliarden roter Terrorraupen / Es ist die Raupenpest / Und es werden täglich mehr!«

Dann übernahm Wiglaf mit einem seiner Stücke, wieder stellte er eine Frage an mich, wieder kam nichts von mir oder höchstens ein gequälter kryptischer Satz, der nicht paßte. Wieder wurde mit Musik mein Schweigen überspielt. Nun fing Wiglaf an, wie der Teufel mit den Füßen zu wibbeln. Er war so aufgedreht, wie ich abgedreht war. Zuhörer wurden aufgefordert anzurufen, Michael Stein stellte die Fragen: »Ist Steffen Heitmann irgendwessen Inkarnation, irgendwessen Wiedergänger? Und kann sich die BRD überhaupt einen Bundespräsidenten leisten, der kein Kriegsverbrecher war? Wenn ja, wie soll er heißen?« Einige Hörer riefen an und gaben ihren Senf dazu. Zwischendurch meldete sich auch Ginkgo Güzel, das war Gerhard Henschel, mit verstellter Stimme bat er ultimativ um Weltfrieden.

Irgendwann, gegen Ende der Sendung, machte es bei mir klick! Ich erwachte aus meiner Amnesie und war wieder da. Damit man sich vorstellen kann, wie die angetüterte Nonsenssendung ablief, bringe ich die letzten sechs Minuten:

