vonSchröder & Kalender 30.09.2018

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert heute nicht.
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Am Donnerstag flogen wir nach Düsseldorf, um in der BiBaBuZe Buchhandlung aus der Neuausgabe des ›Siegfried‹ zu lesen. Der lustige Name der Buchhandlung im Stadtteil Bilk bedeutet im Vollmodus »Bilker Basis Buch Zentrale«, denn die Buchhandlung ist spezialisiert auf Literatur und Politik. Zitat von der Website: »1977 gründeten ein paar verschrobene Individuen im deutschen Herbst 1977 in Düsseldorf-Unterbilk einen Buch- und Infoladen, der die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit zur ›Korrektur der vorherrschenden Meinung‹ und die Erprobung selbstbestimmter und kollektiver Arbeitsformen auf seine schwarzroten Fahnen geschrieben hatte.« Es gibt ein Gespräch, das Marc Ingel mit Antje Westermann und Hans Schulz führte.


Alle Fotos: Barbara Kalender
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Die Buchhändlerin Antje Westermann und der Buchhändler Hans Schmitz begrüßten uns, Antje führte uns dann in ihre schöne Wohnung in der Planetenstraße, wo wir Logis bezogen.

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Düsseldorf ist Jörg Schröders dritte Heimat, hier lebte er von 1954 bis 1965. In der Helmholzstraße war seine erste Bleibe – bei der Zimmervermieterin Änne Schiffers. Alle Geschichten aus dieser Zeit kann man  im ›Siegfried‹ nachlesen. Jörg fand, dass Bilk  sich kaum verändert hat, wenn man einmal von der U-Bahn absieht, anders als das Zentrum und die Altstadt, doch davon später.


Ulrich Faure und Jörg Schröder im Biergarten.
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Nach dem Abstellen des Rollkoffers in der Planetenstraße spazierten wir wieder Richtung Bilker Bahnhof und trafen auf der Aachener Straße unseren Moderator Ulrich Faure, der in Düsseldorf wohnt. Mit ihm gingen wir in den Biergarten des Lokals Tigges. Uli war bester Laune, er berichtete, dass er soeben ein Exemplar der zweiten Auflage des von ihm aus dem Niederländischen übersetzten Thrillers ›Zeuge des Spiels‹ der Brüder Heerma van Voss erhalten hatte. Faure gab zusammen mit Jürgen Pütz die Briefe von Albert Vigoleis Thelen heraus.

Während wir Lammkoteletts aßen, erzählte Uli, dass er im Zooviertel wohne. Um die Ecke, in der Schillerstraße am Brehmplatz, hatten Jörg Schröder und seine Mutter jahrelang gelebt. Von dort aus war er täglich mit dem Zug nach Köln zum Kiepenheuer & Witsch Verlag gefahren.

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Vor der Lesung: Enno Stahl, Albrecht Götz von Olenhusen (mit Barbara scherzend) und Ulrich Faure.

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Der Jurist, Literat und Raubdrucksammler Albrecht Götz von Olenhusen war begeistert vom Angebot der BiBaBuZe-Buchhandlung. Enno Stahl wollten wir am nächsten Nachmittag im Heinrich-Heine-Institut besuchen, auch davon später.


Jörg Schröder und Barbara Kalender beim Signieren der ›Siegfried‹Neuausgabe des Schöffling Verlags. Foto: Ulrich Faure
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Jörg las aus dem ›Siegfried‹, Barbara aus dem Anhang: ›Das ganze Leben. Jörg Schröders Vita‹.

