vonSchröder & Kalender 16.08.2019

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.
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Ein US-Panzer vom Typ M60A3 während des NATO-Manövers ›Reforger‹ 1985 in Hessen. Foto: STAFF SGT. Fernando Serna, Quelle: Wikipedia
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Nachdem die USA den Ausstieg aus dem INF-Vertrag verkündet hat, steht wieder ein neues atomares Wettrüsten bevor. Im Dezember 1987 hatten US-Präsident Reagan und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow den INF-Vertrag unterzeichnet. Im Jahr 1988 wurden die Pershing-II-Raketen entlang der Zonengrenze abgezogen und andere Atomwaffen eingemottet oder zerstört.
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Jörg Schröder erzählt Uwe Nettelbeck: ›Cosmic‹. Brosch., 304 Seiten, Einbandgestaltung: Jörg Schröder. März Verlag, Berlin und Schlechtenwegen 1982.
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Zur Vorgeschichte des Buches: Im November 1980 erschien ›Die Eingeweide der SPD‹ in der Monatszeitschrift ›TransAtlantik‹. Darin berichtete Jörg Schröder über die Mini-Nukes entlang der Grenze zur DDR. Nur wenige Tage später (27.10.1980) druckte die ›tageszeitung‹ die Geschichte nach mit der Headline ›Atomminendepots an der DDR-Grenze‹.

Die alten Themen sind die neuen: Gorleben, Raketenschild, und was aus den Atomminen geworden ist, die tief drinnen in den deutschen Wäldern lagerten, weiß heute kaum noch jemand. Im Jahr 1974, kurz nach dem Umzug von Frankfurt in den Vogelsberg, hörte ich zum ersten Mal von den Mini-Nukes in den »Wasserwerken«, die angeblich wegen Helmut Schmidts »Four German No‘s« gegen die flächendeckende Bereitstellung von Atomwaffen entlang der Grenze zur DDR längst hätte ausgeräumt weggeräumt sein müssen. Kann ja sein, dass der Kanzler tatsächlich daran geglaubt hat. Fest steht: Die Dinger lagen trotz des Nato-Doppelbeschlusses im Dezember 1979 immer noch in sogenannten »Wasserwerken« und wurden dann allerdings nach meiner Veröffentlichung in ›TransAtlantik‹- und in der ›tageszeitung‹ (darauf folgte im ›Stern‹ die Serie ›Atomrampe Deutschland‹) schnellstens in die großen, streng bewachten Natodepots Depots verfrachtet, wo sie vermutlich heute noch liegen.

Genaues weiß man nicht, nur dass Anfang der Achtziger in den USA ein geheimes Senatshearing stattfand, das klären sollte, welche Hinter- oder Dunkelmänner für die Veröffentlichung verantwortlich waren. Die geheime Verschwörung hieß allerdings ganz schlicht: Schröder out of Vogelsberg.

Damals wurde mir klar, dass der Rückzug aus den öffentlichen Protesten in die mollig wattierte Katastrophe und die Anbetung des biodynamisch verwurmten Rettichs wie ein raffiniertes Ablenkungsmanöver funktionierten. Es wurde nicht inszeniert von einer pynchonhaft perfiden Bewusstseinsindustrie im Auftrag des US-Imperialismus, sondern von der Doofheit der Medienmacher, die als Trittbrettfahrer mit der Öko-Hysterie reisten, und natürlich erstens, zweitens und drittens vom kollektiven Bedürfnis der Menschen nach Ruhe und Bequemlichkeit.

Hinzu kam: Die wenigen Unruhestifter verkämpften sich an der Frankfurter Startbahn West oder in Wyhl, Wackersdorf und Gorleben. Sie kaprizierten sich auf die relativ sicheren Atomkraftwerke und ließen die strategischen Atomwaffen außer Acht. Kurz, : sie Sie trieben das falsche Schwein durchs Dorf, und Helmut Schmidt konnte in aller Ruhe den Nato-Doppelbeschluß Doppelbeschluss vorbereiten, der eine Aufstellung von US-Mittelstreckenraketen in der BRD in ungeahntem Ausmaß vorsah.

Ein Schleier von Indolenz und Ignoranz hing über dem Thema, und mir wurde klar, dass sich die Wahrheit nur als Tatarennachricht verkleidet verbreiten würde. Deshalb spitzte ich die Ohren, als ein Freund raunte: »Hör mal, Gaston Salvatore und Hans Magnus Enzensberger planen eine tolle Zeitschrift, ist aber alles noch geheim. Klar ist nur, dass sie nach Art des ›New Yorker‹ gemacht werden soll. Und Gaston und Enzensberger möchten in der ersten Nummer von dir eine ausführliche Reportage über die Land-SPD haben.« Da wusste ich, wo ich meine Informationen über die »Wasserwerke«, die ja in Wirklichkeit Atomminendepots entlang der Zonengrenze waren, einflechten würde. Das konnte die richtige Geschichte zur richtigen Zeit im richtigen Organ werden. »Ja«, sagte ich, »mache ich. Gaston soll sich melden.« Das tat er. ›Die Eingeweide der SPD‹ erschienen im November 1980. Meine subversive Aktion lief wie am Schnürchen ab, und zwar so erfolgreich und präzise, wie es nur selten bei einem Plan gelingt. Mit meiner Veröffentlichung in ›TransAtlantik‹ hatte ich ein streng gehütetes Geheimnis der NATO-Militärstrategie gelüftet.

Mit ihren bunten VW-Bullis machten sich die Friedensfreundinnen und -freunde auf in die Grenzwälder und kartierten den Wahnsinn. Allein im Fulda-Gap gab es im so genannten »Paket Zebra« 141 Atomminen und Geschosse mit 0,1 bis 10 Kilotonnen Sprengkraft. Wie das endete ist bekannt: Im Oktober 1981 versammelten sich rund dreihunderttausend Menschen im Bonner Hofgarten und forderten in einer friedlichen Demonstration die atomare Abrüstung. Und die Grünen zogen in die Landtage ein.

Im Juli 1981kam Uwe Nettelbeck zu Besuch in den Vogelsberg. Jörg Schröder erzählte ihm seine Erlebnisse mit den grünen Friedensaktivisten. Es gab noch zwei weitere Erzählsessions im August und November 1981. ›Cosmic‹ erschien ein Jahr später. Zuerst wurde der Text in der ›Republik‹ von Petra und Uwe Nettelbeck veröffentlicht und kurz darauf im März Verlag.

Im Berliner Stadtmagazin Tip besprach Jörg Fauser das Buch unter dem Pseudonym Jockel Butzbach: »Cosmic sollte von allen gelesen werden, die hier überhaupt den Mund aufmachen, in Stadt und Land. Denn wer sich in diesen Auslassungen nicht erkennt, dem gehört die Schreibmaschine verseucht, der Bockschein entzogen.«
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(UN / BK / JS)

 

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2019/08/16/zur-neuen-atomaren-aufruestung-in-europa/

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