vonSchröder & Kalender 05.04.2016

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert schwach in westlicher Richtung.
***Marcel Reich-Ranicki, Leben. tazblog Schröder & Kalender. Foto: Barbara Kalender

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Diese Aktie der Reading Company schenkte uns ein Freund. Aus diesem Stapel stellen wir antiquarische Bücher vor, die uns besonders gefallen, missfallen oder zu aktuellen Anlässen passen.

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Marcel Reich-Ranicki hatte in der ›Zeit‹ Brinkmanns Roman ›Keiner weiß mehr‹ über den grünen Klee gelobt. In seinen Memoiren ›Mein Leben‹ klingt das so: »Im November 1968 saßen wir, Brinkmann und ich, zusammen auf dem Podium der Akademie der Künste in Berlin. Ich hatte ihn unmittelbar vor der Veranstaltung zum ersten Mal gesehen. Zu meiner Überraschung schaute er mich wütend an. Ich ahnte nicht, dass er auf einen Skandal aus war. Unsere Diskussion dauerte noch nicht lange, da brüllte er mich ohne erkennbaren Anlass an: ›Ich sollte überhaupt nicht mit Ihnen reden, ich sollte hier ein Maschinengewehr haben und Sie niederschießen.‹ Das Publikum war empört und verließ aufgeregt den Saal. Brinkmann hatte nun den Skandal, an dem ihm offensichtlich so gelegen war. Seine Verlagslektorin wollte mich beschwichtigen: ›Sie sind doch für ihn eine Vaterfigur, und dazu gehört auch der Vatermord – dafür sollten Sie Verständnis haben.‹ Ich hatte dafür kein Verständnis.«

Interessant an dieser viel kolportierten Brinkmann-Beleidigung ist, dass Reich-Ranicki sich an einen anderen Wortlaut erinnerte als die vielen Zeugen der Veranstaltung. Die hatten ganz anderes gehört, nämlich: »Wenn das hier«, Brinkmann zeigte auf das Exemplar seines Romans ›Keiner weiß mehr‹, »ein Maschinengewehr wäre, würde ich Sie damit umlegen.« Rolf Dieter Brinkmann präsentierte seinen Roman als literarisches Maschinengewehr, als Metonym und nicht als Waffe, mit der man jemand totschießen kann. Diesen gravierenden Unterschied wollte der Literaturkritiker Reich-Ranicki nicht erkennen. Stattdessen behauptete er, dass Brinkmann den Skandal aus Berechnung plante. Das ist Mumpitz! Ich habe Rolf in solchen erregten Phasen erlebt, er war unberechenbar, cholerisch und oft einfach durchgeknallt, aber doch immer präzise. Berechnend war eher Reich-Ranicki, er verdrehte bewusst das Maschinengewehr-Zitat; bei seiner Interpretation spielte eben auch die antisemitische Vermutung mit.

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Marcel Reich-Ranicki, Mein Leben, 568 Seiten, Deutsche Verlags-Anstalt, 1. Auflage im September 1999.

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BK / JS

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2016/04/05/wenn-dieser-roman-ein-maschinengewehr-waere/

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kommentare

  • Der Vater von mir, ein pseudonymer Schriftsteller, brüstete sich gelegentlich damit, dass er zu Reich-Ranicki sagte: “… Sie stinken aus dem Mund!”. Was er damit meinte, habe ich nie erfragt. Die Mutter meinte, er hätte sich damit manch gutes Geschäft versaut, weil er blöd und faul sei. Aber ich denke, der Alte hatte im wohl nur sagen wollen, dass er auf seine Aufträge gerne verzichte, da er ohnehin keine von ihm bekäme. So sagt einer was, und jeder hört, was er will.

    Was mich nur wundert ist, dass das Publikum bei Brinkmann vs. Ranicki den Saal verließ, wo es doch gerade erst losgegangen war. Ich schalte ja auch nicht den Fernseher nach der ersten Runde eines Boxkampfes ab, außer es gab ein Knock Out.

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