vonSchröder & Kalender 02.06.2019

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flättert in nördlicher Richtung
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Jetzt, da sich die Ära der Sozialdemokratie ihrem Ende zuneigt, bringen wir einen Text über Ferdinand Lassalle. Natürlich sehen wir dessen Lebensweg nicht in kausalem Zusammenhang mit der Geschichte der SPD, dennoch sind sein Wirken und Sterben im Kern ein nahezu phänotypisches Abbild der »Bürgerscheiße«, wie Karl Marx die Sozialdemokratie nannte.

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Der nachfolgende Text erschien im Januar 2017 unter dem Titel ›Die Zweite Natur‹, es ist die 66. Folge  von ›Schröder erzählt‹ von Schröder & Kalender.

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Karl Marx

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Im Jahr 1858 zogen die Gräfin und Lassalle nach Berlin, dort residierten sie in bester Lage in der Bellevuestraße in der Nähe des Tiergartens. Lassalle traf dort häufig seinen Verleger Duncker und begann ein Verhältnis mit dessen Frau. In Berlin führten die rote Gräfin und Lassalle ein offenes Haus und empfingen die Prominenz. Der Champagner floss in Strömen, es wurde auch Haschisch und Opium geraucht. In ihrem Salon trafen sich Philosophen und Damen der Gesellschaft. Auch Karl Marx kam 1861 aus London zu Besuch, wo er seit zwölf Jahren lebte, hauptsächlich wegen seiner Publikationsprojekte. Besonders die Gräfin Hatzfeldt hatte es ihm angetan. Sie sei, schreibt er seiner Cousine Antoinette Philips, »kein Blaustrumpf, sie besitzt viel natürlichen Intellekt, ist sehr lebhaft an der revolutionären Bewegung stark interessiert und von einem aristokratischen laissez aller, das den pedantischen Grimassen der professionell femmes d’esprit sehr überlegen ist.«

Lassalles Gegenbesuch in London erfolgte ein Jahr später und wurde zum Desaster. Im Juli 1862 schrieb Marx an Engels: »Der Kerl hat mir Zeit gekostet und, meinte das Vieh, da ich ja jetzt doch ›kein Geschäft‹ habe, sondern nur eine ›theoretische Arbeit‹ mache, könne ich ebenso gut meine Zeit mit ihm totschlagen! Um gewisse dehors dem Burschen gegenüber aufrechtzuerhalten, hatte meine Frau alles nicht Niet- und Nagelfeste ins Pfandhaus zu bringen! Wäre ich nicht in dieser scheußlichen Position und ärgerte mich nicht das Klopfen des Parvenu auf den Geldsack, so hätte er mich königlich amüsiert. Seit dem Jahr, wo ich ihn sah, ist er ganz verrückt geworden […] Er ist nun ausgemacht nicht nur der größte Gelehrte, tiefste Denker, genialste Forscher usw., sondern außerdem Don Juan und revolutionärer Kardinal Richelieu. Dabei das fortwährende Geschwätz mit der falsch-überschnappenden Stimme, die unästhetisch demonstrativen Bewegungen, der belehrende Ton!«

Jenny Marx machte sich in ihrem Buch ›Kurze Umrisse‹ ebenfalls über Lassalles Auftreten lustig: »Er war fast erdrückt von der Last des Ruhms, den er sich als Gelehrter, Denker, Dichter und Politiker errungen. Die frische Lorbeerkrone ruhte noch auf der olympischen Stirn und dem ambrosischen Lockenhaupt oder vielmehr dem starren steifen chevelure des nègres. Er hatte eben den italienischen Feldzug siegreich beendet – ein neuer politischer Coup wurde von den großen Männern der Aktion ausgebrütet. Starke Kämpfe gingen in seiner Seele vor. Er hatte noch manche Felder der Wissenschaft nicht betreten. Da gab es noch Ägyptologie, die brachlag. ›Soll ich nun als Ägyptologe die Welt in Erstaunen setzen, oder soll ich meine Allseitigkeit als Tatenmann, als Politiker, als Kämpfer, als Soldat bekunden?‹ Das Dilemma war groß. Er schwankte in seines Herzens Geist und Empfindung und gab oft diesen innern Kämpfen einen wahrhaft sardonischen Ausdruck. Mit vollen Segeln durchstrich er unsre Räume so laut perorierend, gestikulierend, die Stimme oft zu einer solchen ut de poitrine Höhe emporschraubend, dass unsre Nachbarn, über das Riesengeschrei erschreckt, sich erkundigten, was bei uns los sei. Es waren die inneren Kämpfe des großen Mannes, die sich in schrillen Misstönen Luft machten.«