Droste: dumpf, dumpf, Muff, Muff!
Stein: Es gibt jetzt gerade eine neue Unfähigkeit, in das Gespräch zu gehen, hat Wiglaf festgestellt.
Droste: Die neue Unfähigkeit ist auch das, was wir von unserem künftigen Präsidenten Steffen Heitmann erwarten.
Schröder: Das hätte uns früher einfallen sollen! Jetzt sind wir ja auf einem anderen Thema. Neue Unfähigkeit ist … ja, genau!
Stein: Es berührt aber die Präsidentenfrage sehr stark, der Präsident soll doch fähig sein, ins Gespräch zu kommen. Wenn wir bei uns selber schon eine neue Unfähigkeit konstatieren.
Schröder: Könnt ihr mir beide sagen, ob die neue Unfähigkeit schon in den Medien vorgekommen ist? Denn wenn sie schon vorgekommen wäre, dann wäre es nicht originell, darüber zu reden.
Droste: Es geht doch sonst immer um die neue Ehrlichkeit.
Schröder: All diesen Scheiß. Nein. Aber neue Unfähigkeit?
Droste: Das ist ganz neu.
Schröder: Na, dann hätte sich diese sinnlose Sendung doch gelohnt.
Droste: Ja, ja, unbedingt.
Stein: Diese völlig überflüssige Sendung – kann man das so sagen?
Droste: Ich finde, von Sinnlosigkeit sprechen, heißt, die Selbstkritik zu weit zu treiben. Und bitte nichts Masochistisches, nur weil du gerne an Fußballersocken lutschst.
Stein: Ah, es kommt ein Anrufer, ich nehme ihn an.
Anrufer: Hallo, hier ist der Lars, guten Morgen sage ich diesmal. Die anderen sagten alle guten Abend. Ich gebe euch mal einen Tip für eure nächste Sendung, ja? Bei uns vor der Kaufhalle sitzen immer ein paar Typen, die trinken da Bier. Da stellt ihr das Mikro dazu, das nehmt ihr auf, und denn spielt ihr das ab.
Stein: Eine schöne Idee.
Anrufer: Da kommt auch nicht viel mehr Scheiße raus, als das, was ihr die ganze Zeit gequatscht habt.
Stein: Das ist eine wunderbare Idee, du meinst: das Radio sozialisieren. Den Empfänger zum Sender machen. Einen dialektischen Prozeß herbeiführen, gegenseitiger Austausch …
Schröder: Einen besseren letzten Anrufer hätten wir gar nicht haben können!
Anrufer: Es ist bestimmt …
Droste (schreit): Arschloch! Du Arschloch, du machst mir alles kaputt! Mein ganzes schönes Leben!
Anrufer: Das ist gut, ja! Was mich noch geärgert hat vorhin: Ihr redet immerzu, ihr guckt ›Zack‹. Ich kann hier nicht ›Zack‹ sehen …
Droste (schreit): Weil du ein Arschloch bist! Kannst du nicht mal ›Zack‹ gucken?! Sogar dazu bist du zu blöd, du Arschloch! Ich hasse dich, du hast mir alles kaputtgemacht.
Anrufer: Das freut mich!
Schröder: Die ganze Unfähigkeit!
Droste (schreit): Die ganze Unfähigkeit, alles im Eimer, ich war so unglaublich unfähig, und jetzt kommst du mit deinem blöden Geseier!
Schröder: Hahahahaha!
Droste (schreit): Ich war so unglaublich unfähig!
Anrufer: Das habe ich vorhin gemeint, daß ihr …
Schröder: Jetzt nicht noch einen! Der ist ja ungerührt!
(Der Anrufer sagte irgend etwas von ›rauftuten‹, mehr kann man nicht verstehen, weil alle durcheinanderreden.)
Stein: Wir haben niemand was raufgetutet, das ist nicht wahr! Das müssen wir von uns weisen!
Schröder: Wir waren nur unfähig.
Stein: Das Tuten ist über uns gekommen, das wäre richtig gewesen.
Anrufer: Über euch gekommen?
Stein: Ja, das Tuten kam über uns. Im Grunde genommen ist dieser ganze Abend über uns gekommen.
Schröder: Er fing schon so an.
Droste (schreit): Ihr redet auch noch mit diesem Arschloch! Verräter!
Anrufer: Ihr seid auf …
Droste (schreit): Verräter!
Anrufer: Ihr kriegt doch auch ein Gehalt vom Ostdeutschen Rundfunk …
Schröder: Ja, Scheiße, aber viel zuwenig! Für das Honorar kann man nur unfähig sein, das sage ich dir!
Anrufer: Meinste damit, ihr braucht euch gar nicht anzustrengen, oder was?
Stein: Es geht doch um metaphysische Fragen, es geht doch nicht um Anstrengung, es geht auch nicht um Leistung …
Droste: Was heißt hier überhaupt Honorar? Als ich neulich diese Bettler gesehen habe und ich in meinen Millionen schwamm, da habe ich gedacht: Menschenskind, ich bin auch nicht glücklich mit den Millionen! Wollen wir nicht tauschen?
Schröder: Außerdem, nachts schläft man entweder oder ist unfähig.
Stein: Vielen Dank trotzdem für den Anruf, das war in gewisser Weise ein wunderschöner Abschluß.
Schröder: Den haben wir bestellt!
Anrufer: Ganz kurz noch, es wird ja immer gesagt, es rufen immer sehr viele Leute an, die sagen: Macht bitte weiter so. Ich sage, macht bitte nicht weiter so!
Stein: Das ist wunderbar, das entspricht genau …
Schröder: Das ist ja ein Herzchen!
Droste (schreit): Verpiß dich!
Stein: Das entspricht genau unserer Vorstellung von paradoxer Intervention. Wir haben es erreicht, wir haben heute abend das Radio sozialisiert. Jeder kann erzählen, was er will. Es ist völlig gleichgültig, zu welcher Uhrzeit, über welches Thema, mit welcher Musik, und wir spielen jetzt extra keine Musik, sondern wir quatschen uns noch bis Punkt eins hier durch. Auch wenn wir überhaupt nichts zu sagen haben. Dabei soll es auch bleiben. Ja, die neue Unfähigkeit zu sprechen!
Droste: Ich bin unendlich froh, daß dieser Mann aus der Leitung ist. Ich war am Ende, kurz vor dem Fensterbrett. Und ihr habt mit diesem Mann geredet! Ihr habt mit diesem Mann geredet, der mir alles genommen hat.
Schröder: Du hast uns vorher über die Runden gebracht, Wiglaf, und jetzt, wo wir langsam uns so hochschaukeln, da drehst du durch. Immer zum Schluß, verstehste. Wie bei deinen Kraulrunden.
Droste: Kraulrunden?
Schröder: Du hast mir mal in einem Brief geschrieben, daß du immer kraulst in so sonderbaren Stadien.
Stein: Ja, Wiglaf war früher mal Rettungsschwimmer. Schon lange her! Das wäre jetzt aber auch noch eine Frage an den neuen Bundespräsidenten!
Schröder: Das ist ein Thema für die nächste Sendung.

(BK / JS)

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