vonSchröder & Kalender 03.01.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in munter nördlicher Richtung.

Eine Ankündigung für den Herbst 1969: ›Die schnellste Pizza der Welt‹ stellt zum ersten Mal die ›Lyrik-Explosion‹, die sich in den vergangenen drei bis vier Jahren in England ereignete, dem deutschen Leser vor. Der subjektive Ausdruck gegenwärtiger Lebensempfindung bestimmt den Charakter dieser Gedichte. Das macht ihre Überraschung aus und führt zu einer neuen Definition des Gedichts, das seinen zwanghaften Kunstcharakter hinter sich gelassen hat. In der Nachfolge der Pop-Musikszene hat sich die englische Lyrik mit erstaunlicher Popularität aus ihren tradierten Formen befreit. Sie ist zu dem ›natürlichen‹ Ausdruck unseres Lebens in einer hochtechnisierten Umwelt geworden: ›die schnellste Pizza der Welt‹ (Tom Raworth). Mit diese Anthologie macht das Lesen von Gedichten wieder zum Spaß.

›Die schnellste Pizza der Welt. Neue Gedichte aus England‹. (Die Ausgabe wurde vorher unter dem Titel ›Shit‹ angekündigt.) Herausgegeben und übersetzt von Ralf Rainer Rygulla. 240 Seiten mit zahlreichen Illustrationen, englische Broschur, 16,00 DM. Mehr nicht erschienen.

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Für die ›POP am Rhein‹-Ausstellung haben wir auch zwei Klischees eingeliefert. Das sind Druckvorlagen aus Metall, die heute überholt ist.

Inzwischen saßen elf Leute im Verlag, und es gab ersten Ärger: Ralf-Rainer Rygulla kam hinzu, ein präziser Einhalter von Terminen, solange er freier Autor und Herausgeber gewesen war. In seiner Eigenschaft als festangestellter März-Lektor wurde sein Buch ›Die schnellste Pizza der Welt‹, wofür er bereits ansehnliche Vorschüsse kassiert hatte, zur langsamsten, die du dir denken kannst, sie erschien nämlich nie. Ständig mußte ich dem Hersteller Hinterhuber in den Arsch treten, die Drucktermine einzuhalten. Er begründete seine Versäumnisse mit Überarbeitung und suchte sich eine Assistentin. Jetzt hockten zwei Kruken zwischen den Hartfaserwänden, und gar nichts lief besser. Eine Monatsproduktion der Olympia Press hatte er durch sein »Ja mei«-Gerede bereits versaubeutelt, weil er der Peter-Presse durchgehen ließ, daß zwei Titel nicht rechtzeitig zur Auslieferung fertig wurden. Wie alle Drucker liebte es auch der Drucker Kreickenbaum, Termine unter Absingen dreistester und verlogenster Ausreden zu verschieben. Am Monatsersten sollten planmäßig ein ›Peitschenengel‹ und ein ›Rauschtempel‹ bei Müller-Rodenberger verschickt werden, aber die Bücher waren noch nicht mal gedruckt. Zu allem Überfluß fing dieser Hinterhuber an, Shit zu rauchen, und das vertrug er nicht. Ich machte ihm Vorwürfe, er schaute mich mit seinem Nußknackergesicht glücklich an und kicherte: »Ja mei, hihihi, die Peter-Presse hat’s eben nicht geschafft, hihihi.« Der Umsatz für diesen Monat war weg, zweihunderttausend Mark perdu!

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Umschlagmotiv mit dem Motorradfahrer von Thomas Hornemann, dieser Siebdruck hängt in Berlin im Flur.

***
›Die schnellste Pizza der Welt‹ erschien also nicht. Für Rolf Dieter Brinkmanns ›Omnibus‹ gilt ähnliches, es kam kein Manuskript. Er war ja kein Autor, der viel produzierte, und er hatte Abnabelungsprobleme. Bei Kiepenheuer & Witsch lief das nicht anders. Denn veröffentlicht hätten sowohl Kiepenheuer & Witsch als auch März, wenn er Texte geliefert hätte. Irgendwann erklärte ich ihm, daß ich nicht mehr zahlen kann, bevor ein Manuskript auf dem Tisch liegt. Das hört sich herzlos an, aber ich mußte es mit anderen Autoren auch so machen, das hat neben der ökonomischen Notwendigkeit manchmal einen literarisch-therapeutischen Wert. Es gäbe kein Buch von Bernward Vesper, wenn ich nicht gesagt hätte: »Bernward, du kriegst nur für abgelieferte Manuskriptteile Vorschüsse.« Das hat ihn zuerst schockiert, dann lief es aber gut. Es gibt nichts Schlimmeres, als einem Vorschuß hinterherzuschreiben. Dazu brauchst du gnadenlose Disziplin, darfst dir nicht gönnen, auf einen genialen Schub zu warten. Also: Brinkmann produzierte keine Texte in dieser Zeit, damit das klar ist, man schmäht einen Autor mit einer solchen Aussage ja nicht.

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Das Plakat zu ›POP am Rhein‹ entwarfen: Barbara Kalender, Till Kaposty und Jörg Schröder.

Der opulente Katalog zum ›POP am Rhein‹-Festival erschien im Verlag der Buchhandlung Walther König.

Ausstellung im Kölnisches Stadtmuseum, Zeughausstr. 1 bis 3, 50667 Köln.
Dauer der Ausstellung: 13. Dezember 2007 bis 17. Februar 2008
Öffnungszeiten: Dienstags von 10:00 Uhr bis 20.00 Uhr, Mittwochs bis Sonntags von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr- Eintritt: 5 € / 4 €

In Düsseldorf wird ›Der März-Raum‹ gezeigt in der Müller & Böhm Literaturhandlung, Bolker Str. 53, 40213 Düsseldorf.
Dauer der Ausstellung: 23. Januar bis 16. Februar 2008
Öffnungszeiten: Montags bis Freitags: 10:00 Uhr bis 19:00 Uhr, Samstags 10:00 bis 18.00 Uhr. Eintritt: Frei!

Übrigens: Am Webdesign von ›POP am Rhein‹ begehren wir nicht schuld zu sein.

(BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2008/01/03/pop-am-rhein-4/

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kommentare

  • „Die schnellste Pizza der Welt“ ist nie erschienen. Nachzulesen im Blog von Schröder & Kalender. Auch Brinkmanns “Omnibus” nicht. “Es kam kein Manuskript.” Aber von Wondratschek ist Anfang der siebziger Jahre bei Hanser ein Band Kurzprosa mit dem Titel “Omnibus” auf den Markt gekommen. Hielt den Pappband kürzlich wieder in den Händen. Und in der Welt schreibt Elmar Krekeler darüber, was die Deutschen 1968 lasen. Der Beginn der Popliteratur. Mit Brinkmanns “Keiner weiß mehr” und Fichtes ” Die Palette”. Und wer “Brinkmanns Zorn” noch nicht gesehen hat: Ist als DVD erhältlich. Brinkmanns Zorn (3 DVDs) Die Ausstellung Pop am Rhein läuft auch noch. Und die Zeitschrift “Die Geschäftsidee” empfiehlt ihren Lesern den Schritt in die Selbständigkeit mit einer “Mobilen Pizzeria”. Nach dem O sole mio noch ein paar Gedichte aus The Mersey Sound… Haftnotizen […]

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