Nach seinem Besuch in London endete die Korrespondenz. Später erklärte Lassalle dies damit, dass ihr Verhältnis aus finanziellen Gründen in die Brüche gegangen sei. Marx führte es einzig und allein auf Lassalles politische Ansichten zurück. Das traf eher zu, denn im Februar 1863 hatte die Leipziger Arbeitszentrale Ferdinand Lassalle zu einem Vortrag eingeladen, er beantwortete die Anfrage mit einer öffentlichen Erklärung, und dieser Text führte zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeiter Vereins in Leipzig. Lassalle wurde für fünf Jahre zu seinem Präsidenten gewählt. Der ADAV war die Vorgängerorganisation der SPD. Gegen die Politik des ADAV opponierten Wilhelm Liebknecht und andere Sozialisten, vor allem Karl Marx reagierte fuchsteufelswild auf Lassalles Plan die Einigung Großdeutschlands unter Einschluss Osteuropas – also Posens, Westpreußens und des Balkans – unter der Führung des preußischen Staates durchzuführen. Um dies zu erreichen, hatte Lassalle Kontakt zu Bismarck aufgenommen, um ein »Volkskönigtum« der Habsburger zu begründen. Der listenreiche Kanzler machte ihm Hoffnungen, ohne seine Vorschläge auch nur einen Moment ernst zu nehmen.

Lassalle wurde zum Volksredner und tönte: »Die Arbeiterschaft muss unser aller Willen in einem einzigen zusammenschmieden und diesen Hammer in die Hände des Mannes legen, zu dessen Intelligenz, Charakter und guten Willen wir das nötige Zutrauen haben, damit er aufschlagen könne mit diesem Hammer.« Der Mann mit dem Hammer sollte nach Lassalles Auffassung natürlich er selbst sein. Die Menge jubelte Lassalle bei seinen Reden zu. Es läuft einem kalt den Rücken herunter, wenn man an die Tiraden eines anderen Volkstribuns denkt, der siebzig Jahre später Ähnliches herausbrüllte. Die Bewunderung für Lassalle grenzte an Massenhysterie, er konnte sich fast alles leisten, sogar solche Sprüche wie diesen: »Ich ehre den Schweiß der Arbeiter, aber ich rieche ihn nicht gern.« Am 22. Mai 1864 hielt der »Erlöser« Lassalle in Ronsdorf bei Wuppertal vor zweitausend Zuhörern seine berühmte letzte Rede und schrieb darüber an die Gräfin: »Ich hatte beständig den Eindruck, so muss es bei der Stiftung einer neuen Religion ausgesehen haben.« Danach fuhr der Egomane erschöpft in den Schweizer Urlaub in die Rigi.

Ende Juli 1864 saß der einsame Cäsar entweder bei strömendem Regen oder aber dichtem Nebel in Rigi-Kaltbad. Die Rigi ist eines der schönsten Bergmassive der Zentralschweiz mit Blick auf den Vierwaldstätter See und die Alpen – allerdings nur bei schönem Wetter! Lassalle war abgeschlagen, hatte die Politik satt, langweilte sich und trauerte einer Berliner Liebe nach, der schönen Minna Lilienthal. Er hatte der siebzehnjährigen Tochter eines Bankiers einen Heiratsantrag gemacht, doch Minna gab ihm einen Korb aus einem ziemlich kühlen Grunde: Sie wollte keinem bürgerlichen Ehemann, sondern nur einem Adeligen die Hand reichen. Lassalle war verletzt und sehnte sich nach der Gesellschaft der Gräfin, die in Wildbad kurte. Am 27. Juli schrieb er ihr: »Ein Bauernbursche kömmt herein und sagt, an der Terrasse hielte eine Dame, die mich zu sprechen wünsche. Ich war ganz verblüfft. Wer konnte dies sein? Ich riet – ja ich wußte gar niemand, auf den ich raten sollte! Ich nehme also Hut und Stock und eile hinunter. Da hält hoch zu Roß mit einer Engländerin und einer Amerikanerin und einem Franzosen – wer? Helene, der Goldfuchs! Sie hatte von Holthoff brieflich erfahren, daß ich auf Rigi-Kaltbad bin und sofort mit Freundinnen eine Rigipartie organisiert.«

(Fortsetzung folgt)
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Dieser Text erschien im im Januar 2017 unter dem Titel ›Die Zweite Natur‹, es ist die 26. Folge der ›Schwarzen Serie‹ von ›Schröder erzählt‹ von Schröder & Kalender. ISBN 978-3-920096-88-9

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(FL / KM / JM / BK / JS)

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