vonSchröder & Kalender 17.03.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.

Tagebuch 14. März: Gestern war ein turbulenter Tag. Der Plakatkünstler und März-Autor Gunter Rambow rief an und wollte zum Frühstück kommen. Er lehrte in Kassel und an der HFG Karlsruhe und lebt, seit er vor fünf Jahren emeritiert wurde, im mecklenburgischen Güstrow. Seit 1987 – als Jörg im Fachbereich visuelle Kommunikation der Uni Kassel einen Lehrauftrag absolvierte – hatten wir Gunter nicht mehr gesehen. Rambow logierte traditionsbewußt im Hotel Bogota in Charlottenburg. In diesem Haus wohnte und arbeitete von 1925 bis 1938 die Fotografin YVA, sie wurde 1942 von den Nazis ermordet. Helmut Newton war 1936 bis 1938 bei ihr Lehrling.

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Wegen des Streiks fuhren keine U-Bahnen, deshalb hatten wir Gunter gebeten, die junge welt mitzubringen, in der eine Rezension von Jamal Tuschik über ›Schröder erzählt‹ angekündigt war. Gunter kam um zehn ohne Zeitung und erzählte, daß der listige Taxifahrer an sechs Kiosken gehalten habe, ohne Erfolg, anstatt das Blatt im Pressezentrum des Bahnhofs Zoo zu besorgen.

So isser, immer etwas umständlich, der Herr Rambow. Und auch sonst hat er sich kaum verändert. Man sagt, das so hin, als Kompliment, aber in seinem Falle trifft es zu. Nur seine Kappe, die er nie absetzt, ist jetzt aus Wollstoff, früher war sie immer aus Leder.

Wie in einem Daumenkino ließen wir Namen und Ereignisse der letzten zwanzig Jahre Revue passieren. Schließlich, gegen 13 Uhr, bat Jörg (brasilianisch) einen Absinth an. Gunter nickte begeistert und zum ersten Mal im Leben tranken wir um die Mittagszeit jeder drei Gläser von dem Stoff, obwohl Absinth doch der grünen Stunde zwischen 17 bis 19 Uhr vorbehalten sein sollte. Die L’Heure Verte war Ende des 19. Jahrhunderts in Paris ein Ritual, es galt als unfein außerhalb dieser Zeit dem Absinth zu frönen, auch durften es nicht mehr als zwei oder allenfalls drei Gläser sein.

Entsprechend beflügelt sprudelten die Sätze und wirbelten die Assoziationen. Gunter Rambow sprach über seine signierten und numerierten Editionen, darunter 80 Plakate von 1962 bis 1989, Auflage 20 Serien, Preis: 60,000,00 Euro. Bonne Chance! Währenddessen rief Kito Nedo an, Barbara sprach mit ihm im Nebenzimmer, Kito wollte für die Zeitschrift ›Art‹ eine Geschichte über das in Köln abgängige Literaturblech schreiben. Nun war das Exponat aber seit gestern wieder im Haus. Deshalb erklärte Barbara ihm, daß wir uns noch immer keinen Reim auf das Schweigen des ›POP am Rhein‹-Kurators Uwe Husslein machen können. Doch weil das Blech ja nun geschickt wurde, sei die Geschichte gestorben.

Barbara kehrte an den Tisch zurück und berichtete von dem Gespräch. Da rückte Gunter plötzlich damit heraus, als sei es das Normalste von der Welt: »Ich mache demnächst in meiner Galerie in Güstrow mit Bazon Brock eine Ausstellung, Titel: ›Künstler ohne Werk‹. Da legen wir auch seine Blechschilder als Serie wieder auf. Natürlich numeriert und von Bazon signiert. Habt ihr noch die anderen Schilder? Oder kennt Ihr wenigstens den Text der Literaturbleche? Es gibt ja davon nichts mehr auf dem Kunstmarkt …« Wir ließen uns nichts anmerken, aber der Groschen war gefallen. Vor wenigen Tagen fand Jörg nämlich bei Google eine Meldung, daß Literaturbleche in Köln wieder aufgelegt werden sollen.

Am Tag unserer anwaltlichen Abmahnung wollte Barbara diese Ankündigung ausdrucken, da war der Text bei Koellefornia gelöscht. Natürlich reiner Zufall!

Und jetzt, nach 20 Jahren, besucht uns plötzlich Gunter Rambow und erzählt, daß er eine Edition machen wolle – auch ein Zufall! Könnte es zufällig so sein, daß unser Literaturblech das einzige noch vorhandene Stück ist und als Muster für Material und Machart dienen sollte? Warum aber dann diese Geheimniskrämerei? Befürchtet jemand, wir könnten ihm mit dem sensationellen kommerziellen Projekt einer Blechschilderneuauflage zuvorkommen? Als hätten wir nichts besseres zu tun! Man darf beim Absinth ja mal seine Synapsen klickern lassen.

Um 16 Uhr setzte Barbara den zerstreuten Professor Rambow in die Ringbahn, es war seine erste Fahrt mit diesem Verkehrsteilmittel. Wir hoffen, daß er gut in Güstrow angekommen ist.

Nach Rambows Abreise Durchsicht der Post, dabei war die neue Ausgabe von testcard #17: ›Sex‹.

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Beim Durchblättern entdecken wir die Besprechung der ›März Akte‹-DVD von Martin Büsser. Erfreulich! Und von Wolfgang Müller, kam sein Titelbildentwurf zur ›Schröder erzählt‹-Folge ›Eitelkeit auf Eitelkeit‹. Schön! Mehr wird vor Erscheinen traditionell nicht verraten.

