vonSchröder & Kalender 05.04.2009

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.
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Colin Wilson, »ein fabulierender Wissenschaftler, ein wissenschaftlicher Erzähler« (Times Literary Supplement), hat in den ›Seelenfressern‹ ein Symbol für den heutigen Zustand der Menschheit erfunden. ›Mind Parasites‹ war ein Kultbuch in Amerika, W.S. Burroughs hielt es für eines der bedeutensten Bücher der spekulativen Fiktion. Ein moralischer Thriller, ein Roman im Schnittpunkt von Wissenschaft und spannender Unterhaltung. Und ein rassistisches Unikum, was wir leider zu spät bemerkten.

Dies ist die These des Romans: Wir sind von Seelenfressern befallen, krebsartigen Sub-Organismen, die unser Bewußtsein beherrschen. Um existieren zu können, brauchen diese Parasiten ein psycho-biologisches Milleu: die Begrenztheit des Menschen. Ihre Taktiken, die sie gegen die befallenen Menschen einsetzen: Angst, Depression, Paranoia, Minderwertigkeitsgefühle, Zweifel, Gewöhnung und Langeweile; ihre Strategien: Mord, Selbstmord, Versklavung, Vernichtung. Die ›Seelenfresser‹ sind Blockwarte des zivilisatorischen Fortschritts, und sie sind ihrem Ziel nahe: Der Abrichtung des Einzelnen zu seiner Rolle als unzulänglicher Mensch. Als Agenten einer überideologischen, überpersonellen Instanz, wollen sie erreichen, daß der Einzelne sich gänzlich kontrolliert.

Diese Berichte des Erzählers werden im Jahre 2014 ediert, sie enthalten Dokumente und Zitate von Philosophen und Esoterikern wie Husserl und Lovecraft, aber auch solche, die heute noch nicht erschienen sind, nebst Verweisen zu Goethe, Kant, Graf Potocki, Byron, Gobineau u. v. a.

Colin Wilson, ›Die Seelenfresser‹. Orig.-Titel: ›The Mind Parasites‹. Aus dem Englischen von Johannes Piron. Unautorisierte Bearbeitung von Barbara Kalender und Jörg Schröder. Engl. bosch.,  244 Seiten, März Verlag 1969 (nur noch antiquarisch erhältlich).

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Und hier, etwas pauschal, die Veränderungen, die wir in dem Text vornahmen: Gilbert Austin ließen wir als englischen Obermaxen, aber seinem Freund Reich, dem Deutschen, fügten wir eine kompetente Wissenschaftlerin hinzu: Anna Fleischmann. Des weiteren sitzen, statt der Angelsachsen und Deutschen, in dem Rettungsraumschiff: der Russe Chlebnikow, Timothy Neary vom Psychologischen Laboratorium der Columbia University, Felipe Mendoza aus Mexiko, Mohamed Choukri aus Casablanca, Otava Tikkanen aus Helsinki und Wateru Takeda vom Zen-Zentrum in Osaka, der eine wichtige Rolle bei der Errettung der Zivilisation vor den kriminellen Energien des finsteren Gwambe spielt. Gwambe ist in der Wilsonschen Welt der zentrale Bösewicht, Präsident der Vereinigten Staaten von Afrika, auch er ein Werkzeug der Bewußtseinsparasiten. Aber selbst ihm mußten wir eine halbwegs plausible Haßtirade schreiben: »Noch vor dreißig Jahren fühlte sich der Schwarze unterlegen. Seit nunmehr fünfzehn Jahren gibt es keine wirtschaftliche und soziale Diskriminierung, keinen Hunger mehr in Afrika. Jetzt aber haben wir Hunger nach Rache und Gerechtigkeit. Denn es ist nicht gerecht und nicht wahr, daß alle Menschen gleich sind, wie die Weißen es behaupten. Wir wissen: Die Schwarzen sind den Weißen überlegen, denn der Mensch stammt aus Afrika. Die weiße Rasse ist degeneriert und war es immer. Deshalb werden wir sie auf ihre Gletscher zurückschicken, wo sie hingehören. Schwarz ist stärker, klüger, fruchtbarer. Das 21. Jahrhundert gehört uns! Wir haben den Kolonialismus abgeschafft, danach mußten sie uns alles zurückzahlen, was sie uns jahrhundertelang gestohlen hatten. Wir stellten unsere Kultur wieder her. Und jetzt lassen sie sich etwas Neues einfallen, um uns noch einmal zu bestehlen, um uns von unseren berechtigten Forderungen abzulenken. Sie erfinden eine Horde von Kobolden namens Bewußtseinsparasiten, die angeblich die Erde erobern wollen. Hat irgend jemand diese Kobolde bisher gesehen? Nein! Es gibt sie nicht! Die Weißen selbst sind die Bewußtseinsparasiten! Weg mit ihnen! Zunächst aber muß jedes Land mit einem größeren Bevölkerungsanteil von Schwarzen einen Teil seines Territoriums uns überlassen, die Regierungen werden durch mich eingesetzt. In den USA sind dies: Texas, Kalifornien und der Staat New York; in England: die südlichen Grafschaften, einschließlich London. Die Schwarzen in Europa erhalten Frankreich und Deutschland, ebenso die Schweiz, weil dort unser Geld liegt.« Mehr konnten wir Gwambe nicht geben. Wenig, aber mit Liebe.

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(CW / BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2009/04/05/die_seelenfresser/

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kommentare

  • Ich kann mich erinnern, schon vor dem Erscheinen dieses Buches einen Heftroman gelesen zu haben, in dem es um Bewußtseinsparasiten ging. Hat mich damals sehr berührt – ich glaube, weil ich selbst betroffen war. Erst 25 Jahre später fand ich fachliche Literatur, die sich aus der Sicht von Geistes- / Gesellschaftswissenschaften damit befaßte und das Phänomen als „Kollektive Neurose“, „Gesellschaftsneurose“ oder „Krankheit der Gesellschaft“ benannte und detailliert beschrieb. Seit 20 Jahren schreibe ich darüber unter dem Begriff „Kollektive Zivilisations-Neurose“ und sehe es als meine Aufgabe, derüber aufzuklären ebenso wie über die Möglichkeit der grundlegenden Heilung.

  • Und in dem Fall gab es keine Klage?
    Das Buch ist ja die ultimative intellektuelle Räuberpistole – kurz mal das „Körperfresser“- in ein Seelenfresser-Motiv transponiert, und schon ist ein reaktionärer neuer Zivilisationsmythos aus dem Hut gezaubert.

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