vonSchröder & Kalender 16.01.2012

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Es ist dunkel, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
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Wenn nichts dazwischen kommt, dann gehen wir morgen zur Auftaktveranstaltung der Schwedischen Botschaft im Strindberg-Jahr 2012 (* 22. Januar 1849 in Stockholm; † 14. Mai 1912 ebenda) mit einer Lesung aus dem neu erschienenen Band August Strindberg: ›Notizen eines Zweiflers‹. Schriften aus dem Nachlass, herausgegeben und übersetzt von Renate Bleibtreu und erschienen im Berenberg Verlag. Es liest der deutsche Schauspieler Jens Harzer. Die schwedische Schauspielerin und Kulturrätin Marika Lagercrantz trägt einige Passagen in schwedischer Sprache vor.
Eine Veranstaltung der Schwedischen Botschaft in Kooperation mit dem Berenberg Verlag.

Dienstag, 17. Januar 2012, 19.30 Uhr
 Felleshus der Nordischen Botschaften


Rauchstr. 1
10787 Berlin-Tiergarten

Eintritt frei.

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Portrait August Strindberg von Edvard Munch, 1892
zu sehen im Moderna Museet in Stockholm

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Die ›Notizen eines Zweiflers‹ kennen wir noch nicht, aber ein anderer Strindberg-Titel mit schönen Aufsätzen wie ›Der Zufall im künstlerischen Schaffen‹, ›Das Seufzen der Steine‹, ›Versuch in rationalem Mystizismus‹ oder ›Der Verstand der Tiere und Pflanzen‹ gehört zu unseren Lieblingsbüchern.

Ein Zitat aus ›Die Geheimnisse der Blumen‹: »Wenn wir nun den hypothetischen Satz aufstellen würden, daß die Sinne nur Gefühlssinne sind: daß wir mit dem Gefühl die Dichte  fester Körper usw. erfassen; mit dem Geschmack in höherem Maße die Konsistenz fester und flüssiger Körper, mit dem Geruch diejenige dampf- und gasförmiger Körper, mit dem Gehör die Bewegungen der Luft und mit dem Gesicht Bewegungen des Äthers, dann haben wir die Sinne als gleichartig in ihrer Natur aufgefaßt und nur quantitativ unterschieden. Woraus die Angemessenheit hervorginge, den Gesichtssinn als ein sublimiertes, verfeinertes Gefühlsvermögen anzunehmen, welches, könnte man sich vorstellen, demnächst in Korrespondenz mit dem Gefühl niedrigeren Grades steht, das man Geschmack nennt.

Ein kleines Beispiel dafür, wie das Gesicht Einfluß auf den Geschmack ausüben kann, mag für meine Hypothese sprechen, bevor wir weitergehen. Wer in seiner Jugend nur gelbe Melonen gegessen hat und für wen der Melonengenuß eine intime Verbindung mit einer schönen gelben Melonenfarbe eingegangen ist, wird vermutlich ebenso wie ich wenig oder gar keinen Reiz darin finden, jetzt auf seine älteren Tage grüne Melonen zu essen, obwohl die letztere wirklich einen feineren Geschmack (Geruch) zu haben scheint als die gelbe. Ich kann ganz einfach grüne Melonen nicht essen, so konservativ und so abhängig vom Sehen ist mein Geschmack.

Wer die simple Gewohnheit hat, grünen Absinth zu trinken, wird mit Ekel einen weißen an seine Lippen führen. Dies passierte mir in der Schweiz, wo ich »à six heures moins un absinthe« meine Nerven bei einem derartigen Freudenbringer auszuruhen pflegte. Eines Tages serviert man mir ein solches Getränk, das ich als abscheulich und mit der Bitte um einen grünen zurückgehen ließ. Der Kellner antwortet, es sei kein grüner vorrätig. Der Wirt kommt herbei und erklärt, das Getränk sei das gleiche, er könne es aber färben, ohne den Geschmack zu verändern, wenn ich absolut auf der grünen Farbe bestände. Ja, er mußte ihn färben, und er schmeckte vortrefflich!

Also ist der Geschmackssinn (der Geruchssinn) unter bestimmten Voraussetzungen von Gesichtssinn abhängig.  Daß andere Sinne Korrespondenz besitzen können, fühlen wir. Der Maler spricht vom »Ton« (Farbton) und der Musiker von »Tonfärbung«. Wenn man ein Musikstück hört, sieht man gern etwas, und wenn man ein Gemälde sieht, hört man einiges, so wie das Rauschen des Windes und den Klang der Abendglocken.

Während meines Aufenthaltes in Deutschland traf ich einen Herrn, von dem es hieß, er sei wahnsinnig. Seine Krankheit sollte darin bestehen, daß Gesichts- und Gehörsinn sich den Spaß machten, einander zu vertreten, so daß der Mann, der Musiker war, in Farbe übersetzen wollte, was er spielte. Als ich ihn damit tröstete, daß dieses Phänomen nicht so erschreckend sei, da bereits vor zwanzig Jahren ein deutscher Professor ein gelehrtes Buch über die Sache geschrieben und Dietrichson in der ersten Auflage von ›Die Welt des Schönen‹, nach eben diesem Professor, Farbharmonien mit Musiknoten wiedergegeben habe, fühlte er sich ruhiger, zumal der Professor niemand anders war als der berühmte Helmholtz persönlich.«

August Strindberg: Verwirrte Sinneseindrücke. Schriften zu Malerei, Photographie und Naturwissenschaften. FUNDUS Band 150, herausgegeben von Thomas Fechner-Smarsly, aus dem Schwedischen von Angelika Gundlach, 320 Seiten, zahlreiche Abbildungen.

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Gelbe oder grüne Melonen hin oder her, wir lieben wie Alexandre Dumas die aus Cavaillon, die er als lebenslange Rente vom Rat der Stadt bekam im Tausch gegen seine gesammelten Werke. Heute Abend trinken wir jedenfalls als Hommage an August Strindberg grünen Absinthe ›Verte de Fougerolles‹ aus der Distillerie von Paul Devoille.


Unsere kleine Absinthe-Galerie, es ist auch weißer dabei.

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(BK / JS)

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kommentare

  • Der Absinth ganz rechts kommt aus der frz. Absinth-Hauptstadt Pontarlier (Jura). Ich habe mir übrigens aus der ersten wieder legal in Frankreich gebrannten Charge damals 2 Flaschen gekauft.
    Prost!
    jean

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