vonSchröder & Kalender 27.05.2019

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

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Jetzt, da sich die Ära der Sozialdemokratie ihrem Ende zuneigt, bringen wir einen Text über Ferdinand Lassalle. Natürlich sehen wir dessen Lebensweg nicht in kausalem Zusammenhang mit der Geschichte der SPD, dennoch sind sein Wirken und Sterben im Kern ein nahezu phänotypisches Abbild der »Bürgerscheiße«, wie Karl Marx die Sozialdemokratie nannte.

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Der nachfolgende Text erschien im Januar 2017 unter dem Titel ›Die Zweite Natur‹, es ist die 66. Folge von ›Schröder erzählt‹ von Schröder & Kalender.

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Welche Rolle spielte die deutsche Sozialdemokratie in den letzten hundert Jahren? Mit der Ermordung Rosa Luxemburgs hat sie bereits kläglich versagt. Aber schon vorher stank der Fisch vom Kopf her! Das zeigt der Lebensweg von Ferdinand Lassalle, dem Gründungsvater der SPD, der 1825 in Breslau als Sohn eines jüdischen Seidenhändlers geboren wurde. Schon als Gymnasiast war der Junge streitsüchtig und aufbrausend. Erst zwölf Jahre alt, forderte er einen jugendlichen Nebenbuhler zum Duell auf, weil dieser mit einem vierzehnjährigen Mädchen poussierte, welches Ferdinand anbetete. Man könnte das als Anekdote abhaken, wäre da nicht dieses spätere Duell, bei dem der neununddreißigjährige Lassalle in Genf starb.

Also hinein in einen quasi viktorianischen Kolportageroman, in dem es um Frühsozialismus, Größenwahn und Ehre geht. Lassalles Vater wünschte, dass der Sprössling seine florierende Seidenhandlung übernimmt, jedoch der Knabe fühlte sich zu Höherem berufen und legte die Reifeprüfung ab. Er hatte beschlossen, Schriftsteller zu werden. Der junge Mann vergrub sich in der Dachstube des Elternhauses und studierte die Schriften von Börne, Heine, Hegel sowie die Vorsokratiker, um das Aufnahmeexamen für die Universität Breslau zu bestehen. Bereits zu Beginn seines Studiums trat er der Burschenschaft der Raczeks bei, der er bis zu seinem Duell angehörte. Wir haben hier den ungewöhnlichen Fall eines korporierten Sozialdemokraten. Einen solchen Arbeitskreis von »alten Herren« gibt es noch heute in der SPD, er nennt sich bezeichnender Weise »Lassalle-Kreis.«

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Ferdinand Lassalle
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Auch dies gehört zu den vielen verwirrenden und sich widersprechenden Fakten im Leben des Ferdinand Lassalle. Nach dem Studium in Breslau belegte er in Berlin ab 1843 die Fächer Geschichte, Archäologie, Philosophie, Philologie und im letzten Jahr auch Rechtswissenschaften. Der Student arbeitete Tag und Nacht, nahm zeitweise kaum etwas zu sich, dann wieder stürzte er sich ins Luxusleben, kaufte sündhaft teure Kleidung, trank exzessiv Champagner und verprasste das Geld mit Prostituierten, der Breslauer Seidenhändler zahlte zähneknirschend. In seinen spartanischen Zeiten studierte Ferdinand den Vorsokratiker Heraklit. Eine große Arbeit über ihn verfasste er mit dem Ziel Professor zu werden.

