vonSchröder & Kalender 25.07.2020

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.
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Am 10. Juli 2020 nahmen wir Abschied von Jörg Schröder in der Feierhalle des Krematoriums Berlin-Baumschulenweg. Martin Hochrein gab uns die Erlaubnis, seine Rede hier zu veröffentlichen, dafür danke ich ihm.

 

Martin Hochrein. Foto: Matthias Reichelt

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Liebe Barbara, liebe Trauernde,

Ende 2018, also vor gerade Mal ein paar Monaten, hat Siegfried Lokatis, Professor der Leipziger Buchwissenschaft, mich gefragt, ob ich nicht eine Ausstellung über den MÄRZ Verlag kuratieren möchte. Über das Angebot musste ich nicht lange nachdenken, und schon kurz darauf habe ich Barbara und Jörg in ihrer Berliner Wohnung kennengelernt. Was sich seitdem in dieser kurzen Zeit entwickelt hat, lässt staunen und wäre ohne die Vorarbeit und Leidenschaft der beiden nicht möglich gewesen:
• Zusammen mit Thomas Fuchs, dem Team der Universitätsbibliothek und einem buchwissenschaftlichen Seminar haben wir eine Ausstellung in der Leipziger Bibliotheca Albertina auf die Beine gestellt, die das Schaffen des Büchermenschen Jörg Schröder von Melzer über MÄRZ bis „Schröder erzählt“ beleuchtet – inklusive Ausstellungskatalog und einem Begleitprogramm, das Barbara und Jörg gleich zweimal nach Leipzig lockte.

• In der Vorbereitung auf die Ausstellung haben Thomas Fuchs und ich die beiden mehrfach in Berlin besucht. Und nicht nur vor Ort, auch in zahlreichen Mails und Telefonaten, wurde der Kontakt zu Barbara und Jörg zu einer angenehmen Konstanten.
• Und schließlich neigt sich gerade ein weiteres Semester dem Ende entgegen, in dem erneut der MÄRZ Verlag im Zentrum steht – diesmal mit einem Blick auf die Digitalisierung, wofür das Publikationskonzept zu „Schröder erzählt“ ein wunderbares Beispiel liefert.

Die Treffen mit Barbara und Jörg werden mir in bester Erinnerung bleiben. Selten habe ich erlebt, dass man im Auftrag der Wissenschaft an eine Tür klopft, und nur wenige Momente später durch einen so ausgesprochen warmen, herzlichen und ungezwungenen Empfang eine Atmosphäre entsteht, die sich nicht mehr sonderlich „dienstlich“ anfühlt. Wir haben stets versucht, das „Wichtige“ direkt am Vormittag zu erledigen, sodass nach den Pausen für das fantastische Mittagessen auch Zeit für Gespräche abseits der Verlagsgeschichte blieb.

Als ich erzählte, dass ich vor meinem Studium eine Ausbildung zum Mediengestalter durchlaufen habe und dabei von einem „alten Bleisetzer“ geschult wurde, hatten wir spätestens ein wiederkehrendes Thema gefunden. Mit einem Blick in die Zukunft fragte Jörg mich einmal: „So Schriftsetzer, und wo führt dich diese Mischung aus Gestaltung und Studium hin?“ Als ich im Laufe meiner Antwort auch das Wort Verlag erwähnte, unterbrach mich Jörg sofort: „In einem Verlag arbeiten … Bist du bekloppt!?“ Mit einem Kaffee in der Hand saß ich auf der berühmten Couch und blickte wohl ziemlich verdutzt drein, als mir einer der Verlegerpersönlichkeiten auseinander nahm, warum die Arbeit in einem Verlag meine wirklich allerletzte Option sein sollte. Ich weiß nicht, welchen Ausdruck mein Gesicht bis dahin angenommen hatte, aber nach einer Weile legte Jörg eine Kunstpause ein, schaute mich an, grinste und fügte hinzu: „Ich darf das alles sagen … Auf mich wirst du ja schon nicht hören!“

