vonSchröder & Kalender 30.06.2016

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert auf Halbmast in westlicher Richtung.
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Bechstein-Etage, Foto: Barbara Kalender

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Schon oft sind wir an der »nasenförmigen Ausprägung« des Stilwerk-Hauses – so wirbt jedenfalls die Website – vorbeigegangen. Jetzt vermuten wir, die Architekten werden beim Schwung der verglasten Fassade eher an einen Konzertflügel gedacht haben. Denn gestern waren wir zum ersten Mal drinnen.

Im vierten Stock, in der Bechstein-Etage, stellte Gunna Wendt ihr Buch vor über die Familiengeschichte der Bechsteins vor. Die Komponistin und Pianistin Ulrike Haage begleitete sie am Flügel durch den Abend.

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Liszt-Flügel, Bechstein-Etage, Foto: Barbara Kalender

Dieser Bechstein-Flügel wurde am 17. März 1862 an Franz Liszt geliefert. Seine Besonderheit ist der erweiterte Resonanzboden.

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Liszt-Flügel Detail, Bechstein-Etage, Foto: Barbara Kalender
Die Spezialkonstruktion hat an der Längszarge einen sog. »Baßbauch«, der den Baßbereich voluminöser im Ton macht. Liszt schrieb begeistert an Carl Bechstein: »Eine Beurteilung Ihrer Instrumente kann nur eine vollkommene sein. Seit 28 Jahren habe ich nun Ihre Instrumente gespielt und sie haben ihren Vorrang erhalten. Carl Bechstein schickte dem Komponisten jährlich einen neuen Flügel. Er baute auch für Richard Wagner ein Kompositionsklavier.

Im Präsentationsraum ist das Original eines der Liszt-Flügel zu sehen. Hierzu ein Zitat aus Gunna Wendts Buch: »1856 hatte Carl Bechstein mit ansehen müssen, wie Liszt bei einem Konzert in Berlin den Flügel im Laufe des Abends ruinierte. Eine Saite nach der anderen hielt der Belastung durch den Virtuosen nicht stand. An diesem Abend fasste der junge Bechstein den Entschluss, die Herausforderung, die Liszts Spielweise für den Klavierbauer bedeutete, anzunehmen und Instrumente zu konstruieren, die dem Angriff gewachsen waren. Für Bechstein geriet Liszts Performance zum Schlüsselerlebnis und ließ ihn sein Ziel formulieren: Er würde dem Maestro zu dem Instrument verhelfen, das er brauchte, um seine Kompositionen adäquat zu spielen. Dieser sollte sich weder in seiner Spielgewalt bremsen müssen, noch weiterhin zerstörte Flügel zurücklassen.«
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Gunna Wendts Familienchronik der Klavierbauer unterschlägt auch nicht die dunkle Seite der Dynastie. Hier ein stark gekürztes Zitat aus der 21. Folge von ›Schröder erzählt‹ mit dem Titel ›Stille Verbraucher‹: Tatsächlich kann man sagen, dass Elsa Bruckmann, die Frau des Kunstverlegers, Melanie und Julius Lehmann – Verleger übler antisemitischer Machwerke und nach 1945 seriöser Medizinverleger – sowie der Kunstverleger Putzi Hanfstaengl den Postkartenmaler Hitler zu dem machten, was er wurde. Neben Dietrich Eckart, dem Schwabinger Bohemien, Helene Bechstein, der Schwiegertochter des Klavierfabrikanten,  und Valkyrie ›Unity‹ Mitford gebührt der Münchner Society zumindest die Hälfte der Ehre, das Unglück des zwanzigsten Jahrhunderts in Gestalt des Adolf Hitler befördert zu haben. Arturo Ui ist eben nicht nur das Produkt des Karfiolkartells eines Fritz Thyssen oder Emil Kirdorf, sondern ebenso sehr das der Esoterikszene der Salons und der Schwabinger Boheme.

Im Hotel ›Vier Jahreszeiten‹, dem Sitz der Thule-Gesellschaft, umschwärmten die Gesellschaftsdamen ihren »Wolf«. Zwar war der ein spröder eineiiger Vegetarier, Kuchenfresser und Schreihals, aber das tat seiner magischen Wirkung auf das schwache Geschlecht keinen Abbruch. Elsa Bruckmann – eine gebürtige jugoslawische Prinzessin – brauste im cremefarbenen Mercedes-Cabrio die Leopoldstraße herunter, um den Tibet-Buddhisten Eckart auf eine Nase Koks in der ›Brennessel‹ zu besuchen und ihre Freundin Helene Bechstein im Hotel ›Vier Jahreszeiten‹. Eine brisante Mischung aus Okkultismus, Antisemitismus und republikfeindlichen Parolen – tout München: Sänger, Schauspieler, Sportler, resche Frauenrechtlerinnen, Hitler und Tibeter.
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Bechstein-Etage, Foto: Barbara Kalender
Vor der Lesung. Alle Fotos: Barbara Kalender
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Zurück zu Carl Bechstein: Er  war nicht nur ein großartiger Instrumentenbauer, sondern auch ein genialer Verkäufer. So warb er für seine Klaviere: »Schöne Frau! Ganz besonders dir gelten diese Seiten! Dir ist der Flügel mehr als ein Musikinstrument. Du weißt, dass auch wenn du nicht selbst musizierst, der Flügel um deiner Gäste willen in dein Heim gehört, und empfindest seine künstlerische Raumwirkung, die ihn zu einem Teil des Ganzen, zum Schmuck des Heims werden lässt.« Das war clever, denn alle höheren Töchter lernten in den goldenen Jahren das Klavierspielen, es gehörte zu ihrer Standesehre, viel mehr hatten sie nicht zu tun, die Arbeit taten die Anderen.

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Gunna Wendt: Die Bechsteins. Eine Familiengeschichte. Aufbau Verlag Mai 2016, 320 Seiten.

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GW / BK / JS

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