In der FAZ finden wir eine Besprechung des Werkes ›Das Okkulte‹. Es handelt sich aber nicht um das Buch von Colin Wilson, welches 1982 bei März erschien, sondern um einen neuen Titel aus dem Jahr 2008 von Sabine Doering-Manteuffel. Die Verwilderung der Sitten schreitet auch im Buchwesen fort. War da nicht mal was mit Titelschutz?! Jämmerlich, diese Gurken in Lektorat und Vertrieb solcher Konzernverlage wie Siedler. Die denken: »Warum sich noch selbst Gedanken machen, nehmen wir doch einfach einen Titel, der schon da ist.« Wir diskutieren und beschließen: Keine Lust auf einen neuen Rechtsfall.

Um 17:30 Uhr machen wir uns auf den Weg zu den Botschaften der nördlichen Länder. Mit der S-Bahn bis Tiergarten. Wegen des Streiks der BVG ist kein Taxi zu bekommen. Wir müssen einen weiten Weg zurücklegen: die Straße des 17. Juni runter bis zur Siegessäule, dann die Hofjägerallee lang. »Die Abkürzung durch den dunklen Tiergarten«, meint ein junger, kräftiger Jogger, »ist für Sie nicht zu empfehlen.« So kommen wir eine viertel Stunde zu spät. Das Gespräch zwischen Guðbergur Bergsson und Wolfgang Müller war bereits im vollen Gange. Die Einführung des Verlegers Martin Schmitz hatten wir verpaßt. Bergsson lebte 1972 auf der verlassenen isländischen Insel Flatey, dort hatte der Künstler Jón Gunnar Arnason eine priapische Statue des nordischen Fruchtbarkeitsgottes Frey geschaffen. Diesem Gott widmete Bergsson sein ›Flatey Frey‹, ein Gedicht über Verfall, Fruchtbarkeit und das Werden von Kunst.

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Am Ende des Gesprächs mit Wolfgang Müller trug Guðbergur Bergsson ein Lautgedicht vor im Stil der konkreten Poesie: »Orða – Borða«, es oszillierte zwischen Orða (Wörter) und Borða (Essen) – eindrucksvoll. Resümee: Im schmalen Bändchen ›Flatey Frey‹ des bedeutendsten zeitgenössischen Schriftstellers Islands verbirgt sich ein großer Text.

Anschließend las Jón Kalman Stefánsson aus seinem Roman ›Sommerlicht, und dann kommt die Nacht‹. Soffía Gunnarsdóttir übersetzte und sprach mit dem Schriftsteller, das machte sie gut und amüsant. Angenehm war auch die Atmosphäre im Anschluß an die Veranstaltung. Der Botschafter der Republik Island, Ólafur Davídsson, mit seiner Frau Helga Einarsdóttir luden zu einem Glas Wein ein. Seine Exzellenz ließ es sich nicht nehmen, jedem der Gäste die Hand zu schütteln, das machte er freundlich und unkompliziert. Man wünscht sich mehr solcher unprätentiösen Diplomaten.

Wir saßen in schöner Runde: Wolfgang Müller, Matthias Mergl, Patricia und Martin Schmitz. Johannes Ullmaier war gerade in Berlin angekommen. Neben seiner Hochschultätigkeit ist er noch Mitherausgeber von ›testcard‹ und Lektor der edition suhrkamp. Johannes hat auch Wolfgangs ›Neues von der Elfenfront. Die Wahrheit über Island‹ begleitet. Wir erzählten ihm von Gunter Rambows Besuch und seiner Plakatedition für 60.000,00 Euro. »Ich nehme zwei«, war sein trockener Kommentar.

Jörg sprach mit Olaf Eigenbrodt, einem Bibliothekar der Humboldt Universitätsbibliothek über Florian Havemanns Autobiographie. Das Buch wird in der HUB jetzt nur noch in der Präsenzbibliothek zum Lesen ausgegeben. Olaf wollte alles über die Produktionsgeschichte von Havemanns ›Auszüge aus den Tafeln des Schicksals‹ wissen, das bei März erschienen war. Der Mann kannte auch dieses Buch, und ist überhaupt ein Lichtblick. Schon lange sind wir keinem lesenden Bibliothekar begegnet.

Auf dem Rückweg fanden wir gleich ein Taxi, fuhren dann mit der S-Bahn bis zum Bahnhof Zoo, um die Literaturbeilage der jungen welt zu kaufen. Um halb zwölf waren alle Zeitungen des Tagen bereits in zwanzig Remittendenbündel verpackt. »Wir brauchen die Ausgabe als Belegexemplar«, jammerte Barbara und – Zeichen und Wunder –, die junge Verkäuferin suchte zehn Minuten die verschnürten Bündel durch, bis sie tatsächlich ein Exemplar heraus fischte. Der Mensch ist gut.

So konnten wir in der S-Bahn die Eloge von Jamal Tuschik lesen. Es ist die bisher schönste auf ›Schröder erzählt‹, weil Jamal die beste Beschreibung unserer gemeinsamen Arbeit gelungen ist. Der Mann ist nicht nur ein guter Autor, sondern auch ein Durchblicker wie sich in seinem Gemeinschaftswerk mit den Zwillingsschwestern Gisela Getty und Jutta Winkelmann zeigt, von dem Barbara Bongartz schreibt: »… es spricht von großer Kunstfertigkeit und Respekt, daß er unübersehbar buchprägend wirkt …«

Übrigens: Souverän die junge welt – der Text ›Wie der Bär flattert‹ ist auch eine Rezension unserer tazblogs, denn die 50. Folge von ›Schröder erzählt‹ ist ja eine Auswahl daraus.

Weiter mit der Redaktion ›Eitelkeit auf Eitelkeit‹, und morgen früh fahren wir zu Heike und Povl nach Caputh zum Frühlingssalat.

(Fortsetzung folgt)

(BK / JS)

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