vonSchröder & Kalender 30.12.2020

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Es ist dunkel, ich sehe nicht, wie der Bär flattert.
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Diese Geschichte erschien zuerst in ›Schröder erzählt‹: Aus dem kühlen Süden fuhren wir nach Marrakesch und bezogen das ›Palais El Badia‹, das fünf Sterne hat wie das ›Mamounia‹, jedoch nicht so mondän ist. Angenehm, die Sonne schien, der Pool war geheizt, wir konnten uns endlich mal im Liegestuhl ausruhen. Etwas anstrengend war der Aufenthalt trotzdem, weil der König über Silvester in der Stadt weilte. Da drehten die Marokkaner immer durch, wenn Hassan II. eine seiner Städte besuchte. Unser Hotel war mit zahlreichen Hofbeamten und Regierungsmitgliedern belegt, entsprechend viele Männer mit einseitig ausgebeulten Jacketts geisterten durch die Gänge. So etwas ist der Entspannung nicht sehr zuträglich. Aber wie es sich eben so mischt, es lagen auch viele Franzosen am Pool, das neutralisierte die Arroganz des Hofstaates.

Foto: Djemaa al Fna, CC BY-SA 3.0

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Wir wanderten auch durch die Souks und über den Djemaa el Fna, wie es das Touristengesetz befiehlt, wir gingen ins ›Dar es Salam‹, ein Folklorelokal im Stil von ›Tausendundeiner Nacht‹ in einem ehemaligen Palast in der Medina. Dort aßen wir mit Täubchenleber gefüllte Pastillas, anschließend am Spieß gebratenen, knusprigen Hammel, tranken einen recht guten marokkanischen Cabernet dazu, freuten uns zwei Stunden am Essen und an den Bauchtänzerinnen. Das kostete inklusive Bakschisch für Kellner und Tänzerinnen gerade mal zweihundertfünfzig Dirham, also hundert Mark. Dagegen berappten wir für ein Menü im ›Najma‹, dem Restaurant des ›Mamounia‹ – was nicht berauschend war –, achthundert Dirham, also dreihundertzwanzig Mark. So priesen wir uns glücklich, daß es mit dem Wohnen in diesem Luxushotel – das seinem Ruf nicht gerecht wird – nichts geworden war.

Dafür nahte nun das bombastische Silvestermenü im Hotel. Es war ganz ordentlich, glaube ich, obwohl wir fast nichts davon mitbekamen, und das hatte seinen Grund. Im Restaurant waren gute Plätze für uns reserviert. Barbara und ich saßen am Kopfende einer der langen, festlich gedeckten Tafeln, der Tisch war hauptsächlich mit Franzosen besetzt, die kümmerten sich nicht weiter um uns, man tauschte halt die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus. Aber zwei Stühle neben uns waren noch frei.


Foto vom Silvesterabend, Barbara Kalender und Jörg Schröder, (c) Privat
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Die erste Folkloregruppe mit ihren Tars, Bendirs und Raitas, in weißen Turbanen und Dschellabas, den Krummdolch umgegürtet, schlängelte sich in den Saal, da erschien ein seltsames Pärchen in der Tür. Was heißt seltsames Pärchen? Über den Mann ist nichts weiter zu sagen, als daß er einen blauen Anzug trug. Die Frau hingegen trippelte – nein, trampelte und stolperte auf hohen Japankorkeln, also extremen Plateauschuhen, einher. Sie war aber keine Japanerin, sondern hatte flusiges aschblondes Haar. Und diese Europäerin trug einen perfekten Kimono mit allem Tod und Teufel, dem breiten Obi-Gürtel, hatte sich allerdings nicht als Geisha geschminkt, sondern ihr rundes blasses Gesicht mit normalem Make-up behandelt. Während dieses Paar sich nun einen Weg durch die Tischreihen suchte, prusteten die anderen Gäste verstohlen über den seltsamen Aufzug der Frau, und wir prusteten mit: »Höhöhö!«

Wir ahnten noch nichts Böses, doch da steuerte unter dem Klang von Tamburinen, Trommeln und Klarinetten diese Schießbudenfigur auf uns zu und setzte sich mit ihrem Begleiter neben uns auf die freien Stühle. Sie stellten sich als Herr und Frau Posemuckel vor, erklärten unverzüglich und ungefragt, sie kämen gerade aus Japan, und Elke habe sich dort einen traditionellen Kimono anmessen lassen. Auch wurde sogleich erwähnt, daß man vorher auf den Philippinen war, dann in Bangkok, nach Marokko wollten sie in die Karabik. Also die beiden reisten umher, schienen offenbar überhaupt nicht arbeiten zu müssen, hatten vielleicht im Lotto gewonnen, auf Systemschein mit drei Hauptgewinnen. Egal, wir wollten uns den Silvesterabend nicht verderben lassen, deshalb unterhielten wir uns mit Elke und Horst höflichkeitshalber. Außerdem war es ja eine tolle Komödie – um so etwas zu erleben, mußt du sonst ins Kino gehen.

Gerade vollführten Berbermädchen ihre rhythmischen Schreitänze, und während sie in die Freudentriller ausbrachen, erzählte Elke lüstern kichernd, daß sie in einem Laden in der Medina gewesen seien, der ›Zu den hunderttausend Gewürzen‹ heiße, und dort ein teures Pulver gekauft hätten: »Ein Aphrodisiakum, das könnte wir doch mal ausprobieren.« »Um Gottes willen!« sagte ich lachend zu der Frau, »wahrscheinlich Spanische Fliege, da müssen Sie sich vorsehen. Mittelalter und Rokoko sind voll mit Geschichten über das Zeug, und Casanova ist fast daran gestorben. Das ist noch nicht mal ein Aphrodisiakum, sondern nur giftig, und diesen Händlern ist es doch egal, wenn Sie daran sterben.« Barbara echote: »Die besten Kräuter in dem Laden sind die, die weder schaden noch helfen.«

So redeten wir dahin, nichts Arges ahnend. Allerdings war damit das Thema auf dem Tisch, nun konnten wir uns vor Anspielungen und Eindeutigkeiten des aufdringlichen Duos kaum noch retten. Es war leider erst elf Uhr, das Dessert wurde gerade verspeist, und während die Tänzerinnen die Bäuche kreisen ließen, probte der Mann im blauen Anzug auf Barbara ein, als sei es schon ausgemachte Sache, daß man nach dem Essen gemeinsam verschwinde, und die Kimonoschreckschraube versuchte dasselbe bei mir.

(Fortsetzung folgt)

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Diese Geschichte erschien in ›Schröder erzählt: Pingpong‹ im März Desktop Verlag. Jörg Schröder und Barbara Kalender erzählten, die Transkription der Tonaufnahmen wurde von beiden Autoren redigiert.
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(BK / JS)

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