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Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.
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Am 10. Juli 2020 nahmen wir Abschied von Jörg Schröder in der Feierhalle des Krematoriums Berlin-Baumschulenweg.
Christian Y. Schmidt gab uns die Erlaubnis, seine Rede hier zu veröffentlichen, dafür danke ich ihm.
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Das ist meine erste Rede auf so einer Feier überhaupt. Ich hätte mich gerne gedrückt, auch weil ich um die Tücken solcher Reden weiß. Ich habe mir nämlich schon mal einen Beerdigungsredner ausgedacht, für eine Beerdigung, mit dem mein Roman „Der letzte Huelsenbeck“ beginnt. Die ging entsetzlich schief, und endete in einer Schlägerei. Ich kann mir vorstellen, dass so eine Ende dieser Feier Jörg Schröder goutieren würde. Ich hoffe aber trotzdem, dass meine kleine Rede nicht so eine Reaktion provozieren wird.
Den ersten Kontakt mit Jörg Schröder hatte ich irgendwann im Jahr 1985. Ich hatte für unsere Zeitung, das legendäre DRECK-Magazin, drei Bücher zur Rezension bekommen und – obwohl ich nur eins von ihnen gelesen hatte – alle drei in DRECK besprochen. Das gab ich in der Sammelrezension auch offen zu und sprach obendrein am Ende Jörg Schröder persönlich an: „Na, wie habe ich das gemacht? Glaubt hier einer, daß wir jemals wieder teure Rezensionsexemplare vom MÄRZ-Verlag bekommen werden? Was? Sie, Herr Schröder? Ihnen gefällt’s? Dann ists ja gut.“
Ich hatte natürlich nicht damit gerechnet, dass es auf diese Unverschämtheit eine Antwort geben würde. Schliesslich hatte ich mich hier mit Jörg Schröder angelegt, dem Mann, der Ernst Herhaus „Siegfried“ diktiert hatte. Das Buch wurde von uns in Zeiten der Adoleszenz kultisch verehrt, und Jörg Schröder, der mit dem Helden des Buches identisch war, war für uns so was wie ein ultracooler Halbgott. Um so größer war die Überraschung, als Schröder mir tatsächlich antwortete. Die Postkarte – dem Himmel sei’s geklagt – ist nicht mehr aufzufinden. Ich meine mich aber zu erinnern, dass Schröder die „Rezension“ durchaus gefallen hatte. Nur möge ich, so ergänzte er, doch das nächste Mal die zur Rezension geschickten Bücher auch wirklich lesen.
Der nächste Kontakt fand viele Jahre später statt, und auch dieses Mal spielte eine Postkarte eine Rolle. Als meine Frau und ich im März 2003 in Singapur geheiratet hatten, liessen wir – der chinesischen Tradition gemäß – ein Hochzeitsfoto von uns anfertigen. Die Fotografen waren zwei taubstumme Brüder, die uns dazu in historischer Kulisse in altchinesische Gewänder steckten. Von dem Foto wurde sodann eine Postkarte hergestellt, von der ich behauptete, dass sie die frisch gebackene Kaiserin von China zeigen würde, zusammen mit ihrem Mann. Diese Karte verschickten meine Frau und ich in alle Welt, und aus irgendeinem Grund auch an Barbara Kalender und Jörg Schröder.
Auch dieses Mal kam eine Antwort, von der ich nicht mehr weiß, wie sie genau ausfiel. Auf jeden Fall landete die Hochzeitskarte zusammen mit dem MÄRZ-Verlags-Vorlass in Marbacher Literaturarchiv, weshalb Schröder und Kalender – es war immer diese Reihenfolge – eine neue Karte brauchten. Die schickte ich Anfang 2007, und prompt kam per Mail die Antwort, dass diese nunmehr auf dem Sims des Kamins in der Schöneberger Wohnung stünde. Von nun an riss auch die Korrespondenz zwischen Schröder/Kalender und mir nicht mehr ab.
