vonSchröder & Kalender 09.05.2014

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert munter in östlicher Richtung.

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Morgen gegen 13:45 Uhr beginnt der Demozug durchs Regierungsviertel zur CDU-Zentrale. Mit ihrer Reform des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) will die Regierung die Energiewende ausbremsen – und setzt wieder auf Kohle- und Atomkraft. Aus diesem Anlass  bringen wir einen Text aus unserer letzten Folge ›Statische Schläue‹:

 

 

Vom Schloss Altdöbern führt ein verwunschener Weg am großen Teich entlang durch den ehemaligen Landschaftspark, der jetzt urwaldartig verwildert ist. Links und rechts vom Weg warnen Tafeln vor »Erdfällen«, eine euphemistische Umschreibung für Löcher, die sich plötzlich auftun könnten. Unwillkürlich musste ich an die makabre Erzählung eines Freundes denken, der irgendwo in einer kleinen Siedlung in Mexiko plötzlich in einem Erdloch versunken war. Nicht weiter tragisch, das Loch war nur einen Meter tief, aber man kann sich gut vorstellen, dass dem Mann vor Schreck das Herz in die Hose rutschte. Denn während man fällt, weiß man ja nicht, wie tief. Überall in der Niederlausitz wird vor solchen Erdfällen gewarnt, die durch den exzessiven, viele Quadratkilometer weiten Braunkohletageabbau entstehen. Allein um Altdöbern wurde von 1937 bis 1994 dreihundert Millionen Tonnen Braunkohle abgebaut. Inzwischen ist die Brache Greifenhain geflutet, und es entstand der Altdöberner See, einer von den vielen in der Niederlausitz, die zur größten künstlichen Seenlandschaft Europas wurden.

 

Hinweistafel am Altdöberner Schloß. Foto: Barbara Kalender

Hinweistafel am Altdöberner Schloß. Foto: Barbara Kalender

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»Um eine gefahrlose Nutzung der Seen zu ermöglichen«, heißt es blumig, »sind weitere umfangreiche Rütteldruck-Verdichtungsmaßnahmen notwendig.« 120 Quadratkilometer sollen gerüttelt werden? Wollen diese Geologen uns veralbern?! Tatsächlich werden doch nur Warntafeln aufgestellt, ansonsten vertraut man auf die statische Schläue. Diesen Begriff benutzen Techniker gern scherzhaft in ihrem Jargon. Deshalb sage ich im ›März-Akte‹-Film: »Statische Schläue ist so ein Ausdruck aus dem Bauwesen, wenn eigentlich die Scheune schon längst eingefallen sein sollte und irgendwelche Kräfte der Statik, die gar nicht mehr berechenbar sind, das Ding noch halten.«

 

Fest steht: Die Grundwasserlage im gesamten Gebiet des Braunkohletagebaus hat sich dramatisch verändert. Die gefluteten Brachen sind nur oberflächlich eine Augenweide, im Untergrund verursachte die Absenkung des Grundwassers, die Entstehung von rotem Eisenhydroxid. Zahlreiche Flussarme im Spreewald führen bereits rotgefärbtes Wasser. Diese Eisenhydroxide sind schuld, dass Kleinlebewesen, Fische und Pflanzen sterben. Da macht eine Kahnfahrt keinen Spaß mehr, und um den Tourismus, der neben den Gurken die wichtigste Einnahmequelle im Spreewald ist, wird es wegen der hässlichen Rotbraunfärbung des Wassers bald geschehen sein.

 

Schlimmer noch, in Berlin könnte wegen der Kontaminierung des Spreewassers über kurz oder lang die Trinkwassergewinnung zum Erliegen kommen. Der ehemalige Braunkohletagebau setzt nicht nur Eisenhydroxide, sondern auch Sulfate frei. Jeder weiß, dass die Spree die Lebensader Berlins ist und rund siebzig Prozent des Trinkwassers aus den Uferfiltraten von Spree und Havel stammt. Zwar liest man ab und zu bedrohliche Meldungen in der Presse, aber niemand scheint sie ernst zu nehmen: »Eisenschlamm lässt die Spree verrosten«, titelte die ›BZ‹. Oder ein anderes Zitat: »Die Sulfatwerte in der Spree haben eine solche Höhe erreicht, dass die Trinkwassergewinnung aus den Uferfiltraten der Spree für Berlin gefährdet ist.« Jedoch, solche ungeliebten Themen werden schnell durch andere ersetzt, die Politiker zucken mit den Schultern und schieben das Problem dem gewissenlosen Raubau der DDR in die Schuhe. Damit haben sie nur bedingt recht, denn schließlich existiert dieser Staat seit vierundzwanzig Jahren nicht mehr.

 

Wie es dort einmal aussah, hatten wir Anfang der Neunziger mit Schaudern gesehen. Damals mussten wir wegen einer Vollsperrung die Autobahn verlassen und durchquerten in der Nähe von Leipzig zwangsläufig die auf Aberkilometer ausgedehnte bräunliche Mondlandschaft des Braunkohletagebaus ohne Baum und Strauch. In der Gegend lebten in verstreuten Ortschaften immer noch Menschen, es war so desolat, kaputt und verwahrlost, wie man es nur aus der dritten Welt kennt. So wird es vor mehr als zwanzig Jahren vermutlich auch in der Niederlausitz ausgesehen haben, denn die Flächen des Braunkohletagebaus waren größer als die bei Leipzig.

