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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.
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Gestern gaben die Kulturstaatsministerin Monika Grütters und der Bezirksbürgermeister Oliver Igel das Startzeichen für die denkmalgerechte Sanierung des Strandbades Müggelsee. Die Bauarbeiten sollen in drei Jahren abgeschlossen sein. »Es freut mich, dass es gelungen ist, die Bauarbeiten so zu planen, dass der Strandbadbetrieb aufrecht erhalten bleiben kann. Die Badestelle ist mit seinem kostenlosen Eintritt auch eine wichtige sozialpolitische Maßnahme, um Familien ihren Urlaub am „Müggelmeer“ zu ermöglichen«, erklärte Bezirksbürgermeister Igel.
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Vor ein paar Jahren entdeckten wir im Berliner Osten das aufgelassene Strandbad. Es gefiel uns so gut, dass wir gern die lange S-Bahnfahrt dorthin unternahmen. Ein Teil des ›Licht- und Luftbads Müggelsee‹ – frei nach Lichtenberg (1) – war immer noch reserviert für Nudisten: Rechts ist ein Sandstrand, daneben eine große Liegewiese mit altem Baumbestand, zwei Wege verbinden den FKK- mit dem Textilbereich. Dort gibt es Sanitäranlagen und einen Kiosk, einen weiteren Sandstrand mit Beachballfeldern und ebenfalls einer Liegewiese unter Bäumen für die Textilen.
Strandbad, Müggelsee, 1989, Bundesarchiv, Bild 183-1989-0710-419 / Uhlemann, Thomas / CC-BY-SA 3.0
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»Schämen Sie sich nicht, Sie alte Sau?!«, schrie Johannes R. Becher einst am Strand von Ahrenshoop eine Nackte an, die ihr Gesicht mit dem Neuen Deutschland bedeckt hatte. Die Frau nahm die Zeitung weg: Es war Anna Seghers. Als der alte Dichter, Schwerenöter und Minister für Kultur, ihr wenig später den Nationalpreis mit den Worten »Meine liebe Anna« überreichte, unterbrach die Seghers ihn: »Für dich immer noch die alte Sau.« Es ist also nicht so, dass in den ersten Jahren die Nudistenszene in der DDR prosperierte, erst später wurde die Freikörperkultur zur Massenbewegung, übrigens zeitgleich mit der 68er-Bewegung, Kamerun-Hippies im Osten, Woodstock-Hippies im Westen.
Seit der Wende ließ man das Bad verfallen, obwohl eine denkmalgerechte Sanierung der historischen Gebäude möglich gewesen wäre, aber das Bad sollte ja einem Jachthafen weichen. Dagegen protestierte erfolgreich ein Verein, der auch Ein-Euro-Jobber einstellte, die das Areal in Ordnung hielten. Von nun an war die Einrichtung ohne Bademeister nur noch eine »Badestelle« im Sinne des Gesetzes mit freiem Eintritt und Nutzung auf eigene Gefahr. Die gingen wir gern ein, denn was wir vorfanden, war ein Idyll: Frieden zwischen Nackten und Badehosen, besser als bei Adam und Eva.
Aber jedes Paradies hat mal ein Ende, spätestens wenn der Amtsschimmel wiehert. Vor einiger Zeit wurden am Ein- und Ausgangsbereich der Liegewiese für die Nackten zwei kleine Schilder ausgetauscht: Wo vorher »FKK« stand, liest man jetzt »Textil«. Das erzeugte Unruhe unter den Nackten, die seit 30 oder sogar 40 Jahren hier liegen. Dem tiefgebräunten, emeritierten Professor, dem verrenteten Anstreicher, den alten Genossen oder Dissidenten sträubten sich die eisgrauen Bärte, und ihre ebenfalls brizzebraunen Damen beschwerten sich: »Das kann doch nicht wahr sein! Ich dachte, wir leben jetzt wirklich in einer Demokratie!«
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Diese Geschichte erschien 2010 in ›Schröder erzählt‹ in der Folge ›Das Äußere des Inneren‹ im März Desktop Verlag. Jörg Schröder und Barbara Kalender erzählten, die Transkription der Tonaufnahmen wurde von beiden Autoren redigiert.
(1) gemeint ist Georg Christoph Lichtenbergs Aufsatz, ›Das Luftbad‹ erschien 1795 im ›Göttinger Taschen Calender‹
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BK / JS