Ein paar Jahre später begann ich dann die Jour fixes der Märzgesellschaft zu besuchen, wenn ich in Deutschland war, und die immer am ersten Samstag im Monat stattfanden. Hier trug in der Regel einer aus dem weitgestreuten Freundeskreis der beiden März-Verleger etwas zu einem Thema vor, von dem er etwas verstand. Dazu gab es fast immer dreierlei Kuchen und man reichte Getränke. „Lässt sich eine herrlichere Gesellschaft vorstellen“, sagte beim letzten Jour fixe Gerhard Henschel zu mir, woraufhin ich nur mit dem Kopf schütteln konnte. Nein, einen angenehmeren, aufgeschlosseneren Kreis findet man so schnell nicht wieder.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich Jörg Schröder noch persönlich kennenlernen durfte. Er und Barbara waren mir immer ein Beispiel dafür, dass man ein besseres Leben führt, wenn man sich nicht in den Kulturbetrieb begibt und hier sein Mäntelchen nach dem öden, immer in dieselbe blödsinnige Richtung blasenden Wind hängt, sondern unabhängig bleibt und sich zur Not auch mit jedem noch so gewaltig scheinenden Popanz anlegt. Ich glaube, man braucht solche Menschen, die einem so ein Leben vorleben, gerade in den Stunden, in denen einem alles schwer wird und nichts zu gelingen scheint. Das Einzige, was ich bereue, ist die Tatsache, dass Jörg und ich erst so spät zusammenkommen sind. Eigentlich hätte ich ja schon 1985 mal vorbeikucken können, damals noch im Vogelsberg.
So weit meine Erinnerungen. Aber jetzt zum Schluss aller Reden will ich doch noch einmal Jörg Schröder selbst zu Wort kommen lassen. Ich wette, Jörg hätte mich schon öfter hier unterbrochen, wenn er nicht blöderweise in diesem Sarg da neben mir liegen würde. Deshalb soll hier Jörg durch meinen Mund noch einmal etwas Persönliches sagen, ein Wort des Trostes angesichts seines Todes. Denn Jörg Schröder, der Tausendsassa, hat in seinem Leben nichts ausgelassen und ist gleich mehrmals gestorben. Das erste Mal ist schon fast sechzig Jahre her, und damals war, wenn wir Jörg Schröder glauben dürfen, tot sein gar nicht so schlecht. Ich zitiere aus „Siegfried“, Jörg Schröders altem Testament:
„Plötzlich Licht, Bremsen, ein Gedonner, dann ein merkwürdig retardierendes Moment. Ich fiel langsam nach vorn und mein Gedanke war: ‚So – jetzt biste tot‘. Und hinterher ist mir noch eingefallen: ‚So schlimm ist das doch gar nicht‘. Vorher hatte ich oft Höllenangst gehabt, Angsteinbildungen vor dem Tod. Das war in diesem Moment weg und ist auch später nie mehr in dieser Form zurückgekommen. Als ich nach vorn herüberfiel, war diese Angst vor der Todesangst weg. Ich kam wieder zu mir, und mir ging ein Fremdwort durch den Kopf: ‚Euphorie‘. Dann dachte ich: ‚Das hier ist Euphorie‘. Ich saß auf der Straße, merkte nichts von meiner Verletzung und dachte: ‚So – das ist also Euphorie‘.“ (1)
Ich denke, dass sich Jörg Schröder auch dieses Mal beim Totsein ganz hervorragend fühlt, auch wenn es vielleicht ein bisschen länger dauern könnte. Das sollten wir immer im Kopf behalten, wenn wir hier heute um Jörg Schröder trauern.
Christian Y. Schmidt am 10. Juli 2020
(1) Jörg Schröder / Ernst Herhaus: Siegfried – S. 193 f. Neuausgabe im Schöffling Verlag mit einem umfangreichen Anhang mit zahlreichen Abbildungen und Faksimiles.
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Christian Y. Schmidt war Redakteur der »Titanic«. Er arbeitet u.a. für FAZ, SZ, taz, Stern, konkret, NZZ, die Zeit und für verschiedene Fernsehredaktionen. Schmidt ist Senior Consultant der »Zentralen Intelligenz Agentur« und war Gesellschafter und Redakteur des Weblogs »Riesenmaschine«. 1998 erschien seine kritische Joschka Fischer-Biografie »Wir sind die Wahnsinnigen«. 2003 zog er nach Singapur, 2005 nach China, danach erschiene »Allein unter 1,3 Milliarden«, »Bliefe von dlüben« und sein Romandebüt »Der letzte Huelsenbeck«, zuletzt »Der kleine Herr Tod«. Christian Y. Schmidt lebt in Berlin und Peking.
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CYS / BK
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