vonSchröder & Kalender 29.05.2019

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

Mehr über diesen Blog

***
Der Bär flättert in östlicher Richtung
***

Jetzt, da sich die Ära der Sozialdemokratie ihrem Ende zuneigt, bringen wir einen Text über Ferdinand Lassalle. Natürlich sehen wir dessen Lebensweg nicht in kausalem Zusammenhang mit der Geschichte der SPD, dennoch sind sein Wirken und Sterben im Kern ein nahezu phänotypisches Abbild der »Bürgerscheiße«, wie Karl Marx die Sozialdemokratie nannte.

* * *

Der nachfolgende Text erschien im Januar 2017 unter dem Titel ›Die Zweite Natur‹, es ist die 66. Folge  von ›Schröder erzählt‹ von Schröder & Kalender.

 

Sophie von Hatzfeldt-Trachtenberg

***

Lassalle hatte die Gräfin in seinem letzten Studienjahr in Berlin kennengelernt. Einer seiner Freunde, Alexander Oppenheim war Rechtsbeistand der Sophie von Hatzfeldt-Trachtenberg, die gegen ihren Ehemann Graf Edmund Hatzfeldt-Wildenburg Weisweiler prozessierte. Die sechzehnjährige Sophie war mit ihrem Vetter Edmund zwangsverheiratet worden, die beiden Hatzfeldt-Linien wollten mit dieser Heirat interne Vermögensstreitigkeiten beilegen. Graf Edmund war einer der großen rheinischen Standesherren und Großgrundbesitzer, ihm gehörten die Schlösser Kalkum, Schönstein sowie ein Palais in Düsseldorf. Zeitweise besaß er auch die Herrschaft Muskau, die er dem hochverschuldeten Fürsten Pückler abgekauft hatte.

Graf Edmund war ein Wüstling, der seine Frau schlug und demütigte, bis Sophie endlich die Scheidung einreichte, da war sie schon vierzig Jahre alt. Auf Unterstützung durch ihre Familie konnte sie nicht rechnen, ihr Prozess war also nahezu chancenlos, man schrieb schließlich das Jahr 1845. In dieser Lage, als auch ihr Rechtsbeistand Alexander Oppenheim die Flinte ins Korn werfen wollte, traf die verzweifelte Gräfin den zwanzigjährigen Studenten Ferdinand Lassalle. Der hatte sich bereits ein Jahr zuvor, also 1844, sozialistischen Ideen zugewandt und begeistert die ersten Aufstände begrüßt.

Lassalle, niemals zimperlich, sagte ihr seine Unterstützung zu, vergrub sich in seinem letzten Jahr an der Berliner Universität in juristische Studien zum Hatzfeldt-Fall. In der Folge lebten die beiden Prozess- und Liebespartner zusammen in Aachen, Deutz, Köln, Koblenz und zogen Anfang 1848 nach Düsseldorf. Von dort aus rückte Lassalle dem Grafen, der in seinem Stammsitz in Kalkum lebte, auf den Pelz. Lassalle ließ Edmund von Hatzfeldt auf Schritt und Tritt beobachten, sorgte dafür, dass dessen sexuelle Eskapaden in aristokratischen Kreisen ruchbar wurden. Vor allem aber machte der junge Brausekopf als Generalbevollmächtigter einer Aristokratin im Rheinland großen Skandal, er kämpfte schließlich für eine gerechte Sache! Er agitierte, prozessierte, bestach und hetzte die rheinischen Gemüsebauern gegen ihre Standesherren auf. Während der Hatzfeldt-Affäre wurde er Mitarbeiter von Karl Marx an der ›Neuen Rheinischen Zeitung‹ und inszenierte den bewaffneten Widerstand der Düsseldorfer Bürgerwehr.

Peinlicherweise mündete Lassalles Kampf für die Gräfin Sophie in einen veritablen Diebstahl – die sogenannte »Kassetten-Affäre«. Alexander Oppenheim, der Lassalle mit der Gräfin bekannt gemacht hatte, und der Arzt Arnold Mendelssohn beobachteten im Auftrag Lassalles die Baronin Meyendorf, eine Mätresse des Grafen Edmund. Als diese im ›Mainzer Hof‹ in Aachen übernachtete, nahmen Oppenheim und Mendelssohn dort ebenfalls Quartier. Am anderen Morgen, während das Personal der Baronin das Gepäck in die Kutsche lud, entdeckten die Freunde im Flur des Gasthofes eine Kassette. Darin vermuteten sie wichtige Dokumente in der Scheidungssache, Mendelssohn stahl die Kassette. Das wurde rasch bemerkt, die beiden Diebe flohen und wurden steckbrieflich gesucht. Mendelssohn reiste nach Paris, dort erst öffnete er die Kassette und entdeckte, dass sie nur unwichtige Dokumente enthielt.

Oppenheim stellte sich der Polizei, er wurde von der Anklage des Diebstahls freigesprochen, offenbar hatte er Protektion. Mendelssohn kehrte daraufhin aus Paris zurück, er hoffte ebenfalls auf Milde, wurde aber des Diebstahls und der Hehlerei für schuldig befunden. Lassalle hatte seinen Kumpan im Stich gelassen. Doch auch ihm wurde wegen geistiger Urheberschaft des Verbrechens der Prozess vor dem Kölner Geschworenengericht gemacht. Lassalle zog sich aus der Affäre und wurde in Deutschland zum Volksheld. Der Sündenbock Mendelssohn verlor seine Approbation als Arzt und wurde zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Damit war seine Zukunft in Deutschland vernichtet, er ging als Militärarzt in die Türkei und starb 1854 in Tripolis an Typhus.

Auch im Scheidungsprozess triumphierte Lassalle: Nach achtjähriger Prozessdauer und über dreißig Gerichtsterminen gab Graf Hatzfeldt auf. 1854 kam es zu einem Vergleich, Sophie und Lassalle hatten de facto den Prozess gewonnen, die Gräfin war nun eine schwerreiche Frau. Die »rote Gräfin«, so nannte man sie inzwischen allenthalben, wurde durch den öffentlich geführten Scheidungsprozess zur Ikone der deutschen Frauen-Emanzipation. Sie setzte ihrem Retter eine hohe Leibrente aus, Ferdinand Lassalle wurde so ebenfalls ein vermögender Mann. Er empfing Modeschneider, kleidete sich geckenhaft und avancierte zum roten Dandy.

Gemeinsam lebten die beiden zunächst in Sophies prächtigem Haus in der Düsseldorfer Friedrichstraße. Lassalle hatte aber auch andere Affären, eine Zeitlang lebte im Düsseldorfer Haus auch Agnes Street-Klindworth, die exaltierte Tochter eines Diplomaten und Geheimagenten, der mehreren europäischen Staatsmännern und Fürsten zu Diensten gestanden hatte. Mit ihr hatte Lassalle eine Tochter, das Kind starb nach wenigen Monaten. Später war Agnes Street-Klindworth die Geliebte des Komponisten und Klaviervirtuosen Franz Liszt.

(Fortsetzung folgt)
* * *
Dieser Text erschien im im Januar 2017 unter dem Titel ›Die Zweite Natur‹, es ist die 66. Folge von ›Schröder erzählt‹ von Schröder & Kalender. ISBN 978-3-920096-88-9

* * *
(BK / JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schroederkalender/2019/05/29/die-rote-graefin-und-ferdinand-lassalle/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert