vonSchröder & Kalender 21.12.2020

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Es ist dunkel, ich sehe nicht, wie der Bär flattert.
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Am Ende dieses wahnwitzigen Jahres, nach all den Anstrengungen würde ich gern dem grauen Himmel entfliehen und zum Beispiel einen Badeurlaub in Agadir buchen. Doch das Auswärtige Amt rät davon ab: »Aufgrund der COVID-19-Pandemie wird vor nicht notwendigen, touristischen Reisen in eine Vielzahl an Ländern derzeit gewarnt.« Also bleibt mir nur, mich an eine Reise zu erinnern.

Diese Geschichte erschien zuerst in ›Schröder erzählt‹: »Laß uns nach Marokko fahren«, sagte ich zu Barbara, »dort kann man auch an Weihnachten baden.« Deshalb buchten wir acht Tage Agadir, anschließend eine Woche in Marrakesch mit Silvesterfeier.

In Agadir checkten wir im Hotel ein, das Zimmer hatte zwei hintereinanderstehende Betten. Nach einigem Hin und Her bekamen wir ein anderes mit einem französischen Bett. Es stellte sich bald heraus, daß der Trakt, in dem wir wohnten, in der Vorsaison nicht beheizt wurde. Also Grabeskälte im Zimmer, und auch draußen konnten wir unsere Wintermäntel, mit denen wir zum Frankfurter Flughafen gefahren waren, gut gebrauchen. Schon etwas irre, ein Luxusbunker mit teilweise unbeheizten Räumen. Zum Aufwärmen entdeckten wir die Hotelsauna und besuchten sie täglich, anschließend ging’s zum Abkühlen in den ungeheizten Swimmingpool. Prompt nannten uns die Marokkaner, weil wir mit der Kälte so gut zu Rande kämen, »Eisbären«. Egal, das Schwitzen tat uns gut, aber, wie sich bald zeigte, so richtig doch nicht. Denn das Ausschwemmen der Mineralien bei den Saunagängen verband sich mit dem Hotelfraß – dummerweise hatten wir Halbpension gebucht – zu einem Symptomgeflecht. Gleich am ersten Tag gab es Kuskus, der Weizengrieß quoll erst im Magen so richtig auf. Wir furzten gottserbärmlich. Auch am nächsten Tag taten die maghrebinischen Köche alles, um uns zu verstopfen. Nach drei Tagen hatten wir ernsthafte Magenprobleme, wirklich furchtbare Blähungen wie es in dem alten Abzählreim heißt: »Es war einmal ein Mann, der hieß Pupan / Pupan hieß er, drei Fürz’ ließ er / einen auf den Tisch, der war frisch / einen auf die Bank, der war krank / einen auf die Kommod’, der war tot …«

Von ähnlicher Art waren unsere Fürze in Agadir, als hätte man einen toten Vogel in der Tasche. Es ging uns aber nicht alleine so! Ein schwedisches Pärchen war mit uns angekommen, beide dünne, lange Lulatsche. Nach wenigen Tagen sah die Frau aus – so schnell kann man ja nicht hochschwanger werden –, als ob sie einen Medizinball verschluckt hätte. Sie trug, trotz der frischen Witterung, Hotpants und ein bauchfreies T-Shirt. Unter seinem geringelten Hemd blähte sich ebenfalls eine Plauze. Die waren genauso aufgeblasen wie wir. Wir beobachteten sie, während sich ihre Gruppe zu einer Busexkursion vor dem Hotel versammelte. Ach, alle hatten diese Bäuche unter den Hawaiihemden.

Was sollten wir noch in Agadir? Die Stadt besteht ja seit dem großen Erdbeben nur aus Beton, und zum Baden war es in diesem Jahr zu kalt. Also beschlossen wir: »Machen wir das Beste draus und fahren in die Berge.« Mit einem geliehenen R 4, dessen Heizung nicht funktionierte, ging es in aller Frühe los. Nach einer Stunde tauchte die Silhouette des Anti-Atlas auf, die Straße wurde schmaler und steiniger, und kurz vor dem Talkessel von Ait Baha lag einsam ein kleines weißes Haus mit Flachdach am Hang, über der Tür stand mit grüner Farbe ungelenk gepinselt: ›Café du Moulin‹. Dort hielten wir, wollten uns aufwärmen und einen heißen Pfefferminztee trinken.

Wir betraten den dunklen Gastraum, setzten uns an einen der drei kleinen Tische mit Stühlen aus rohem Holz, der Wirt begrüßte uns freundlich. An der Wand hinter der kleinen Theke prangten auf einem Brett die Schätze des Lokals: ein etwa fünfzehn Zentimeter hoher Eiffelturm aus Zinkspritzguß sowie eine leere Dimple-Whisky-Flasche und eine zellophanüberzogene Packung mit sechs Madeleines. Der Wirt stellte sich als Hadj Mohamed Ben Lancer vor, erzählte sogleich, daß er in der französischen Armee gedient habe, und bot uns zum Pfefferminztee die Madeleines vom Regal an. Sie waren mindestens ein Jahr alt und zerfielen beim Anbeißen zu Krümeln, aber dank der trockenen Gebirgsluft waren sie nicht verschimmelt. Ich glaube, wir hätten sie selbst dann gegessen, wie es die Gesetze der Gastfreundschaft befehlen. Bald drängte sich eine Traube von Kindern um unseren Tisch, die gierig auf das Gebäck starrten. Barbara wollte ihnen daraufhin etwas davon geben, aber Mohamed guckte entsetzt, wir sollten nicht an die Kinder vergeuden, was er sich aus dem Herzen gerissen hatte. Also mußten wir die Krümel ratzeputz mit Tee herunterspülen.

Dann stand ich auf und ging zur Toilette, währenddessen erhielt Barbara die Lektion, daß es für eine Frau nicht ratsam ist, allein durchs wilde Anti-Atlas-Gebirge zu reisen.

(Fortsetzung folgt)
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Diese Geschichte erschien in ›Schröder erzählt: Pingpong‹ im März Desktop Verlag. Jörg Schröder und Barbara Kalender erzählten, die Transkription der Tonaufnahmen wurde von beiden Autoren redigiert.
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(BK / JS)

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