vonSchröder & Kalender 18.06.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.

In einem Haus in der Nähe der Friedrich-List-Schule, das die Russen beim Einmarsch zusammengeschossen hatten, es hieß, es sei eine Wehrmachtsdienststelle gewesen und zuletzt von SS-Leuten verteidigt worden, hatten wir uns einen Eingang zum Keller freigelegt, stiegen dort ein und fanden reichlich Munition. Mit Steinen und Eisenstücken schlugen wir die Patronen, Pistolen- und auch Gewehrmunition, auf, ließen das Pulver auf einen Haufen rieseln, mit Zündschnurlinien, die wir mit brennbarem Zeug zogen, versuchten wir dann den Pulverhaufen hochzujagen. Leider erlosch die Zündschnur ständig, so mußten wir immer näher ran an das Pulver. Aber dann ging es schließlich doch in die Luft, und die Steinbrocken flogen umher in den Ruinen zum Entsetzen der Erwachsenen: »Schon wieder ein Blindgänger hochgegangen, fürchterlich!« Bei einem ähnlichen Spiel, ich war nicht dabei, sonst säße ich nicht hier, sind zwei Jungs aus meiner Klasse ums Leben gekommen. Sie spielten mit größerer Munition, versuchten offenbar eine Granate aufzuklopfen, die hochging und beide zerfetzte. Es gab eine Schulfeier in Pankow, in der Leichenhalle sangen wir: »Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen bedacht, mit Nelken besteckt …« Von diesem Tag an habe ich keine Patrone mehr angefaßt.

Noch aber wühlten wir in diesem Keller, und eines Tages, ich war allein drin, fand ich unter dem Schutt einen Säbel, fast so groß wie ich selbst. Er war wunderbar, ein Säbel, wie ich ihn mir immer gewünscht hatte, mit Steinen als Augen im Löwenkopf des Knaufs. Ich dachte mir, das sind Edelsteine, und tatsächlich erfuhr ich später, daß die Prunksäbel höherer Offiziere durchaus mit Brillanten besetzt sein konnten, also er war ein paar Mark wert. Mit diesem Ding, es steckte in einer oben und unten golden beschlagenen Scheide, will ich gerade über den Bismarckplatz wetzen, eine kleine Anlage, von den Straßenbahngleisen in zwei Halbkreise geteilt, links und rechts führte ein Weg an hohen Knallerbsenbüschen entlang, da kommt mir ein russischer Soldat entgegen.

Ich lauerte noch nach links und rechts, war schon auf dem Weg, traute mich nicht mehr zurückzulaufen, wußte nicht, was ich machen sollte, stand versteinert mit meinem Säbel da und dachte: Jetzt ist es aus, jetzt kommt der Russe und sieht den Säbel. Denn alles, was militärisch war, das wußte ich, ist für Deutsche gnadenlos verboten! Wenn dich der Russe mit dem Ding erwischt, dann ist es aus. Er kam wie das Schicksal auf mich zu, beugte sich runter – jetzt macht er mich tot. Er strich mir aber nur ernst über den Kopf und sagte in gutem Deutsch, natürlich mit Akzent: »Das ist nicht gut.« Hielt mir einen kleinen Vortrag über Frieden und Krieg, das man schon als Kind aufpassen müsse, daß kein Krieg komme, daß auch ein Säbel eine böse Sache sei. Und: »Sieh mal«, er zog den Säbel aus der Scheide, da habe ich vor Angst in die Hose geseicht, vor Entsetzen, weil ich dachte, jetzt tötet er mich damit. Er versuchte aber nur den Säbel nach Offiziersart über dem Knie zu zerbrechen. Das gelang nicht, der bog sich nur etwas krumm, offenbar kein edler Stahl. Der Offizier guckte den Säbel irritiert an, dann pfefferte er ihn, die Scheide hinterher, in die Knallerbsenhecke. Aus seiner Brusttasche holte er einen Riegel Blockschokolade, gab mir den: »Also, mit solchen Sachen spielt man nicht als Junge.«

Ich war so glücklich über die Schokolade und daß ich lebte, bin weggelaufen, zack, die Kurve gekratzt. Ich wohnte schon bei Siegfried im Haus, Bismarckstraße 10, habe mich hinter dem Kriehnschen Balkon versteckt, obwohl der Offizier schon lange Richtung Kommandantur verschwunden war. Daß es ein Offizier war, konnte man sehen, seine Uniform war picobello, und er trug Juchtenstiefel, wie ich jetzt weiß. Ich lauerte eine Weile hinter dem Balkon, dachte nur an den Säbel. Bin wieder hin und rein in das Gebüsch, habe ihn gefunden, konnte ihn aber nicht in die Scheide reinwichsen, weil er leicht verbogen war. Da hatte ich eine physikalische Erleuchtung, es war nicht wie die Erfindung des Feuers, nein, das ist übertrieben, aber schon wie die Erfindung des Rades für mich. Ich bohrte diesen Säbel in die Erde bis zum Knick und bog ihn dann rhythmisch wie ein kleiner Schwarzenegger das Excalibur so lange gerade, bis er senkrecht im Boden stak, dann zog ich ihn raus. Er hatte eine leichte Delle in der Klinge. Ich würgte ihn in die Scheide, flitzte wieder zu Kriehns Balkon, der unten einen Hohlraum hatte, wahrscheinlich damit er nicht auffror, ansonsten konnte man ihn mittels einer Treppe vom Vorgarten aus betreten. Der Hohlraum war so niedrig, daß man als Steppke gerade reinkriechen konnte. Unter den Klamotten, dem Dreck, den Rattenkötteln und was sich sonst in solchen Hohlräumen anzusammeln pflegt, habe ich den Säbel verscharrt. Da liegt er heute noch, verrostet und zerfallen. Die Diamanten – du meinst, die könnte man noch suchen? Da ist es aber einfacher, zu Uhren-Christ zu gehen und ein Sonderangebot für achthundert Mark rauszuholen, es waren ja nicht die Kronjuwelen.

(BK / JS)

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