vonSchröder & Kalender 24.11.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

In den Jahren 1989 bis 1996 lebten wir in der Nähe von Landsberg am Lech. 2001 erschien dann ›Ratten und Römer‹, eine Folge von ›Schröder erzählt‹, in der wir über dieses ›bayerische Argentinien‹ berichten.

Aus Anlaß des Erscheinens von ›Er stand in Hitlers Testament‹ über Karl-Otto Saur, den Planer des Projekts ›Ringeltaube‹, bringen wir unsere Landsberg-Erzählungen in Fortsetzungen.

Uns so geht es weiter: Das letzte Landsberg-Kapitel handelt vom »She’ erit Hapletah«, dem »Rest der Geretteten«, wie die Überlebenden der Konzentrationslager sich selbst nannten. Gleich nach ihrem Einmarsch brachte die amerikanische Armee die befreiten Juden in der Saarburgkaserne unter. In dieses ›Camp for Displaced Persons‹ – kurz DPs – wies man ebenfalls verschleppte Ost- und Zwangsarbeiter ein. Aber auch deutsche Flüchtlinge wurden hier aufgenommen, es gab sogar einige ehemalige KZ-Wächter aus der Ukraine. Deshalb kam es zu ständigen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Deutschen. Diese Zustände schilderte Earl Harrison 1945 in seinem kritischen Bericht an Präsident Harry Truman über die Behandlung der jüdischen DPs durch die amerikanische Armee. Daraufhin wurde dem erst siebenundzwanzigjährigen Infanteriemajor Irving Heymont die Verantwortung für das Camp übertragen, und er wandelte es sofort in ein ausschließlich jüdisches Lager um. Als erstes ließ er die Stacheldrahtzäune einreißen, und es wurde eine autonome Lagerverwaltung gewählt, welche die Einrichtung eines Krankenhauses, einer Schule, eines Lagergerichts, einer Sport- und Kulturabteilung organisierte. Eine ›Landsberger Lager-Cajtung‹ erschien, zunächst in Jiddisch, dann als überregionale ›Jidisze Cajtung‹ und schließlich ab 1947 in hebräischer Schrift. Es gab Berufsbildungsprogramme und Lehrwerkstätten. Nur die Hygieneabteilung arbeitete auf verlorenem Posten. Kein Wunder, wenn man bedenkt, daß auf dem Kasernengelände von 1945 bis 1951 zeitweilig siebentausend Menschen lebten, also vierzig Prozent der Landsberger Bevölkerung. Dieselbe Kaserne wurde von der Bundeswehr später wieder bezogen und galt mit siebenhundert Soldaten als voll belegt.

Trotz all dieser Widrigkeiten hatte das Lager die höchste Geburtenrate aller jüdischen Gemeinden weltweit. Zwar waren die meisten DPs traumatisierte Kaddisch-Sager und lebten hier mit der Erfahrung absoluter Leere, dennoch zeugten sie Nachkommen. Der ›Rest der Geretteten‹ sah in ihnen ›Gedenkkerzen‹ für ihre ermordeten Kinder und Verwandten. Für diese Töchter und Söhne kannten sie nur ein Ziel: »Nächstes Jahr in Palästina!«

Bereits im Oktober 1945 besuchte David Ben Gurion das Landsberger Camp – das »Vorzeigelager«, wie Yehuda Bauer es später nannte –, und verkündete im benachbarten DP-Krankenhaus St. Ottilien seine Vision: »Ich kann euch sagen, daß ein lebendiges jüdisches Palästina existiert, und selbst wenn seine Tore verschlossen sind, so wird doch der Yishuv (die in Palästina lebenden Juden) mit seinen starken Händen sie aufbrechen. Wir haben unsere eigenen Läden, unsere Fabriken, unser Land, unsere Kultur und unsere eigenen Waffen.« Die Juden saßen also im DP-Lager wie in einem Wartesaal nach Palästina. Keine drei Jahre später wurde der Staat Israel gegründet. Zur Feier der Unabhängigkeitserklärung dirigierte Leonard Bernstein das Patientenorchester von St. Ottilien. Unter den bayerischen DP-Lagern war Landsberg das bedeutendste, und man kann deshalb sagen: Israel wurde hier mitgegründet. So jedenfalls formuliert es der Historiker Dan Diner: »Den für diese dramatische Phase jüdischer Zeitgeschichte signifikanten Faktor stellten die jüdischen DPs in Europa dar, in der amerikanisch besetzten Zone Deutschlands, vor allem aber in Bayern. Es mag anmuten wie eine maßlose Übertreibung – aber so gesehen bahnte sich die unmittelbare Gründung des Staates Israel in Süddeutschland an.«

Die Landsberger Bevölkerung kann sich darauf rein gar nichts einbilden, ihr Antisemitismus wirkte ungebrochen fort, trotz der Massenmorde vor ihrer Haustür. Um so verwunderlicher ist, wie selten die Befreiten »die Hölle der Rache betraten«, wie John Sack das in seinem Buch ›Auge um Auge‹ nennt. Darin berichtet Sack von den Massakern, die jüdische Geheimpolizisten, die die Konzentrationslager überlebt hatten, an gefangenen Deutschen in Polen begingen. Bei meinen Recherchen bin ich nur auf einen Fall spontaner Rache gestoßen, den Simon Dargols erwähnt. Dargols, ein französischer Jude, der nach Amerika flüchtete, kehrte in amerikanischer Uniform nach Europa zurück und gehörte zu den Befreiern eines KZs bei Landsberg. Er berichtet, daß ein französischer Häftling den SS-Aufseher, der ihn gepeinigt hatte, mit einem Bleirohr angriff und erschlug, bevor die G.I.s ihn daran hindern konnten.

Die einzig wahren Gefühle, welche die Landsberger zu ihren ungeliebten Mitbürgern aufbringen konnten, waren der Neid auf die Schwerarbeiterzulage zu den Lebensmittelkarten, die den unterernährten Juden zustand, und der Ekel vor den »unbeschreiblichen hygienischen Zuständen im DP-Lager«. »Di sziler fun Julius Streicher im Landsberger magistrat« (Die Schüler von Julius Streicher im Landsberger Stadtrat), schrieb die ›Landsberger Lager-Cajtung‹ und beklagte sich darüber, wie wenig Verständnis schon sieben Monate nach der Befreiung für die Nöte der Displaced Persons vorhanden sei. Als es dann zu einem jüdischen Aufstand kam, hatten die braven Landsberger Bürger endlich dem Vorwurf von Greueltaten vor ihrer Haustür etwas entgegenzusetzen. Jetzt war es ja bewiesen: Die Juden waren auch nicht besser als die Deutschen.

(BK / JS)

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