Nun eine Passage aus Siegfried: In Düsseldorf ging ich zur ›Rheinischen Post‹ und wollte mich als Volontär bewerben. Ich wußte damals schon, dass das mit den christlichen Bonzen alles eine sinnlose Scheiße war, aber ich wollte Journalist werden und dachte, ich kann das Entrée durch diese Bonzen versuchsweise ausprobieren. Bei der ›Rheinischen Post‹ sagten sie mir, ich sollte am besten eine Verlagslehre machen, dann könnte ich immer noch schreiben, wenn ich es dann noch wolle. Ich stand da in meinem grauen Anzug und in meinem Pepitawestchen und dachte, ›Komisch, was soll das? Was reden die?‹ Ich ging die Schadowstraße hinunter zur Königsallee. Vor der Schrobsdorff’schen Buchhandlung blieb ich stehen. Die Buchhandlung interessierte mich nicht, ich hatte viel gelesen, aber Buchhandlungen hatte ich nie betreten. Neben Schrobsdorff war ein Laden von Goldpfeil. Im Schaufenster sah ich ein Mädchen, das dekorierte. Ich sah sie und dachte: ›Die musst du haben‹. Und dann kam mir die Idee mit der Buchhandlung nebenan.
Wie wird man Buchhändler? Wußte ich nicht. Ich ging zur nächsten Telefonzelle und blätterte das Telefonbuch durch. Darin fand ich: ›Rheinisch-Westfälischer Buchhändler- und Verlegerverband‹. Ich rief dort an und sagte: »Ich möchte eine Buchhändlerlehre machen. Kann ich bei Ihnen vorbeikommen und mich informieren?« Ich ging hin. Eine Frau Hausher war Geschäftsführerin, sie informierte mich, was für ein edler Beruf das ist. ›Na schön‹, habe ich gedacht, ›Bücher, warum nicht?‹ Nach einiger Zeit fragte sie: »Wollen Sie denn nun Buchhändler werden?« »Selbstverständlich«, habe ich geanwortet. »Sollen wir Sie vermitteln?« fragte sie. »Nein«, sagte ich, »ich weiß schon, wo ich lernen will: bei Schrobsdorff.« – »Was! Bei Schrobsdorff? Wie kommen Sie denn darauf?« – »Tja«, habe ich gesagt, »bei Schrobsdorff – oder ich werde nicht Buchhändler.« Nun musst du dir vorstellen, wie sich das angehört hat, denn Schrobsdorff gehörte zu den zehn bedeutendsten Buchläden der Bundesrepublik. Das hat dieser Frau natürlich ungeheuer imponiert: Ein junger Mann, der nicht nur Bescheid weiß, sondern der auch genau weiß, was er will, hat sie wohl gedacht. Dass es mit diesem Goldpfeilmädchen im Schaufenster nebenan zu tun hatte, konnte sie nicht ahnen. »Ich werde also mal Herrn Doktor Mayer anrufen«, hat sie gesagt. Sie rief ihn an und Doktor Mayer meinte: »Der Bub soll mal kommen.«
Die Lehre in diesem Laden hatte so eine Ersatzfunktion für blöde höhere Töchter – und da waren sie denn auch alle versammelt, die Töchter der High Society, die trotz aller Arschtritte und Arschspritzen und Antichambrierkunststücke das Abitur nicht geschafft hatten, was schon viel besagt, wenn man weiß, was für Idioten das Abitur machen.
Ein großer, sehr schmaler Laden. Auf einer Empore saß Doktor Hans Otto Mayer, ein stattlicher Schwabe mit Schmissen im Gesicht, Besitzer der größten privaten Thomas-Mann-Sammlung, die er später der Stadt Düsseldorf stiftete. Er saß da oben mit seinem schwulen Tic, dem Blüherschen, dem mühsam kaschierten. Ich erzählte ihm von mir, Zeugnisse habe ich angedeutet. Aber Zeugnisse interessierten den nicht. »Meine Kinder sind auch schlecht in der Schule«, sagte der Doktor Mayer wegwerfend. Dann rief er den ersten Sortimenter, Herrn Bornemann. Herr Bornemann war Leutnant gewesen, sie hatten ihm einen Finger abgeschossen. Er klickerte immer schnell mit den Zähnen, einer der besten Buchhändler, die ich kennengelernt habe. Ich wurde angenommen.

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v.l.n.r.: Enno Stahl, Albrecht Götz von Olenhusen, Ulrich Faure, Jörg Schröder, Hans Schmitz, Antje Westermann und Werner Hanses-Ketteler

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Anschließend saßen wir noch einmal im Tigges und tranken mit den Buchhändlern und ein paar Freunden einige  Biere.

Morgen geht es weiter.

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BK / JS

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