vonSchröder & Kalender 17.09.2020

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in südlicher Richtung.
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Hinein ins blühende Menschenleben! Auf dem Flohmarkt können wir immer ganz besondere Exemplare studieren. Dort kaufen wir hochwertige Klamotten und Handtaschen, die einfach wegmussten, weil die ehemaligen Besitzerinnen oder Besitzer schon wieder etwas Neues angeschafft hatten. Heute werden diese gebrauchten Sachen unter dem schickeren Begriff »Vintage« geführt, aber auch als es noch »Second Hand« hieß, haben wir solche Klamotten schon erworben. Der Grund ist schlicht: Wir lieben schöne Kleidung, haben aber nicht genügend schönes Geld, um uns zum Beispiel einen elfenbeingelben Kaschmirmantel von Jil Sander leisten zu können, der neu 2.800 Eulen kostet. Wie kommt Barbara an so ein teures Stück? Kurz nach der Berliner Modewoche lag er auf einem Flohmarkttisch für drei Euro, allerdings hatte jemand die Knöpfe abgeschnitten, fein säuberlich und ohne Löcher zu machen – offenbar aus Hochachtung vor der Marke. Barbara kaufte ihn und fand in ihrer Knopfsammlung sechs Stück. Sie passen auf den gelben Mantel viel besser, als die einfachen Hornknöpfe wie sie Jil Sander meistens auswählt. Wahrscheinlich wären diese ihr eine Idee zu auffällig, denn sie sind gelb mit zarter blauer Textur. Wir finden, dass unsere Knöpfe auf dem Mantel so aussehen, als ob es dafür keine besseren gäbe. Ihren neuen Kaschmirmantel trägt Barbara besonders gern, auch weil sie die neidischen Blicke anderer Frauen genießt. Man zehrt eben als Kenner von der Unkenntnis anderer Leute. Nein, das ist nicht gemein, sondern ein lässliches Marktgesetz.

 

Berliner Flohmarkt, Foto: Barbara Kalender

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Wir besuchen oft Flohmärkte, kennen einige Händler und geben ihnen Spitznamen, so nennen wir einen »den Libanesen«. Er macht Wohnungsauflösungen, deshalb stehen immer Grabbelkisten am Kopfende seines Standes und einige auf dem Boden davor. Darin ist viel Mist, doch manchmal findet man einen vergoldeten Korkenzieher von WMF, eines dieser Bestechungspräsente für das mittlere Management der siebziger Jahre. Den habe ich natürlich für zwei Euro gekauft. In diesen Kisten gibt es eben auch schöne Porzellan- oder Glasvasen für unsere Sammlung. Obwohl ›Sammlung‹ übertrieben ist. Wir sammeln nicht, sondern kaufen Exemplare, die uns gefallen. Und wenn sie dann noch einen interessanten Stempel tragen, freuen wir uns. Hin und wieder gibt es sogar in den Bananenkisten Vasen hochrangiger Marken wie KPM, Delfter Blau oder andere relativ unbekannte Manufakturen. Der Libanese kann eben nicht alles hochwertige Porzellan auf seinem teuren Tisch verkaufen, daher legt er dann einige Stücke als Köder zum Schurrmurr in die Kisten. Und solche Sachen suchen wir, sie kosten nur zwei oder drei Euro. Maximal zahlen wir fünf Euro und das nur, wenn etwas besonders schön ist. Zum Beispiel eine wunderbare dunkelorangefarbene Art-déco-Dose, sie stammt aus der Schlegelmilch-Porzellanmanufaktur in Suhl im Thüringer Wald.

Schlegelmilch-Porzellan, Foto: Barbara Kalender

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Nach dem Kauf suchen wir im Netz nach Informationen zur jeweiligen Porzellanfabrik und lesen die Firmengeschichte. Da geht es dann um Erfolge oder Misserfolge, um die Enteignung jüdischer Fabrikanten durch die Nazis oder um die Überführung des Betriebes ins volkseigene Vermögen der DDR. Manchmal erfahren wir auch von Neuanfängen nach der Vereinigung beider Republiken. Wir haben keinen Ehrgeiz, uns zu Porzellanspezialisten auszubilden, es macht einfach Spaß, Schönes oder Skurriles zu entdecken, auch ohne diese verdammte süchtige Sammelleidenschaft. Uns reicht es schon, Geschichten über Menschen zu sammeln, damit haben wir genug zu tun.

Seit 15 Jahren kennt uns der Libanese, damals kosteten noch alle Sachen aus den Kisten zwei Euro. Inzwischen hat er, wegen der vielen Touristen, die neuerdings auf die Flohmärkte rennen, die Preise hochgedreht. Er fängt jetzt bei fünf Euro für die Touristen an und wollte von uns plötzlich fünf Euro für eine Vase mit Fehlstempel. Diese werden für den Handel ausgesondert und als zweite Wahl an Mitarbeiter verkauft, weil bei denen die Porzellanmarke leicht verwischt ist. Bei einer großen Vase im Blau-Weiß-Stil, die gewöhnlich als »Mingvase« bezeichnet wird und die europäische Vorstellung von chinesischer Porzellankunst prägte, war die Porzellanmarke ebenfalls leicht verwischt. Wir kauften sie trotzdem für drei Euro.

Nun, neulich waren wir mit dem Kaschmirmantel und der Tweed-Jacke auf dem Flohmarkt und gingen natürlich zum Libanesen. Da stand sein Sohn hinterm Tisch, weil der Vater Pause machte. Wir begrüßten ihn und inspizierten wie immer die vier Kisten, schichteten vorsichtig alles um und fanden zwei große Kuchenplatten aus Porzellan, beide mit Blumendekor. Eine davon gefiel uns, die wollten wir haben. Ich sagte zum Libanesen-Sohn: »Drei Euro.« Und er: »Nein, fünf.« Es ging hin und her. Ich griff in die Hosentasche, holte vier Euro heraus und hielt sie ihm hin. Er blieb hart und sagt glatt: »Ich möchte fünf Euro, denn Sie sehen so wohlhabend aus.« Es ist eben ein Fehler, schnieke auf einen Flohmarkt zu gehen! Natürlich legten wir die Kuchenplatte zurück, sonst verdirbt man die Preise. Und wenn wir schon im Wohnungsbereich nichts gegen Mondpreise tun können, wehren wir uns wenigstens auf dem Flohmarkt.

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Diese Geschichte erschien in ›Schröder erzählt: Grundlos zufrieden‹ im März Desktop Verlag. Jörg Schröder und Barbara Kalender erzählten, die Transkription der Tonaufnahmen wurde von beiden Autoren redigiert.

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BK / JS

 

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