Wir sehen nicht, wie der Bär flattert, wir sind in Stuttgart.
Heute werden wir in Stuttgart mit Jürgen Jankowitsch & Andreas Vogel über den März Verlag, das Desktop-Publishing von ›Schröder erzählt‹ und unser Tazblog ›Schröder & Kalender‹ sprechen (mehr dazu in lift-online). Anschließend wird der mit einem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnete Film ›Die MÄRZ Akte‹ gezeigt.
31. Januar 2008, 20:00 Uhr in der Stadtbücherei im Max-Bense-Saal, Wilhelmspalais, Konrad-Adenauer-Straße 2, Stuttgart/Mitte. Eintrittspreis an der Abendkasse 3 / 4 Euro.
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Aus diesem Anlaß bringen wir hier einen Text, in dem es um eine Veranstaltung in Stuttgart geht, und zwar im Jahre 1969, kurz nach der Gründung des März Verlags:
2. Teil
Leider wußte ich damals noch nichts von den Schnupf- und Beischlafgewohnheiten aus Schillers Sturm- und Drangzeit, sonst hätte ich Uve Schmidts Lesung aus dem Stellungsbuch mit dieser Fundsache ergänzt. Aber es war auch so eine geküßte März-Präsentation. Als Uve geendigt hatte, säuselte KD Wolff im wohlerzogenen Kammerton von sozialistischer Erziehung. Danach sprach Hermann Nitsch über sein ›Orgien Mysterien Theater‹ und wurde dabei von einem Kunstkritiker hart angegangen, der ihn wegen der Blutsudeleien anfeindete. Mit Klauen und Zähnen verteidigte der kleine runde Hermanndi im schwarzen Priesteranzug sein Konzept, schaufelte mit den zarten rosa Händen die Luft wie ein Maulwurf und schrie zurück: »Wos wolln S’ vo mia, Sö Gridiga?! Wos vöfolgn S’ mi?! Imma san Sö do, wo i bin! Sö ham doch an Vöfolgungswahn!«
Anschließend redete Augustin Souchy von der syndikalistischen Revolution und dem spanischen Bürgerkrieg. Ich stand neben dem Veteran des Anarchosyndikalismus, der vielleicht siebzig Jahre alt war, und brezelte Statements von der Erweiterung des literarischen und politischen Bewußtseins heraus: »Literatur muß aus abstrakten kulturellen Ansprüchen herausgelöst werden. Wir wollen einen Verlag, der Texte kanalisiert, sie von den Rändern der Literatur ins Zentrum einer neuen transportiert, Alltagsmaterial neu beschreibt.« Neues Bewußtsein, neue Sensibilität, Schlagwörter, Versuche, etwas zu formulieren, was ich selbst noch nicht genau wußte.
Das fanden die Stuttgarter nicht seriös, sie begannen zu mosern: »Sie kennet doch koin Verlag mache, ohne z’wisse, wie des Programm genau aussehe soll!« »Wenn Se selbscht no netamal wisset, ob die Biecher gut send, die Sie planet, worom sollet dann mir se kaufe?« Uve Schmidt stampfte mit dem Fuß auf, rief: »Nein, nein, Jörg!« Nitsch schrie: »I waaß genau, wos i wüll!« Souchy stand wie ein Fels in der Brandung und krähte: »Das spanische Volk hatte von alters her eigene Auffassungen von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Das haben die verbohrten marxistischen Fanatiker nie verstanden!« KD übertönte ihn mit dem Schlachtruf: »Wir unterstützen alle Befreiungsbewegungen, Québec libre!« Im allgemeinen Tumult zog einer aus dem Publikum die schwäbische Notbremse: »Woher habet Se Ihr Kapital? Wie wollet Se des alles finanziere?« Darauf deutete ich wie weiland der Bhagwan Shree Rajneesh gen Himmel: »Wir haben da oben einen Buchhalter, der sitzt und rechnet, damit immer alles paßt. Was wir mit der Pornographie verdienen werden, wird für den März Verlag ausgegeben.« Jetzt fühlten sich die Stuttgarter erst recht verarscht, so etwas paßte nicht in ihr Weltbild. Man muß doch Profit machen und nicht gleich wieder ans Ausgeben denken! Von nun an ließen sie nicht mehr locker. Die Finanzierung wurde zum Generalthema: »Entweder Sie habet des Geld garnet, führet ons hier a Verlagsmodell vor, desses garnet gebe wird, weil gar koi Geld do isch, oder Sie habet des Geld und wollet ons net sage, woher!« Die schräge Veranstaltung wurde von einer Combo begleitet, Wolfgang Kiwus spielte Flöte, die eine Art Gunter-Hampel-/Anton-von-Webern-Jazz hören ließen. Alles in allem also eine Profit-Grundsatzdiskussion mit Dissonanzen, eigentlich die richtige Filmmusik für die ›März-Geschäfte‹.
