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Der Bär flattert munter in östlicher Richtung.
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Am 24. Oktober wurde Jörg Schröder, Verleger des März Verlags, Buchgestalter und Autor, 80 Jahre alt. Der Verlag Schöffling & Co. hatte zur Neuausgabe des ›Siegfried‹ eine Veranstaltung im Buchhändlerkeller in Berlin-Charlottenburg organisiert.
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v.l.n.r.: Klaus Schöffling, Jörg Schröder und Lea Petrenz (vormals Assistentin des Verlegers & Lektorat). Foto: Matthias Reichelt
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Im Buchhändlerkeller, damals noch in der Görresstraße, verkehrte alles, was links war: Bernward Vesper, Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Karin Röhrbein, ich war auch ein paarmal dort, wenn ich von Frankfurt nach Berlin kam. Nicolas Born, Jürgen Theobaldy und der damals noch revolutionär gesinnte Hans Christoph Buch gründeten hier den ›ARSCH‹ – Arbeitskreis Revolutionärer Schriftsteller. Der kürzlich verstorbene Galerist Jes Petersen schrieb: »Im Buchhändlerkeller, diesem ärmlichen Kellerraum in der Görresstraße 9, lesen jeden Mittwoch so gegen neun Uhr bekannte und unbekannte Autoren … Für viele wurde es zu einer Schlachtbank, denn in den Diskussionen nach den Lesungen wird keinem Zucker in den Arsch geblasen. Der größte Teil der Zuhörer schreibt selbst, und der Rest hat es sich seit vielen Jahren fest vorgenommen …« Seit 1976 befindet sich diese Institutuion für Freunde der Literatur in der Carmerstraße 1.
Die Besprechungen in der Presse sind erfreulich, 18 größere und kleinere Artikel sind bisher erschienen. Es gab Auftritte während der Frankfurter Buchmesse bei der FAZ (Gespräch mit Dietmar Dath) und auf dem ›Blauen Sofa‹, moderiert von Vivian Perkovic.
Christiane Munsberg, die Erfinderin des ›Blauen Sofas‹, postete später auf Facebook: »Max Horkheimer soll gesagt haben: ›Ich begrüße das Buch ausdrücklich!‹«
Kai U. Jürgens konstatierte in den Kieler Nachrichten: »März gab es über die Jahre in immer neuen Aggregatzuständen, am Ende steht die nun abgeschlossene Reihe ›Schröder erzählt‹, die im Desktopverfahren erstellt wurde. Ein Lieblingsbuch aus seinem Programm hat Jörg Schröder nicht, wichtig ist ihm immer die Vielfalt gewesen: Literatur bestehe ›nicht nur aus Proust, sondern auch aus Leonard Cohen oder Ken Keseys Kuckucksnest‹.«
Zu Schröders Geburtstag und der Neuausgabe des ›Siegfried‹ erschien in der ›Literarischen Welt‹ eine Seite mit der Headline: »Erzähler, Verleger, Pornograf.« Philipp Haibachs Resümee lautet: »Jörg Schröder prägte mit seinen März-Büchern die Moderne der alten Bundesrepublik.« Max Rüdlinger schrieb in der Aargauer Zeitung über ›Schröder erzählt‹: »Ein grandioses Werk – der Pepys unserer Zeit.«
In der jungen Welt gratulierten Freunde und Wegbegleiter: Gunna Wendt, Gerhard Henschel, Diana Weis und Jürgen Roth.
Dietmar Dath griff in der FAZ vom 24. Oktober locker in die Lostrommel: »Beides, März wie Olympia Press, passte zu Bismarc Media wie Schröders Aura als deutscher (also etwas besser gepanzerter) Andy Warhol.«
Und im schönen, sehr persönlich gefärbten Artikel von Annett Gröschner in der Süddeutschen Zeitung steht über unsere Folgen von ›Schröder erzählt‹: » Zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung hatte ich das Gefühl, ich begriffe diesen bundesdeutschen Literaturbetrieb, in den ich etwas schief hineingewachsen war – all die Vernetzungen, Verquickungen, Lobhudeleien, die Korruption, Ignoranz, die krummen Geschäfte, den Lobbyismus und die Frauenfeindlichkeit, bis Schröders Erzählung dann immer näher in die Gegenwart kam und ich mich eines Tages selbst als Erzählte wiederfand: Wir liefen durch Pankow-Niederschönhausen und besuchten die Bismarckstraße, wo Jörg Schröder neben dem Reichsredner Rinklef aufwuchs und alles noch so aussah wie Ende der Vierziger, nur der Name der Straße hatte sich geändert, es war nun die Hermann-Hesse-Straße.
Mit den Jahren wurde aus „Schröder erzählt und Kalender hört zu“ „Schröder und Kalender erzählen“. Ohne Barbara Kalender, Lebens- und Arbeitsgefährtin seit 1980, wäre das Unternehmen März in seiner bisher letzten Verwandlung nicht möglich gewesen. Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender für die taz. Am Anfang war es mir ein Rätsel, was es mit dem ersten Satz in jeder Folge des Blogs auf sich hatte: „Der Bär flattert in westlicher Richtung“, hieß es da zum Beispiel. Des Rätsels Lösung ist in einem Lied der Band Prag versteckt: „Rot und weiß sind die Farben von Berlin, dazu ein schwarzer Bär, das weiß doch jedes Kind.“ «
BK / JS
Schöffling & Co. Siegfried, Jörg Schröder, Ernst Herhaus, Barbara Kalender, Klaus Schöffling, Buchhändlerkeller, Literarische Welt, FAZ, junge Welt, Kieler Nachrichten, Süddeutsche Zeitung