 

Heute sind fast alle Braunkohlebrachen aus der DDR-Zeit geflutet, die Ortschaften, die der Räumung entkamen, wurden herausgeputzt, die Häuser renoviert. Die Fremdenverkehrswerbung tönt vollmundig: »Mit dem Lausitzer Seenland entsteht an der Grenze zu Brandenburg aus ehemaligen Tagebauen die größte von Menschenhand geschaffene Wasserlandschaft Europas.« Alles in allem also tatsächlich Helmut Kohls blühende Landschaften? Ja, aber solche mit monströsen hydrogeologischen Schäden – oben hui, unten pfui.

 

Ausgerechnet die Schweden mit ihrem sauberen Image setzen trotz der absehbaren verheerenden Folgen in Welzow das Umweltverbrechen fort und wollen weitere Millionen Tonnen Braunkohle abbauen. Bis ins Jahr 2027 plant der Energiekonzern Vattenfall, dort 250 Millionen Tonnen Braunkohle zu fördern. Dafür müssen achthundert Menschen umgesiedelt werden. Vor nichts schreckt Tuomo Hatakka, der Chef des Vattenfall Deutschlandgeschäftes, zurück! Man muss sich das mal klarmachen: Nur dreißig Kilometer östlich von Welzow schuf Fürst Pückler den Muskauer Park, der zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Und sogar in der Muskauer Heide will Vattenfall Braunkohle weiträumige abbaggern. Dann werden noch mehr Dörfer zerstört und weitere tausendfünfhundert Menschen müssten umgesiedelt werden. Insgesamt plant der schwedische Energiekonzern eine ökologische Verwüstung mit allen desaströsen Folgen für Menschen, Flora und Fauna. Dazu kommt, Braunkohle ist der fossile Energieträger mit der höchsten klimaschädlichen Kohlendioxid-Emission.

 

Seit dreizehn Jahren wissen die Landes- und Bundespolitiker, dass die Flutungen der Braunkohle-Tagebaue – sowohl der alten aus DDR-Zeiten als auch der neuen von Vattenfall geplanten – ein Desaster für das Spree-Ökosystem sind. Bereits im Jahr 2000 stellte eine Studie des Forschungsverbandes Berlin fest, dass die Spree im Juli 2000 für zehn Tage lang stellenweise zum Stillstand kam. Es war kurz vor dem GAU, bei dem der Fluss rückwärts geflossen wäre. Ein solcher Zustand könnte in extrem trockenen Jahren wieder eintreten und nicht revidierbare Folgen haben. Denn selbst wenn die Tagebauflutungen mit Spreewasser unterbrochen würden, wäre die Katastrophe nicht zu stoppen, weil zu viel Spreewasser unkontrolliert in den Tagebauen versickert. Bei einem Kollaps der Selbstregulierung wäre eine Trinkwasserversorgung in Berlin nicht mehr möglich. Dazu kommt, die Spree ist auch der wichtigste Berliner Abwasserkanal mit täglich Millionen Litern. Träte der größte annehmbare Unfall ein und die Spree flösse rückwärts, würde Berlin zur Wüstung. Dann könnte keiner mehr singen: »Wer weiß, wann wir uns wiedersehen am grünen Strand der Spree …«

 

Wann steht endlich eine heilige Johanna der Ökologie auf, die schreit wie einst Petra Kelly: »Das ist verbrecherisch!« Leider, leider ist die Lobby der Antikohleverstromung schwach, und die Befürworter sind stark. Die Vattenfall-Beschäftigten haben die IG Bergbau, Chemie und Energie mobilisiert und veranstalten Pro-Kohle-Demonstrationen. Martina Gregor-Ness, die umweltpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, forderte die Medien auf, »nicht so viele dramatische Bilder zu produzieren«. Kein Wunder, Frau Gregor-Ness sitzt im Aufsichtsrat der Vattenfall Europe Mining AG. Wenn es mit rechten Dingen zuginge, müsste sie wegen Beteiligung und Verharmlosung von Umweltverbrechen augenblicklich von ih-rem Amt zurücktreten.

 

Während wir diese Passage redigierten, schneite die Meldung herein: »Vattenfall prüft Deutschland-Rückzug«. Der schwedische Staatskonzern reagiert auf die Marktsituation. Denn jedes der Länder Westeuropas, in denen Vattenfall Geschäfte macht – also Deutschland, die Niederlanden und Großbritannien –, versucht jetzt seinen eigenen Energiemarkt zu gestalten. Ist damit unser Text obsolet? Mitnichten! Denn der angekündigte Ausstieg dauert noch Jahre, weil zunächst um den Kaufpreis gefeilscht werden wird. Die Frage ist zudem: Wird der neue Eigentümer – das kann nur einer der anderen großen Energiekonzerne sein wie Eon, RWE oder EnBW – aus dem Braunkohlegeschäft aussteigen? Sehr unwahrscheinlich, denn das würde Milliarden kosten und wäre »unwirtschaftlich«.

 

Um der Frechheit die Krone aufzusetzen, erklärte nach der Ankündigung des Rückzugs die Vattenfall-Pressesprecherin Kathi Gerstner: »An den Tagebauplanungen im Lausitzer Revier halten wir fest, um die Rohstoffbasis des Lausitzer Braunkohlekraftwerkparks über die Mitte der 2020er Jahre hinaus zu sichern.« Weder der Kohlendioxid-Ausstoß noch eine Spree, die umzukippen droht, interessiert die Schweden. Was bleibt uns übrig? Wir können nur diese Vattenfall-Geschichte erzählen, ein Glas Wein trinken und dabei das Etikett des vino ecológico aus der La Mancha betrachten. Es zeigt eine Zeichnung von Don Quichote und Sancho Pansa vor einer Windmühle.

 

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BK / JS

 

 

 

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