Mal abgesehen von Lassalles akademischen Karriereplänen, ist Heraklit ein ungewöhnliches Thema für einen Sozialisten, der zur selben Zeit den schlesischen Weberaufstand begeistert begrüßte. Ungewöhnlich? Ja, denn es gibt keinen antiken Philosophen, der den Demos derartig hasste wie Heraklit. Er wurde im sechsten Jahrhundert vor Christus in Ephesos geboren und stammte aus vornehmer Familie, in der sich die Priesterwürde forterbte. Diese trat Heraklit an seinen Bruder ab. Den Beinamen »der Dunkle« erhielt er, weil keine seiner Sentenzen systematisch erklärbar ist. Cicero vermutete, der Philosoph habe den Logos absichtlich verhüllt, um dem dummen Volk das Verständnis seiner Aphorismen zu verwehren, die höchste Form philosophischer Arroganz. Albert Camus bemerkte einmal zum Thema des Dunklen in Philosophie und Literatur: »Wer dunkel schreibt, hat es gut, er wird interpretiert. Alle anderen haben bloß Leser.« Die Lehre des Heraklit dreht sich im Wesentlichen um das Axiom vom ewigen Wandel. Das dem Philosophen fälschlich zugeschriebene »panta rhei« meint übrigens nicht das Wasser, vielmehr definierte Heraklit das Feuer als Archetypus der Wandelbarkeit.

Der spätere Arbeiterführer beschäftigte sich nicht nur mit Heraklit, sondern wandelte auch auf Hegels Spuren, der eine »Diktatur der Einsicht und der Demokratie« forderte. Um es schrecklich zu vereinfachen: Es ging um eine totalitäre Demokratie. Den Staat sah Lassalle nach Hegels Idee als »Einheit der Individuen in einem sittlichen Ganzen, welche die Kräfte aller Einzelnen millionenfach vermehrt.« Noch ist dieser seltsame Sozialrevolutionär mit seiner Idee vom Hegelschen Ameisenstaat erst zwanzig Jahre alt und studiert in Berlin. Dann aber änderte sich im November 1845 seine Lebensplanung, als er Heinrich Heine in Paris besuchte.

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Bereits als sechzehnjähriger Schüler hatte Lassalle in der Breslauer Zeitung einen Artikel geschrieben, in dem es um das Duell ging, welches Heinrich Heine ausfechten musste. Duelle zur »Rettung der Mannesehre« waren noch im 19. Jahrhundert sehr in Mode.
Für Heine ging es glimpflich aus, Salomon Strauß traf seinen Gegner zwar am Brustkorb, aber die Kugel prallte an Heines gutgefülltem Portemonnaie ab. »Gut angelegtes Geld« meinte der Dichter später trocken. Heine selbst verachtete das Duellunwesen und feuerte seinen Schuss in die Luft.

Anlass für das Duell war Heines Buch über Ludwig Börne gewesen, in dem er sich über den toten Dichter und dessen ungewöhnliche Ménage à trois lustig machte. »Unstreitbar herrschte zwischen beiden die innigste Zuneigung«, schreibt Heine über Jeanette Wohl und Ludwig Börne, »aber während das Publikum zweifelhaft war, welche sinnliche Tatsachen daraus entsprungen sein möchten, überraschte uns einst die plötzliche Nachricht, dass Madame Wohl sich nicht mit Börne, sondern mit einem jungen Kaufmann aus Frankfurt vermählt habe … Die Verwunderung hierüber ward noch dadurch gesteigert, dass die Neuvermählte nebst ihrem Gatten hierher [Paris, die Verf.] kam, mit Börne ein und dieselbe Wohnung bezog, und alle drei einen einzigen Haushalt bildeten. Ja, es hieß, der junge Gatte habe die Frau nur deshalb geheuratet, um mit Börne in nähere Berührung zu kommen, er habe sich ausbedungen, dass zwischen beiden das frühere Verhältnis fortwalte. Wie man mir sagt, spielte er im Hause nur die dienende Person, verrichtete die roheren Geschäfte und ward ein sehr nützlicher Laufbursche für Börne, mit dessen Ruhm er hausieren ging und gegen dessen Gegner er unerbittlich Gift und Galle geiferte. In der Tat, jener Gatte der Madame Wohl gehört nicht zu der guten Sorte, die mit der Toleranz in der Ehe eine gewisse Harmlosigkeit verbindet, und dadurch allen Spott entwaffnet. Nein, er erinnerte vielmehr an jene böse Gattung, wovon in den indischen Geschichten des Ktesias Erwähnung geschieht. Dieser Autor berichtet nämlich: in Indien gäbe es gehörnte Esel, und während alle anderen Esel gar keine Galle haben, hätten jene gehörnten Esel einen solchen Überfluss an Galle, dass ihr Fleisch dadurch ganz bitter schmeckte.«

