vonSchröder & Kalender 09.11.2014

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert westlicher Richtung.

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Erstaunlich, wer einst am Bundesplatz, also bei uns um die Ecke, wohnte. Die Initiative Bundesplatz e.V. hat dafür gesorgt, dass die Wände der beiden Trafohäuschen mit Porträts dekoriert wurden.

1-Konrad-Zuse, Schröder und Kalender, Foto Barbara Kalender

Konrad Zuse, der Erfinder des Computers, wohnte in der Tübinger Straße 2. Alle Graffitis von Patrick Kieper. Alle Fotos von Barbara Kalender

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2-Kurt-Tucholsky, tazblog Schröder und Kalender, Foto: Barbara Kalender

Kurt Tucholsky wohnte in der Bundesallee 79

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3-Carl-Diercke, tazblog Schröder und Kalender, Foto: Barbara Kalender

Carl Diercke, der Kartograph, auch Autor des Diercke Schulatlases – seligen Angedenkens – wohnte in der Bundesallee 12

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4-Marlene-Dietrich, tazblog Schröder und Kalender, Foto: Barbara Kalender

Marlene Dietrich, wohnte in der Bundesallee 54, Ecke Hildegardstraße.

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5-Hildegard-Knef, tazblog Schröder und Kalender, Foto: Barbara Kalender

Hildegard Knef wohnte bis 1946 bei uns gegenüber in der Bernhardstraße 5, später Nummer 6.

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Dazu etwas Bombenarchäologie, denn wir wohnen nahe der Ringbahn, und diese war im 2. Weltkrieg eine der wichtigsten Bahnstrecken mit Anschluss an die Siemenswerke und andere kriegswichtige Industrieanlagen, aber auch an den Westhafen. Wer einmal eine Runde mit der Ringbahn gefahren ist, kann noch heute die vielen Baulücken sehen, auf denen ursprünglich Gebäude standen, die weggebombt wurden. So sind auch die Häuserzeilen in der Bernhardstraße fast völlig zerstört worden, wegen ihrer Nähe zum Wilmersdorfer Güterbahnhof. Heute rauscht hier auch die Stadtautobahn A 100 vorbei, und gleich daneben rattern die Züge der S-Bahn. Die meisten Häuser in der Bernhardstraße wurden nicht wieder aufgebaut, nur drei blieben stehen. Über diese Lücken baute man in der Nachkriegszeit Hallen für Autowerkstätten und Gebrauchtwagenhändler, nur der Neubau eines Touristenhotels kam hinzu.

Diese Bernhardstraße liegt also bei uns gegenüber, sie verlief ursprünglich U-förmig entlang von achtzehn vierstöckigen Häusern. Die drei Schenkel dieses Quadrats bildeten zusammen mit der Wexstraße ein Karree. Im Haus Nr. 5, das es heute nicht mehr gibt, wuchs Hildegard Knef auf, ihr Stiefvater hatte dort eine Schusterwerkstatt, die Familie lebte in der Mietwohnung darüber. »Schräg gegenüber der Südseite war der S-Bahnhof Wilmersdorf, dadurch bekamen wir viel Laufkundschaft, wie mein Stiefvater das nannte«, so beginnt Hildegard Knef ihren ›Geschenkten Gaul‹. Und mit der alten Bernhardstraße endet auch ihr Buch.

Jedes ihrer Domizile in aller Welt verglich die Knef mit ihrer alten Wilmersdorfer Wohnung. Über den Bombenkrieg schrieb sie: »Ich schlief mit einem Heizkissen ein und wachte auf, weil mein Bett brannte, gleichzeitig hörte ich das sanfte, stete Surren, das wir alle so gut kannten – eine Bombe und danach noch eine und noch eine, und ich schrie Alarm und schrie und schrie. Unsere Sirenen waren beim letzten Angriff kaputtgegangen, und keiner in der Bernhardstraße hatte es gemerkt, und als wir unten am Kellereingang ankamen, traf ein Volltreffer unser Haus, und wir waren verschüttet. Man hat uns ausgegraben. Wir bedankten uns beim Heizkissen. In Nr. 6 war eine Wohnung frei, wir zogen um, das heißt wir nahmen unser Handgepäck, einen Tisch und zwei Schüsseln, die wir über die unzerstörte Hintertreppe herausgeholt hatten. Im Wohnzimmer stand unser Klavier auf einem Mauervorsprung, aber da kamen wir nicht ran. Wir sahen uns von Nr. 6 unser Klavier im vierten Stock von Nr. 5 an und warteten, dass es herunterfiel …« Später: »Kurz nach Silvester war Großangriff. Die Bombe, die endgültige, fiel auf die Bernhardstraße, auf den Bahnhof Wilmersdorf.« Heute heißt diese Station Bundesplatz.

