Der Bär flattert in nördlicher Richtung.
Sollen wir wirklich einen Roman lesen, dessen Autor einen SS-Obersturmbannführer erfunden hat, der sich auf 1.381 Seiten dafür entschuldigt, geboren worden zu sein? Und das soll eine Kippfigur Adolf Eichmanns sein? Aber einen solchen Eichmann hat es nie gegeben!
Frank Schirrmacher, oberster Schweinehirte der Nation, befiehlt: Wir müssen ›Die Wohlgesinnten‹ von Jonathan Littell lesen. Damit treibt er zum Jahresanfang eine neue Sau durchs Dorf, denn angeblich ist das Buch »der Versuch zu erklären, was uns bis heute unerklärlich scheint«. Dabei kann Littels Roman schon deshalb nichts zur Erklärung beitragen, weil der Autor lediglich Fakten kompiliert, diese schöngeistig verbrämt und seinen Helden Max Aue als Intellektuellen darstellt, der für sich eine Privatmoral postuliert.
Adolf Eichmann war kein solcher Mensch, sondern eine Landsknechtfigur aus einer Horde mit kollektiver Unmoral. So sagt es Propst Grüber im Eichmann-Prozeß in Jerusalem aus: »Der Landsknecht ist der, der mit seiner Uniform, die er anzieht, das Gewissen und den Verstand ablegt, und das war der Eindruck, den wir damals, nicht nur ich, auch meine Mitarbeiter und Freunde, von ihm hatten. […] Der Landsknechttyp hört bei mir nicht bei einer bestimmten militärischen oder sonstigen Charge auf, den hat man auch bis in die höchsten Stellen hinein. Es ist der Typ, der, wenn er nach außen in Erscheinung tritt, etwas darstellen will. Wir nennen das auf deutsch ›Radfahrer‹, nicht wahr? Das sind Menschen, die nach unten treten und sich nach oben verbeugen.«
Auf dem Höhepunkt der deutschen Weltbeherrschung schrieb Max Horkheimer 1941 in ›Vernunft und Selbstbehauptung‹: »Was der Faschismus denen antut, die er herausgreift, um das Grenzenlose seiner Gewalt allen vor Augen zu stellen, scheint jeglicher Vernunft zu spotten. Die Folterungen übersteigen die Kraft von Vorstellung und Denken. Der Gedanke, der es versuchte, der Untat zu folgen, erstarrt vor Entsetzen und wird ohnmächtig.« Eichmann hat es im Kameradenkreise kürzer gesagt: »100 Tote sind eine Katastrophe, 100.000 Tote sind Statistik.«
Deshalb rufen wir den Historikern, Literaturwissenschaftlern und Mediensoziologen, die Schirrmacher für seine Littell-Diskusion zusammengetrommelt hat, einen Satz zu, den ein weiser Layout-Zufall uns zur ersten Fortsetzung ›Der Wohlgesinnten‹ in der FAZ beschert hat: »Würdet ihr bitte endlich still sein, bitte?«
(BK / JS)
[…] Es ist Karneval, in Köln, aber auch in Rio und das diesjährige Motto “Gänsehaut” treibt eigenartige Blüten: Laut Presseberichten die regionale Sambaschule Viradouro einen Holocaustwagen gestalten lassen auf dem in Hitler-Kostümen getanzt werden sollte. Die Schule war, trotz Protesten der jüdischen Gemeinde, unwillig die KZ-Szenerie zu verzichten. Der Rabbiner von Rio zog nachvollziehbarerweise vor Gericht – und bekam nun recht. Seltsame Vorstellung, nackte Mädchen, betrunkene Tänzer und zwischen allem: ein fahrendes KZ. Im Übrigen ist der taz-Blog-Beitrag von Schröder & Kalender über “Die Wohlgesinnten” und Frank Schirrmachers Engagement für das Buch über einen Eichmann sehr empfehlenswert. […]