vonSchröder & Kalender 20.06.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert schwach in östlicher Richtung.

Es war im Jahr 1965, mit den Fahnen und dem Umschlagandruck von Thomas Manns Manifesten fuhr ich nach Bonn zum Bundespresseamt. Wer würde es wagen diesen Autor nicht anzukaufen? Ich dachte, ich könnte mich auf Frau Bauch verlassen mit ihrer jubilierenden Stimme, sie war Sachbearbeiterin im Referat des Oberregierungsrats Hans Stercken, eines bramarbasierenden rothaarigen Wichtigtuers, später Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Schon damals war er der eigentliche Außenpolitiker im Bundespresseamt. Wenn ich ihn wie immer unangemeldet besuchte, seierte er mich voll, wie wichtig der Melzer Verlag sei, wiederholte in seinen Worten, was ich gerade vorgetragen hatte, aber er kaufte nichts. Doch über ihn knüpfte ich eine Verbindung zu Herrn Seibt, dem persönlichen Referenten des Bundeskanzlers. Denn ein Melzer-Autor war der Lehrer Ludwig Erhards; der eigentliche Erfinder der ›sozialen Marktwirtschaft‹ ist nämlich nicht Erhard, sondern sein Lehrer Franz Oppenheimer gewesen, der allerdings sein Wissenschaftsgebäude noch ›liberalen Sozialismus‹ nannte.

Franz Oppenheimer mußte Deutschland 1938 verlassen und starb 1943 nach einer Irrfahrt über Japan und Schanghai achtzigjährig in Los Angeles. Joseph Melzer verlegte dessen Autobiographie, die in der Zeit um 1870 einsetzt, dann Oppenheimers Jahre als Korpsstudent, Bergsteiger, Arzt, Schriftsteller, schließlich Soziologe und Nationalökonom beschreibt. Ich erfuhr aus diesem Buch mehr über Soziologie und Volkswirtschaft, ja auch über Sozialismus, als aus den vielen Titeln, die ich damals im Westdeutschen Verlag hatte durchsehen müssen. Aber noch etwas lernte ich, daß nämlich der verhohnepipelte ›Wirtschaftswunderprofessor‹ Erhard mit der dicken Zigarre aus ganz anderem Holz geschnitzt war, als uns die Propagandakarikaturen weismachen wollten. In seinem Geleitwort zu ›Erlebtes Erstrebtes Erreichtes‹ bekannte sich Erhard zu seinem Lehrer. Und der hatte sich nicht gescheut, so scharf er sich auch von den unkritisch gläubigen Marxisten distanzierte, sich als Schüler von Karl Marx zu bezeichnen. Zwar lehnte Oppenheimer dessen industriezentrische Auffassung ab, jedoch postulierte er auf Marxscher Grundlage, daß die Menschheit sich nur befreien könne, wenn sie zunächst die Grundlage ihres Lebens, die Erde, befreie. Ein Oppenheimer-Zitat hierzu: »Eine kleine Minorität hat der Menschheit ihr Erbe gestohlen.«

1964 erklärte der Bundeskanzler Ludwig Erhard in diesem Geleitwort, daß er in Oppenheimers Lehre des ›liberalen Sozialismus‹ lediglich Adjektiv und Substantiv umgewandelt habe zu einem ›sozialen Liberalismus‹, und schreibt wörtlich: »Aus dem Oppenheimerschen Gedankengut habe ich den leidenschaftlichen Kampf gegen die Beschränkung des Wettbewerbs und vor allen Dingen gegen die Monopole aufgenommen. Und deshalb, als mir 1949 die Aufgabe gestellt wurde, das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben neu zu ordnen, habe ich als erstes das deutsche Kartellgesetz oder besser gesagt Antikartellgesetzt geprägt. Auch meine Einstellung zur ›Macht‹ hat ihre Wurzel in der geistigen Haltung von Franz Oppenheimer. Ich meine dabei nicht nur die wirtschaftliche Macht, ich meine auch die politische.«

Von einem solchen Politiker können wir heute doch nur noch träumen! Wer von der SPD, den Grünen, geschweige denn von der Jungen Union dieser Tage wagt denn solche Töne gegen den Busenfreund aller Monopolisten, den Kanzler Kohl und seine gelehrige Schülerin Angela Merkel? Doch höchstens und ohne Folgen Meister Gysi. Betrachtet man einmal im Überflug die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis heute, so hatte der Professor Erhard recht, als er die intellektuellen Ignoranten vom Schlage eines Rolf Hochhuth, die ihn damals ankläfften, »Banausen, Nichtskönner und ganz kleine Pinscher« schimpfte. Denn die waren leider wirklich nur nützliche Idioten der Monopolisten und prangerten ausgerechnet den weitsichtigen »Maßhalte«-Politiker Erhard als entfesselten Kapitalisten an. Und das bei einer Arbeitslosenquote von siebenhunderttausend, also zwei Prozent, im Jahre 1966. Aber ja, genau das behaupte ich: Interessierte Wirtschaftskreise propagierten mit Hilfe der ›Bild-Zeitung‹ die große Koalition mit einem CSU-Finanzminister Franz Josef Strauß und einem SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller, die als Plisch und Plum mit verlogenen Schwammwörtern von der »sozialen Symmetrie« und der »konzertierten Aktion« eine Globalsteuerung der Wirtschaft durch den Staat einleiteten. So wurde der letzte Politiker des sozialen Liberalismus, der eine Marktwirtschaft verteidigt hatte, in der jeder die gleiche Chance haben sollte, erfolgreich zu sein, mit Schimpf und Schande weggejagt. Angeblich, um eine Finanzierungslücke im Haushalt zu decken und eine kleine Rezession zu bekämpfen, tatsächlich, um langfristig die Bundesrepublik zu dem von Oligopolen beherrschten Staat umzuformen, in dem wir heute leben.

(BK / JS)

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