Von unserer Südterrasse blicken wir rüber zu den drei Häusern der Bernhardstraße, die stehen blieben, von der Ostterrasse aus sehen wir links den Bären auf dem Schöneberger Rathaus flattern und rechts davon die ›rote Insel‹, wo Marlene Dietrich aufwuchs. Das Viertel wird so genannt wegen seiner Lage zwischen Bahngleisen und weil dort traditionell eine linksorientierte Bevölkerung lebte. Später wohnte Marlene Dietrich in einem Haus in der Bundesallee bei uns um die Ecke. Die gemeinsame Heimat trug dazu bei, dass sich die beiden Frauen sehr zugetan waren, in den New Yorker Ninotschka-Zeiten kochte die ältere Marlene häufig für Hilde Berliner Hausmannskost.

Gegenwärtig läuft der alte Berliner Westen dem lange gehypten Prenzlauer Berg den Rang ab, und die nur notdürftig mit Hallen bebauten Grundstücke in der Bernhardstraße sind jetzt Spekulationsobjekte für den Wohnungsboom. Vor kurzem wurde dort der einstöckige ›Waschtrog‹, ein Waschsalon aus den fünfziger Jahren, abgerissen. Ein Jammer, dieses Unikum hätte man unter Denkmalschutz stellen müssen! Jetzt bietet man das Gelände zum Verkauf an, temporär werden auf dem Splitt des Eckgrundstücks Gebrauchtwagen angeboten. Wir können uns an den Fingern abzählen, wann dort eine Spielzeugraupe scharren wird und nach Blindgängern sucht.

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BK / JS

 

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2014/11/09/bei-uns-um-die-ecke/

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kommentare

  • Liebe Josefine,

    wie es scheint, hat man im Schöneberger Rathaus nur eine Bärenfahne, wenn die mal gewaschen wird, flattert ein paar Tage keine.

    Jedenfalls freuen wir uns über Deinen Beifall für unser Blog, und Silke Burmesters Frontberichterstattung vermissen wir ebenfalls. Sie hat aber in der Holztaz angekündigt, dass sie eine Weile pausieren wird und ans Katheder gewechselt ist.

    Ja, was die Prominenten angeht, die mal in der Nähe unserer Behausung lebten oder noch leben: Es macht eben einfach Vergnügen zu wissen, wo Hilde Knefs Mutter ihr die Stulle runter geschmissen hat. Und bei gewissen Computerproblemen denkt man milde an Konrad Zuses Haus in der Tübinger Straße. Ein bisschen Aura kann nicht schaden!

    Herzliche Grüße aus westlicher Richtung
    Barbara und Jörg

  • Ist das eigentlich immer derselbe Bär oder wird der von Zeit zu Zeit ausgetauscht, sodass bis heute Generationen an Bären an benannter Stelle flattern konnten?

    Der Bär in Berlins Luft über dem einen Rathaus in Tempelhof-Schöneberg ist eine der paar Konstanten bei meiner taz-Lektüre neben Verboten, dem Tom-Comic, der neuen Spalte zu Terminen in der jeweilig kommenden Woche, der Medienseite – Übrigens, wo ist die Kolumne von der Frontberichterstatterin Silke Burmester? Geriet sie in einen Hinterhalt und ist in schweren Gefechten oder gar Kriegsgefangenschaft? – und den Artikeln bestimmter Journalisten.

    Egal was passiert, seien es Amoklauf in den USA, Kinderarbeit in Bolivien oder der Fall von Helmut Kohl – der Bär flattert. Oder pausiert. Das verstetigt meine Beziehung zu dem Symbol. Einem Symbol, das ich vielleicht gar nicht so gut kenne, wie ich meine.

    Zum Bundesplatz fällt mir ein, dass ich dort nach wie vor lieber schnell umsteige, weggehe oder nur kurz eine Geburtstagskarte oder so kaufe, besonders bei Dunkelheit. Noch ist die Aufenthaltsqualität dort meiner Meinung nach entwickelbar. Ob das mit Prominenten geht, die dort wohnten? Zumindest bei Marlene Dietrich weiß ich, dass sie länger in einer Villa in Westend nahe dem damaligen SFB wohnte. Bei Prominenten, die nur kurzweilig in meiner Nähe wohnten, habe ich mich schon mehrmals gefragt, was das denn dann für mich bedeuten könnte. Könnte ich jemanden mit beeindrucken? Mich erhaben fühlen? Vorbilder? Dann doch eher die Prominenten, die nicht aus meinem Kiez wegwollten und -zogen, wäre mein derzeitiger Standpunkt.

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