Das Ideal einer „wissenschaftlichen Distanz“ wurde durch diese Tage in Berlin nachhaltig zerstört, aber gerade deswegen sind es die ersten Bilder, die ich im Kopf habe, wenn ich Studierende am Beginn ihres Studiums auffordere, sich der aufwändigen Methode des Interviews nicht zu verschließen. Im Rahmen meiner MÄRZ-Recherche waren die Gespräche mit Jörg und Barbara ohne Frage das Highlight. Und wahrscheinlich lag es auch an Jörgs erzählerischem Talent, dass jenseits der reinen Fakten und Zusammenhänge dabei eine neue Ebene entsteht, die Vergangenes vorstellbar macht.

Was ich Jörg außerdem verdanke, und auch in Zukunft beibehalten möchte, ist die Möglichkeit, Studierende mit den gelben MÄRZ-Büchern und seinem Lebenswerk bekannt zu machen. Die Seminare besuchen 20-Jährige, die also in etwa geboren wurden, als die weiße Serie von „Schröder erzählt“ ein Ende gefunden hatte, die bei der Arbeit im Archiv teilweise schon schmunzeln, wenn sie vierstellige Postleitzahlen finden oder Preise, die noch in D-Mark ausgezeichnet sind. Sie wachsen mit einem Medienangebot auf, bei dem das Buch keine bestimmende Rolle mehr einnimmt und wenn sie zum ersten Mal vor der gelben Wand aus MÄRZ-Büchern stehen, bieten sich noch wenige Assoziationen. Doch Namen wie Ken Kesey und Leonard Cohen, die immer noch virulenten Themen der 68er-Bewegung, Comic-Bände und Underground-Literatur sowie Bücher zur sexuellen Aufklärung lassen schnell eine Faszination für das bisher Unbekannte aufkommen. Wirklich einfach wird es für den Dozenten, wenn er zum Einstieg den Dokumentarspielfilm „Die März Akte“ zeigen kann. Einen unterhaltsameren Teaser kann es für ein buchwissenschaftliches Seminar gar nicht geben.

Für mich entsteht damit die perfekte Verbindung, um junge Menschen für das Buch zu begeistern, Wissen um das Verlagswesen zu vermitteln und einen kleinen Beitrag zum Fortführen und Erstarken des MÄRZ-Mythos zu leisten.

Ich hoffe, ein paar der Studierenden finden das Interesse und den Mut, das Gespräch mit den Akteuren der Buchbranche zu suchen. Ich hoffe, manche davon werden nur annähernd so herzlich aufgenommen, wie Barbara und Jörg dies getan haben. Ich hoffe, sie hören dabei Geschichten, die einigermaßen an die Anekdoten herankommen, die Jörg zum Besten geben konnte. Doch vielleicht sind das naive Wünsche, denn so passionierten und genialen Büchermenschen wie Jörg Schröder, begegnet man nicht jeden Tag.

Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich Jörg auf diese Weise kennenlernen durfte. Mir wird es fehlen, mich von seinen Anekdoten überraschen zu lassen oder gemeinsam mit ihm durch Design-Zeitschriften und Schriftkataloge zu blättern. Ich weiß, dass er der Buchbranche und Literaturszene fehlen wird. Und ich weiß, dass er vor allem und mit unvorstellbar größerer Wucht dir, liebe Barbara, fehlen wird. Ich wünsche dir viel Kraft und uns allen unvergessliche Erinnerungen an einen genialen Büchermacher und einen wundervollen Menschen.

Danke.

Martin Hochrein im Juli 2020
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Martin Hochrein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Leipziger Buchwissenschaft am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. In besagtem Ausstellungskatalog ist sein Text »Ein Fisch im Wasser der Underground-Szene – Die März Verlage« zu lesen.

 

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MH / BK

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