Insgesamt befanden wir uns aber noch in der strahlenden Phase, wenn es auch hier und da im Gebälk der kollektiven Euphorie bereits knisterte. Ralf-Rainer Rygulla legte ›Die schnellste Pizza der Welt‹ zur Seite und die Füße hoch. Er war ja nun angestellter Lektor und hatte ein festes Monatsgehalt – das ist eben nicht unbedingt förderlich für die Schaffenskraft von Intellektuellen. Außerdem blockierten ihn die ständigen Vorwürfe von Rolf Dieter, er tue nicht genug für die Brinkmann-Verlagslinie. Ralf-Rainer wiederum mahnte bei ihm den ›Omnibus‹ an, einen Sammelband aus Texten, Lyrik und Essays, der aber nie fertig wurde. Die einzigen Stücke, die Brinkmann ablieferte, sind das große ›Vanille‹-Gedicht in ›März-Texte 1‹ und der ›Personismus‹-Beitrag in ›Mammut‹.
Klar, nicht alle ließen nach, fleißig waren meine Mutter, Anne Hansal im ersten Jahr auch, Traudel Brand ebenfalls, Herr Rische in der Buchhaltung, der jedoch mit unbrauchbaren Ergebnissen. Und ich arbeitete ja immer gern als einer, der alles am liebsten selbst machen will und dann so richtig reingezogen wurde in den Sog eines – na, sagen wir mal: Riesenerfolges! Denn bei allen rückblickenden Abstrichen, die Verlagsgründungen waren ein gigantischer Erfolg, der alle Außenstehenden vor Bewunderung erstarren ließ.
Im Innenverhältnis sah es anders aus, das Mitbeteiligungsmodell brachte die ersten unerwünschten Resultate: Bloß nicht überanstrengen! Also das Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte. Ich mußte schon in den ersten Monaten die Peitsche schwingen. Adolf Heinzlmeier, der Hersteller, versaubeutelte Drucktermine und kicherte bekifft herum. Das war doch gar nicht seine Droge! Der kam aus Bayern und hätte Bier trinken müssen! Nein, das ist kein Blödsinn! Später hat er das Shit auch wieder abgesetzt, der war dafür nicht geschaffen. Natürlich gibt es Bayern, die prädestinierte Haschischkonsumenten sind, hundert, tausend, hunderttausend – von mir aus eine Million! Aber dieser Heinzlmeier vertrug es eben nicht. Darunter litt die Produktion der ersten März-Titel, weil sich angedröhnt Bücher eben nicht herstellen lassen. Everybody must get stoned, nur nicht der arme Heinzlmeier. Na, so arm denn doch nicht als Kommanditist bei März und Olympia Press. Mit den Leuten der Stammannschaft schloß ich nämlich die Gesellschafterverträge ab, wie ich es ihnen zur Melzer-Zeit versprochen hatte. Und jeder der vier kassierte anderthalb Jahre später 25.000,00 DM, das war 1971 sehr viel.
Also waren die Fragen des Stuttgarter Publikums nach dem Geld schon berechtigt gewesen.
(BK / JS)