Heines Denkschrift erschien nach Börnes Tod und wurde auch später sehr zwiespältig aufgenommen. Als Freunde den Autor warnten, der Inhalt seines Buches könnte Ärger stiften, erwiderte er: »Aber ist’s nicht schön ausgedrückt?« Friedrich Engels urteilte: »Eines der nichtswürdigsten Bücher, die in deutscher Sprache geschrieben wurden«. Das sagte ausgerechnet ein Mann, bei dessen Kommentaren oft kein Auge trocken blieb. Wir sind in diesem Falle auf der Seite von Thomas Mann, der Heines Buch für »die genialste deutsche Prosa seit Nietzsche« hielt.

Als einige Jahre später Heines Onkel in Hamburg starb, der sein Jurastudium finanziert und ihm eine großzügige Jahresrente gewährt hatte, begann ein hässlicher Erbstreit. Salomon Heine hinterließ ein Vermögen von etwa zwanzig Millionen Euro – nach heutigem Geldwert. Im Testament war für den Neffen aber nur die einmalige Summe von fünfzehntausend Franken ausgesetzt, von einer Jahresrente war keine Rede mehr. Heine fiel in eine Depression, er fühlte sich in seiner dichterischen Freiheit beschnitten, auch meldete sich die ersten Anzeichen der schweren Krankheit, die ihn später an die Matratzengruft fesselte.

In dieser Lage besuchte ihn unerwartet der junge Lassalle, der die philosophischen und politischen Ideale Heines teilte. Er hatte mit Begeisterung Heines kürzlich erschienene Werk ›Deutschland. Ein Wintermärchen‹ gelesen. Der Feuergeist Lassalle imponierte dem Dichter, ja, er hielt ihn für den kommenden weltlichen Erlöser. »In diesem neunzehnjährigen Jüngling sehe ich den Messias unseres Jahrhunderts«, teilte Heinrich Heine dessen Vater Heyman in Breslau mit. Die Idolisierung beruhte also auf Gegenseitigkeit. Der resignierte Dichter fühlte sich vom zupackenden Intellekt des jungen Freundes neu belebt. Dazu kam, dass Ferdinand Lassalle Heine versprach, dessen Erbstreit als prinzipiellen Kampf gegen die Bourgeoisie öffentlich auszufechten. Heine war begeistert, fasste neuen Lebensmut und feuerte seinen jungen Verbündeten mit einem Gedicht an, dessen erste Strophe lautet: »Laß dich nicht kirren, laß dich nicht wirren / Durch goldene Äpfel in deinem Lauf / Die Schwerter klirren, die Pfeile schwirren / Doch halten sie nicht den Helden auf.«

Lassalle tat sein Bestes, versuchte den Fürsten Pückler, Alexander von Humboldt und andere Größen der Zeit einzuspannen, um die weiteren Rentenzahlungen an Heinrich Heine zu sichern – vergebens. Der Rechtsstreit endete später ohne Lassalles Zutun in einem faulen Kompromiss. Ohnehin hatte Ferdinand Lassalle sich einem spektakulären und lukrativeren Fall zugewandt: dem Scheidungsprozess der Gräfin von Hatzfeldt. Heine war empört, seinem Bruder Gustav schrieb er: »Ich habe die Beziehung zu Lassalle abgebrochen, weil dieser einer der furchtbarsten Bösewichter geworden ist, der zu Mord, Fälschung und Diebstahl fähig ist.«

(Fortsetzung folgt)
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Dieser Text erschien im im Januar 2017 unter dem Titel ›Die Zweite Natur‹, es ist die 66. Folge  von ›Schröder erzählt‹ von Schröder & Kalender. ISBN 978-3-920096-88-9

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(FL / BK / JS)

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