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Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.
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Es herrscht tropische Hitze in Berlin, deshalb bringen wir heute eine heiße Geschichte aus Hawaii, die wir unserem Buch ›Kriemhilds Lache. Neue Erzählungen aus dem Leben‹ mit Zeichnungen von F.W. Bernstein entnommen haben. Das Buch erscheint im Ende August 2013 im Verbrecher Verlag.
Der Verleger Jörg Sundermeier hat ›Kriemhilds Lache‹ zur Hotlist 2013 der »besten Bücher aus unabhängigen Verlagen« angemeldet. In der Vorauswahl ist unser Buch bereits heute unter den ersten 30 von 150 Titelmeldungen gelandet. Auf der Website der Hotlist kann man noch weitere Textproben aus unserem Buch lesen.
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Schöne Grüße vom Kahuna
Nachdem Jane, die Fußpflegerin unserer Mutter, ihren Vater in Hawaii besucht hatte, brachte sie uns Leis mit. Der Lei wird als Huldigung an die Götter getragen, die das Paradies – nämlich Hawaii – erschaffen haben. Am Lei erkennt der Beschenkte den Grad der Wertschätzung. Barbara bekam Opihi Shells, eine Kette aus Muscheln, mir gab Jane eine aus polierten Hartholzkugeln – dachte ich, doch Jane klärte mich auf: »Nein, das sind große Erbsen, die heißen Sea Beans, wir nennen sie Schafsaugen.« So sehen sie auch aus, nussbaumfarben mit einem dunklen Strich rundum. Solche Ketten werden von Männern getragen, genauso eine trägt Akahi Nui, der Neffe der letzten Königin.
Leis werden traditionell aus Blumen, Früchten, Muscheln, Federn oder Pflanzenfasern hergestellt, sie sind Symbole für die Kräfte der Geister. Wir erfuhren auch einiges über die gefährlichen Seiten solcher Natursymbolik, der Animismus bewegt sich ja immer zwischen Totem und Tabu – also Leben und Tod. Zum Beispiel sind Leis aus Früchten von der Black-Eyed Susan sehr schön und sehr giftig: Ihre Samen enthalten Abrin, ein tödliches Gift. Ein Lei aus den Früchten des Schellenbaums, den Be-Still- Früchten, ist ebenfalls hochgefährlich: Hat der Träger nur die kleinste Verletzung, so führt der Kontakt mit dem Be-Still-Lei zum Tode.
Illustration von F. W. Bernstein aus Kriemhilds Lache
Der hawaiianische Medizinmann trägt seine Medizin als Leis um den Hals. Jane berichtete uns: »Mein Vater geht lieber zum Kahuna als zum Doktor. Wisst Ihr, er redet über seine Beschwerden, der Kahuna hört sich das geduldig an, dann nimmt er eine Nuss oder eine Blüte von seinen Leis, gibt sie meinem Vater, erklärte ihm, wie er diese Medizin einzunehmen hat, ob gemahlen oder aufgebrüht. Und es hilft immer.«
Janes Vater, ein ehemaliger Offizier der US-Armee, stammte aus einer Familie, die Land auf Oahu hatte, was wegen des Tourismus ein Vermögen wert ist. Leider war der alte Oberst ein Zocker – man weiß ja wie die Legionäre unter dem Kreuz um Jesu Leibrock würfelten. Neben dem Morden, Vergewaltigen und Saufen gehört von alters her das Zocken zu den belieb- testen Beschäftigungen der Soldaten. Janes Vater war dem Jai Alai verfallen, dem schnellsten Ballspiel der Welt. Es ist die lateinamerikanische Version des baskischen Pelota.
Bereits im alten Mexiko gab es ein ähnliches Ballspiel, nach dessen Ende es zu Opferhandlungen kam, wobei sich die Ethnologen bisher nicht einig sind, ob die Siegermannschaft oder die Verlierer geopfert wurden. Okay, Janes Vater verzockte nicht sein Leben, dafür aber die Grundstücke am Meer, auf denen Hoteltürme gebaut wurden. Und damit er den Rest des Vermögens nicht auch noch verspielen konnte, enterbte ihn die Familie.
Letztes Jahr ist der alte Zocker gestorben. In der Klinik in Honolulu ließ er keine Ärzte an sich heran, nur der Kahuna durfte ihn behandeln. Diesen Medizinmann fragte Jane auch wegen meiner Herzkrankheit um Rat und brachte ein Rezept mit: 25 Nelken und ein Stückchen Gold werden in zwei Liter Wasser 15 Minuten lang gekocht. Danach nimmt man das Gold heraus, seiht die Flüssigkeit ab und lässt sie abkühlen. Morgens und abends davon ein Glas trinken, und die Adern werden gereinigt! Vorschriftsmäßig machten wir alles so, wie der Kahuna es befohlen hatte und tranken abends vor dem Zubettgehen jeder ein Glas. Das Gebräu schmeckte naturgemäß scharf und stechend, eben wie Nelkenwasser.
Um Punkt drei Uhr nachts saß ich kerzengerade im Bett, wie eine Faust schoss es mir vom Magen in die Kehle. Ich konnte gerade noch zum Badezimmer stürzen und zielgenau einen Schwall in die Kloschüssel kotzen. Danach war die Übelkeit verflogen, wunderbar. Ich ging zurück ins Bett. Da wachte Barbara auf, auch bei ihr kam die Faust, sie rannte los. Das hatte der Kahuna auf die Sekunde genau berechnet! Denn zu zweit hätten wir ja nicht ins Klo reihern können. Wir riefen beide:
»Danke, Kahuna, nie wieder!« Beim nächsten Termin berichtete Barbara der Fußpflegerin:
»Jane, deine Medizin haben wir ausprobiert. Wir mussten beide kotzen!« »Das ist richtig«, meinte sie – eine Redewendung, die sie gern benutzte, als eingedeutschte Form von »That’s correct« –, »der Kahuna wollte, dass ihr euch entgiftet.«
Allmählich lernten wir auch andere Rituale der Inseln kennen und erfuhren, dass die Vulkangöttin Pelé eifersüchtig darüber wacht, dass niemand Lavasteine von ihrer Insel stiehlt. An den Dieben nimmt sie grausam Rache, es gibt Geschichten von Menschen, die sich von Pelés Verwünschungen nur befreien konnten, indem sie die Steine auf die Insel zurückbrachten. Pelé ist also offenbar auch die Tourismusgöttin. Trotzdem schenkte Jane Barbara ein paar kleine, braune Lavabrocken für ihre Steinsammlung. Als Barbara sie fragte: »Bringt das Mitnehmen von Steinen nicht Unglück?!«, erwiderte Jane wie aus der Pistole geschossen: »Aber nicht, wenn du dabei zur Mutter Maria betest!« Der Synkretismus ist schon eine praktische Sache.
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John Prine singt für uns Let’s Talk Dirty In Hawaiian
BK / JS